Doping, Doping und Doping.

Eine der heftigsten Interviews in Sachen Doping im Radsport stand in der Samstags-Ausgabe der “Süddeutschen”. Thomas Kistner und Andreas Burkert interviewten den Teamarzt von T-Mobile Lothar Heinrich.

Was dabei herausgekommen ist, bietet für Psychologen Stoff für mehrere Doktorarbeiten in Sachen “Verdrängungsmethoden”. Über drei (HTML-)Seiten wird man Zeuge wie sich jemand windet und wendet um den entscheidenden Punkt nicht zuzugeben: dass Athleten die auch unter seiner Beobachtung standen, planmäßig gedopt haben und er es hätte vielleicht/wahrscheinlich sogar wissen müssen.

Nachdem der T-Mobile-Sprecher Christian Frommert in den letzten Monaten nach dem GAU Jan Ullrich mit dem Großreinemachen angefangen hat, stellt sich nach so einem Interview die Frage, inwieweit der Teamarzt Heinrich für ein neues T-Mobile-Team haltbar ist (Interview gefunden via Fooligan)

Gestern wurde das “Doping-Tagebuch” von Tyler Hamilton für die Saison 2003 gefunden, damals noch beim Team CSC. An 114 von 200 Tagen der Saison hat er sich mit einem Mix aus Dopingmitteln wie EPO, Wachstumshormonen, Testosteron und Insulin gedopt.

Abbitte muss ich bei Dieter Adler leisten. Für mich war Dieter Adler immer der spröde Beamte unter den Sportreportern. Fachlich, aber extrem nüchtern. Als ihn PREMIERE nun für die Golden League verpflichtet hatte, habe ich es unter “Okay, es gibt schlimmeres” abgebucht.

Was aber Dieter Adler am Freitag abend für das Meeting in Zürich abgeliefert hat, nötigt mir einen Heidenrespekt ab. Das war zum einen handwerklich fantastisch, weil man deutlich spürte, dass hier ein Reporter sich nicht erst um 20h mit Einsetzen der Übertragung vorbereitet hat.

Es gab im Vorfeld ein Statement von Asafa Powell gegenüber Zeitungsjournalisten, wo Powell gesagt hat, dass 60% aller Leichtathleten gedopt seien. Der Pressesprecher schwächte die Behauptung später ab “Powell sei mißverstanden worden, meinte nur 60% aller Weltrekordler”. Aber nicht mit Dieter Adler, der von der Geschichte erzählte und beiläufig meinte, dass er just bei diesem Interview daneben stand und Powell der umstrittene Satz eben nicht einfach so ausgerutscht sei, sondern wohlüberlegt gewesen sei und genauso fiel wie er in der Zeitung abgedruckt gewesen sei.

Auch bemerkenswert die Episode rund um die plötzliche Abreise von Marion Jones, die von Dieter Adler, anders als die Nachrichtenagenturen zu dem Zeitpunkt, in einem Zusammenhang gestellt worden ist, mit plötzlich in Zürich anberaumten EPO-Tests. Einige Stunden später wissen wir mehr: sie hat vermutlich Wind bekommen, von der Story in der NY Times, wonach bei den US-Leichtathletikmeisterschaften ihre A-Probe positiv gewesen ist.

[Nachtrag 7.9.2006 – Die B-Probe von Marion Jones wurde negativ getestet. Keine Spuren von EPO.]

Auch der Umgang von Dieter Adler und Paul Meier mit Leistungen im Doping-Zeitalter war bemerkenswert. Sie gaben ihr generelles ungutes Gefühl zum Ausdruck und machten bei einigen Athleten auch deutlich, warum es speziell bei jene Athleten intensivere Verdachtsmomente gibt. Beispiel: eine bulgarische Hochspringerin, die über das Jahr kaum zu sehen sei, aber just bei den Top-Events plötzlich aus dem Nichts kommt und locker die 2m nimmt.

Dieter Adler in Zeiten des “Sternchen-Journalismus“: dem allgemeinen Unbehagen Ausdruck geben und sachlich begründete Verdachtsmomente dem Zuschauer an die Hand geben.

Wenn man das z.B. gegen manche Kommentator- oder Reporter-Leistung z.B. von ARENA oder in der ARD gegenhält, dann weiß man erst was man an so einem alten Routinier hat, der manchmal vielleicht etwas farblos ist, der aber in Zeiten immer stärkerer Dampfplauderei ein immer wohltuenderer Gegensatz ist.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Über die Schwierigkeit, Dopingkontrollen überhaupt durchzuführen:

    Die Schlupflöcher (Remo Geisser, NZZ, 05.08.06)

  3. “Was dabei herausgekommen ist, bietet für Psychologen Stoff für mehrere Doktorarbeiten in Sachen “Verdrängungsmethoden”. Über drei (HTML-)Seiten wird man Zeuge wie sich jemand windet und wendet um den entscheidenden Punkt nicht zuzugeben: dass Athleten die auch unter seiner Beobachtung standen, planmäßig gedopt haben und er es hätte vielleicht/wahrscheinlich sogar wissen müssen.”

    Man kann ja von Herrn Heinrich halten, was man will, aber dieses Interview gereicht der Süddeutschen auch nicht gerade zur Ehre. Die Herren Kistner und Burkert schwingen sich da zu moralinsauren Rächern der “betrogenen” Fans auf, sie vorverurteilen jeden und alle auf geradewohl und kulminieren ihren Bildzeitungsstil mit folgender, inhaltlich sinnfreier Frage:

    “SZ: Meinen Sie nicht, dass die Leute deshalb traurig sind, weil sie in diesem Jahr erkennen mussten, dass sie all die früheren Jahre [von Jan Ullrich] betrogen wurden?”

    Nein, danke, Süddeutsche, so billig dann doch nicht.

    .
    PS: “Heinrich: Wie gesagt, die meisten der Mittel, um die es geht, sind in keiner Dopingkontrolle nachweisbar.”

    Tja, vielleicht sollte man, anstatt sich in wildem Fingerzeigen zu verstricken, einfach mal die Logik von Verboten überdenken, die nicht zu kontrollieren sind. Für mich gilt weiter: Erst der Nachweis, dann das Verbot.

  4. Die Frage der SZ ist aber bei dir arg aus dem Zusammenhang gerissen, denn sie knüpft direkt an einer Antwort von Heinrich. Auf die Frage nach seiner persönlichen Meinung, weicht Heinrich (mal wieder) aus: “Ich kann nur sagen, wie mich Leute ansprechen, hier und zu Hause: Die wenigsten sind verärgert, die meisten sind einfach nur traurig. Traurig darüber, dass das, was sie die letzten Jahre sahen und dieses Jahr gern gesehen hätten, nicht stattfand. Und unbestritten hat Jan immer dann am meisten Größe gezeigt, wenn er verloren hat.

    Die “Leute” wurden von Heinrich, nicht von der SZ ins Spiel gebracht.

    Das einige Leute, die vor Jahren noch den Jan Ullrich gelobt haben, nun an der vordersten Front der Dopingfrage steht, ist ja unbestritten. Es kann ja bei Menschen auch Umdenkprozesse geben. Legitim. Das was dann die SZ und z.B. Hagen Boßdorf voneinander unterscheidet, ist die Konsistenz des aktuellen Verhaltens. Boßdorf gibt ungetrübt für Features am späten Abend den Dopingaufklärer, um dann kurz nach der Tour de France auf einer Radsportveranstaltung wieder knietief mit Veranstalter und Radsportler zusammenzumauscheln.

  5. Ich finde die Frage billig und niveaulos, weil sie nicht nur ein Schuld impliziert, die so bisher nicht festgestellt wurde, sondern daraus auch noch Schlussfolgerungen für frühere Jahre zieht, wegen derer nicht einmal ermittelt wird.

    Sowas ist keinen Deut besser als die BILD-Zeitung, bei der Verdächtige auch ganz schnell zu Schlägern, Mördern oder Kinderschändern mutieren.

  6. “B-Probe von Marion Jones negativ”

    Kann mir das jemand erklären? Sind die Analyseverfahren so labil, dass in einer B-Probe nichts mehr nachgewiesen werden kann?

    Wie kam denn dann das Ergebnis der A-Probe zustande? Ich kapiere gar nichts mehr.

    Vielleicht sollte man dann ab sofort nach jeder negativen A-Probe auch die B-Probe analysieren, vielleicht findet man ja dann da was?!

  7. Der (die?) Tests auf EPO sind nicht unumstritten. Es ist nicht der erste Fall dass nur die A-Probe auf EPO anschlug. 2003 ist es bei Bernard Legat der Fall gewesen. Athlten sagen der EPO-Test sei wackelig, Antidoping-Labore sagen: isser nich.

    Nach Aussage vom Jones-Rechtsanwalt, sei bereits die A-Probe in Sachen Grenzwerte sehr am Limit gewesen.

    Angesichts des Umfeldes in dem sich Marion Jones bewegte und der darin getätigten Aussagen, muss man sagen: Schwein gehabt, Jones.

  8. Also auf gut deutsch wurden die Grenzwerte bei der A-Probe knapp überschritten, bei der B-Probe nicht mehr. Damit scheint sie gut verdünnt zu haben. Wenn man mal auf die Quardia Civil Berichte zurückgreift und die dort beschriebenen Verfahren zur Unkenntlichmachung seiner Werte heranzieht.

  9. Ich höre gerade im französischen Radio (France Info) einen Wissenschaftler: das Problem ist, dass EPO sehr instabil ist. Es sei daher ein bekannter Athleten-Trick mit der Analyse der Gegenprobe/B-Probe bis kurz vor Ablauf der Frist zu warten, in der Hoffnung dass das EPO in der B-Probe sich etwas abgebaut hat.

  10. dogfood: Die B-Probe muss 3 Wochen nach der positiven A-Probe beantragt werden. Nicht alle “Experten”, die sich öffentlich äußern, sind auch Experten!
    Wenn es so wäre, dass EPO so instabil ist, wie kann dann ernsthaft und seriös behauptet werden, in den Proben von LA sei nach fünf Jahren EPO nachgewiesen worden. Diese Anschuldigungen hätten dann doch direkt ad absurdum geführt werden müssen!
    Ayotte, Leiterin des Doping Labors in Montreal sagt: 3 Monate
    Cheaurriz, Leiter des LNDD bei Paris, sieht auch nach 5 Jahren kein Problem!

  11. Jetzt wissen wir ja mehr…. Von wegen “hätte wissen müssen”…

  12. Also ich denke Powell hat mit ihrer Aussage recht. Und das in der gesamten Leichtathletik. Also von den Vollprofi-Klassen ausgehend.
    Aber das liegt ja dann auch wieder daran, dass die geforderte Leistung, so hoch gesetzt wird, dass es ohne Doping praktisch garnicht mehr zu schaffen ist.

    Und wenn einzelne “Sportler” anfangen zu Dopen müssen die anderen nachziehen. Da bleibt einfach keine andere Möglichkeit. DIe verdienen ihr Geld mit Preisgeldern und Sponsoren. Und das Geld gibt es nur wenn sie gewinnen…
    Ohne Doping ist diese Chance halt gering. Leider!!!

    Aber ich hoffe das ändert sich auch noch.

    Grüße
    Jonathan