Wort zum Montag, heute: Jürgen Schmieder

Am Wochenende beschloß der DFB, namentlich Sportdirektor Matthias Sammer und Bundestrainer Joachim Löw, eine einheitliche taktische Grundausrichtung für die Nationalmannschaften von der U-18 an aufwärts, erstmal gültig bis Sommer 2008. Wer sich die Auswahl an Artikel dazu auf Google News anzeigen lässt, sieht häufig den Inhalt verkürzt auf “Sammer verbietet Dreierkette“. Leider sehe ich keine offizielle Pressemitteilung und finde auch nicht den Wortlaut des BamS-Interview auf das sich viele Meldungen berufen.

Dennoch lassen sich ohne Probleme relativierende Statements finden, wie z.B. in der WELT:

„Wir wollen keine positionsbezogene Blindheit der Spieler. Aber jeder Spieler beim DFB soll wissen, was von seiner Position verlangt wird“, sagte Sammer der „Bild am Sonntag“. Lediglich von der U15 bis zur U17 darf zwischen 4-4-2 und 4-3-3 variiert werden. Grundsätzlich ist jedoch laut Sammer „die Dreierkette in der Abwehr beim DFB verboten“.

(Relativierendes von mir hervorgehoben)

Dennoch kommen die ersten Mahner wie z.B. Jürgen Schmieder, der in einem Kommentar in der SZ heute schreibt:

Matthias Sammer und Joachim Löw haben per Dekret verboten, dass beim DFB mit einer Dreierkette gespielt wird. Welchen Erfolg eine derart starre Festlegung auf ein System hat, zeigt das Beispiel Holland […] Die Dreierkette in der Abwehr? Streng verboten! […]

Nun wird also beim DFB die taktische Diktatur eingeführt. Früher glaubte man ja, dass ein Trainer sein System nach den Spielern ausrichten sollte, die ihm zur Verfügung stehen. Oder nach dem Gegner. Oder nach den Platzverhältnissen. Oder danach, dass ein Trainer einen genialen Einfall hat und seinen Konkurenten übertölpeln möchte. Alles vorbei, taktische Experimente sind von vor-vor-vor-gestern. Einer wie Sammer, der ist modern und bestimmt die Taktik per Dekret […]

Wie erfolgreich ein starres System sein kann, führt die holländische Nationalmannschaft vor. Dort wird schon so lange ein 4-3-3-System praktiziert, dass sich Fußballhistoriker langsam fragen, was denn zuerst da war: der Fußball oder das holländische System […] Der atemberaubende Erfolg bei großen Turnieren gibt den Holländern Recht. Ein Titel bei 15 Teilnahmen – und das, obwohl die Mannschaft fast immer als Favorit anreiste.

Yeah! “Spot on”, möchte man Jürgen Schmieder zurufen. Und noch einer reiht sich per Interview in die Kritikerriege ein

Antwort: Ich sehe [im holländischen] System aber auch Gefahren: Ist es richtig, einen 16-Jährigen, wie es im niederländischen Fußball gemacht wird, in ein festes Schema reinzupressen, und ihm damit eine positionsbezogene Blindheit aufzuzwingen? Ich meine, es ist absolut falsch, Kinder heute schon in Schemata reinzupressen in ihrer individuellen Entwicklung. Grundordnungen für Mannschaften sind wichtig, ich warne aber vor einer zu frühen Spezialisierung.

Frage: Die Holländer lassen ihre Mannschaften von der U 15 bis zur A-Nationalmannschaft konsequent 4-3-3 spielen, so dass jeder Spieler genau weiß, was er zu tun hat.

Antwort: Sie sind aber außer 1988 nie vor den Deutschen angekommen! Das ist jetzt kein gutes Argument von mir. Das ist populistischer Käse. Respekt, wie die Laufwege der Holländer funktionieren. Aber wo finden sie Lösungen, wenn es eng wird? Dann stoßen sie regelmäßig brutal an ihre Grenzen.

Yes, gut erkannt. Die Schwachstellen von taktischen Fesseln bloßgelegt.

Der letztere Herr war übrigens Matthias Sammer himself, in einem Interview dass Herr Schmieder kennen sollte, da es Ende September u.a. in der SZ erschienen ist, einfach mal beim Kollegen Selldorf im Nebenzimmer nachfragen.

Aus dem Sammer’schen Statement darf gefolgert werden, dass sich Matthias Sammer der von Schmieder angesprochenen Problematik sehr wohl bewusst ist, und das Grundschema eben nicht sklavisch zu befolgen ist. Matthias Sammer pflegt in der Regel genügend Angriffsfläche für flotte Kolumnen und Blogeinträge zu geben. Aber just hierbei, habe ich das Gefühl, dass Sammer sehr gut weiß, was er den Auswahlmannschaften da abverlangt. Und vielleicht schenkt jemand Jürgen Schmieder ein SZ-Abo, damit er bei Sammer nicht etwas einfordert, was der schon vor Wochen erkannt hat.

(Hat Tip an Malte)

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ich denke mal, dass die Verordnung des 4-4-2 wirklich keine sklavische Festlegung ist. In dem Zusammenhang sei auf Urs Siegenthaler verwiesen, von dem man sicher ausgehen kann, dass er und Löw in diesen Fragen ähnlich denken (http://www.allesaussersport.de/archiv/2006/06/01/zeilensport-leckt-siegenthaler/)
    Hieraus ergibt sich eine ganz andere Interpretation des Systembegriffs als ihn der größte Teil der deutschen Sportpresse pflegen dürfte

  3. Ach Gottchen – wenn wir dann wie bei der WM 2002 wieder mit 3 Leuten hinten SPielen, gelten wir als antiquiert. Es ist doch wirklich völllig wurscht, was gespielt wird – Kritik kann man überall üben. Nur ist es eben so, dass die Raumdeckung (und ich glaube das die der Casus Knacksus ist) der Manndeckung in den meisten Spielen vor zu ziehen ist. Vor allem, wenn man als WM-Dritter mit breiter Brust auftreten will. Daher die Verodnung auf 4-4-2 – Niemand sagt ja, das daraus nicht ruck zuck ein 5-4-1 o.ä. werden kann. Man sieht ja täglich welche Variationen in fast jedem System stecken…

  4. Ich denke, dass die relativierenden Aussagen der Knackpunkt sind:
    Spieler im 4-4-2 auszubilden kann und wird wohl auch beinhalten, Mittelfeldspieler sowohl auf der 6,8 oder hinter den Spitzen zu schulen. Gleiches gilt für die Abwehr. Ein festes System muss ja flexible Spieler nicht ausschließen. So viel sollte man Löw und auch Sammer schon zutrauen.

  5. …nicht zu vergessen, dass die Holländer von ihren Jugendspielern von klein auf verlangen auf allen (!) Positionen zu spielen. Da wird in den Jugendmannschaften heftig rotiert, um jedem ein Gefühl für die Gesamtheit des Spiels zu vermitteln. Und erst wenn sich dann klar abzeichnet, dass ein Spieler (z.B. rein von der Physis her) für eine bestimmte Position nicht oder eben besonders geeignet ist, erfolgt eine Festlegung.

    Das aber nur nebenbei. Guter Beitrag @dogfood, der auch mal wieder die Grenzen des deutschen Sportjournalismus aufzeigt…Was Sammer und Löw damit erreichen wollen, dürfte wohl schlichtweg die Raumdeckung und das ballorientierte Verschieben sein. Spielsysteme sind ja flexibel, nur die taktischen Grundprinzipien muss man als Spieler verinnerlichen.

  6. Joerre, das war der eine Einwand, der mir sofort einfiel: Nämlich, dass die Niederländer ihre Spieler in der Jugend auf allen Positionen spielen lassen. Der andere wäre, dass 4-4-2 ja nicht gleich 4-4-2 ist, sondern das System je nach Veranlagung der Spieler anders interpretiert wird.
    Aber da hinkt der deutsche Sportjournalismus zehn bis fünfzehn Jahre hinterher. Hier wird gerade noch über Viererkette und System debattiert. Woanders (und zum Glück auch in deutschen Sportblogs) ist man da weiter.

  7. ich denke nicht, dass wir uns bei Löw und Co. um eine zeitgemäße ( = moderne ) Interpretation des “Systemfussballes” Sorgen machen müssen.

    Zum modernen Fussball gehört nun mal beides, taktische Disziplin im verinnerlichten Spielsystem UND Flexibilität in der Umsetzung auf dem Platz, je nach Gegner.

    Die WM hat gezeigt, dass diese Mannschaft das leisten kann, denke ich.

    Bis zur U17 mit einem festen System zu spielen, macht durchaus Sinn, denn erst wenn die Spieler das Grundsystem ausreichend verinnerlicht haben, kann man anfangen, ihnen zu zeigen, wie man es flexibel interpretiert.

    Wie üblich machen díe Medien mehr Wind, als geboten ist.