Six Nations 2008

Die größte “Feel Good”-Sportveranstaltung von 2007 war wohl die Rugby-WM im letzten Herbst. Intensiver Sport. Exotischer Sport. Spannender Sport. Siegreiche Underdogs.

Es muß nicht bis 2011 zur nächsten WM in Neuseeland gewartet werden. Das Beste was zumindest das europäische Rugby bietet, spielt ab heute alle zwei jede Wochen lang die Six Nations aus.

Das Turnier wurde 1883 mit den vier Mannschaften England, Wales, Schottland und Irland als Home International Championship gegründet. 1910 wurde Frankreich dauerhaft ins Turnier aufgenommen, das fortan Five Nations hieß. Italien stieß erst 2000 dazu, weswegen es inzwischen Six Nations heißt.

Die Six Nations verkörpern damit das, was für viele Deutsche einen Großteil des Reizes von Rugby ausmacht: Tradition und Bodenständigkeit, die zu einem intensiven, aber ehrlichen Sport führen. Zumindest wenn man den glamourösen Fußball dagegen hält.

Ab heute alle zwei Wochen an Samstagen und Sonntagen die Six Nations. Sechs Mannschaften die an fünf Spieltagen gegeneinander spielen. Am Ende steht eine Tabelle – zwei Punkte für den Sieg, ein Punkt für Unentschieden, keine Bonuspunkte – und ein Meister. Keine Playoffs, kein Abstieg. Punkt.

Six Nations 2008

Die BBC trailert die Six Nations 2008 im “300”-Stil an.

Man merkt dass der Rugby-Kalender neben den Six Nations noch einen anderen Fixpunkt im Rugby-Kalender bekommen hat: die Rugby-WM die alle vier Jahre stattfindet. Denn in den Vorschauen zu den sechs Mannschaften muss man immer wieder auf die WM zurückgreifen. Kaum eine Mannschaft an der die WM vor fünf Monaten spurlos vorbeigegangen wäre.

England geht nach einer teilweise absurd unansehnlichen WM als Vizeweltmeister ins Turnier, während die Franzosen den aktuellen Six Nations-Titelträger darstellen, aber vielleicht den stärksten Umbruch durchmachen. Italien, Wales und Irland müssen für die WM Wiedergutmachung betreiben.

Als Favoriten gehen nicht nur bei den Buchmachern Frankreich und England in das Turnier.

Frankreich

Bei Frankreich ist nach der enttäuschenden WM der Umbruch gekommen. Ein Teil des Problems war Trainer Bernard Laporte. Laporte wurde bereits vor der WM von Nicolas Sarkozy und François Fillon als Sportminister ins Kabinett einberufen. Das hat vielen nicht geschmeckt und so war nach der WM und dem angekündigten Rücktritt von Laporte die Zeit der Abrechnung gekommen. Einige Spieler kritisierten, er hätte zu vorsichtigen Rugby spielen lassen, Rugby der nicht der französischen Mentalität entsprach. Zeitungen enthüllten einige unkoschere Geschäfte von Laporte.

Der französische Rugbyverband beschloß den Weggang von Laporte für eine Zäsur zu benützen und verpflichtete überraschend als Nachfolger den blutjunge Marc Lievremont (39 Jahre alt), der gerade erst seit vier Jahren trainiert und letztes Jahr Dax zum Aufstieg in die französische Top14 verhalf. Als Trainer der U21-Weltmeister von 2006 steht er dem Nachwuchs nahe. Der Generationswechsel wurde zudem durch eine Serie von Rücktritten vieler namhafter Spieler erleichtert: Ibanez, Pelous, Dominici, Betsen sowie Michalak der ein “Sabtical” genommen hat um in Südafrika Club-Rugby zu spielen. Es sind nur noch 11 Spieler aus dem WM-Kader dabei.

Wo Laporte sich eher als kühler, rationaler, aber medienaffiner Projektleiter verstand, ist Lievremont eher ein Players Coach

Sein Versprechen wieder zum frischen, kreativen Rugby zurückzufinden, könnte ernst gemeint sein. Die Spieler schwärmen jedenfalls davon, endlich wieder etwas probieren zu können, Risiken nehmen zu dürfen und sich Fehler erlauben zu dürfen. Laporte hat mit seinen Schwerpunkten auf defensives Rugby und Arbeiten mit Standards immer gegen die französische Rugby-Mentalität gearbeitet, die eher mit schnellen Pass-Staffetten und Flügelläufen arbeitet. In der Zeit vor Laporte galten die Franzosen als Team das immer zwischen Genie und Wahnsinn schwankte: zwischen fantastischen Spielzügen und Selbstdemontage durch selbstproduzierte Fehler.

England

Die Engländer haben sich dem WM-Titel von 2003 Jahr für Jahr in ein tieferes Loch gespielt und gingen 2007 mit dem Status als Prügelknabe in die WM rein. England torkelte durch Vorrunde, bekam eine historische Abreibung von Südafrika (0:36). Doch in den Playoffs würgten sie mit defensiven, zurückhaltenden Rugby einen 12:10-Sieg gegen Australien und einen 14:9-Sieg gegen Gastgeber Frankreich raus, was weitaus mehr war, als von Fans, Medien und Experten erwartet.

Trainer Brian Ashton war vor dem Turnier Dead Man Walking, hat sich aber mit der WM rehabilitiert. Die Six Nations werden ein Test sein, inwieweit Brian Ashton seine Ankündigung umsetzen kann, wieder zu einem attraktiveren Rugby zurückzufinden. Ashton hat durch Spieler-Rücktritte und mit den Six Nations die Chance zu bekommen, das Team nach seinem Gusto umzugestalten. Die Medien sind nach Bekanntwerden des ersten Kaders sehr zurückhaltenden, da der Umbruch geringer ausfiel, als erwartet. Es gibt viele die glauben dass England viele junge Talente hat, die jetzt eigentlich ins Spiel geschmissen werden müssen um zur WM 2011 ein Top-Team zu haben. Sie sehen in Trainer Ashton und dem konservativen Verband einen Bremser.

Nochmal so eine Phase des trüben Rugbys in vor und während der WM wird sich der Verband schon qua öffentlichen Drucks nicht mehr antun wollen und hinsichtlich der WM 2011 eher früher als später die Reißleine ziehen.

Wales

Es hatte sich bei der WM angedeutet: einer der Underdogs würde eine der etablierten Rugby-Mächte in der Vorrunde rausschmeißen. Und es erwischte Wales, die am letzten Gruppenspieltag Fiji mit 34:38 unterlagen und vorzeitig zurückreisen mussten. Trainer Gareth Jenkins wurde einen Tag später gefeuert. Die erste Trainerentlassung in der 127-jährigen Geschichte des walisischen Rugby-Verbandes geschah auf Druck einiger Spieler denen die Galle angesichts der taktischen Vorbereitungen vor dem Fiji-Spiel überlief.

Wales hat ein strukturelles Problem: es ist noch dem Amateur-Rugby verhaftet, mit Teams die Provinz- bzw. Regionalauswahlen entsprechen. Es gibt nur wenige Spieler die den Sprung zum professionellen Rugby machen. Das spiegelt sich auch im Rugby-Verband wieder. Bei der Ernennung von Gareth Jenkins gab es Auseinandersetzungen, weil Jenkins mit einem professionellen Trainerstab arbeiten wollte.

Der Nachfolger von Jenkins ist Warren Gatland, ein junger Neuseeländer (45 Jahre alt), der vor zehn Jahren schon einmal drei Jahre lang die irische Nationalmannschaft trainierte und daher mit den Besonderheiten der kleineren Rugby-Verbände neben England vertraut ist. Gatland gilt als großer Motivator. Auch Gatland hat den walisischen Kader verjüngt und setzt dabei auf Blockbildung: 13 Spieler kommen von den Ospreys, der Mannschaft der Provinz in und um Swansea.

Den ersten Trainingseindrücken nach, trainiert man viel intensiver als unter Jenkins.

Schottland

Schottlands Trainer Frank Hadden ist mit einem blauen Auge davongekommen. Zwar wurde Schottland letztes Jahr bei den Six Nations Letzter (nachdem man 2006 unter Hadden so gut wie selten abschnitt: Dritter), aber vermied ein vorzeitiges Ausscheiden bei der WM.

Der Vergleich mit Wales ist interessant, weil Schottland unter ähnlich hinterwäldlerischen Strukturen litt wie Wales, aber letzten Sommer die Provinz-Teams zugunsten von Klubs in Glasgow und Edinburgh aufgab und durch diese Konzentration einen Qualitätsschub erhofft.

Irland

Irland war eigentlich sogar eine größere WM-Enttäuschung als Wales, denn Irland ging nach einer gut gespielten Six Nations 2007 als vermeintlich zweitbeste europäische Mannschaft in die WM, ehe man in der Vorrunde an Südafrika Frankreich und Argentinien scheiterte. Und trotzdem ist Irland das Team, welches seitdem am wenigsten verändert hat.

Eddie O’Sullivan hat sich als Trainer gehalten – seine Vertragsverlängerung bis 2012 wurde vor der WM abgeschlossen.

Hinter dem irischen Team steht ein großes Fragezeichen: bereits im Vorfeld der WM wurde spekuliert, dass die Mannschaft ihren Zenit schon hinter sich habe. Eine schlechte Six Nations würde das bestätigen und einen Trainerwechsel mit Generationsumbruch forcieren.

Italien

Italien ist das Bubi-Land bei den Six Nations. Der Eintritt 2000 in die Six Nations war eine Belohnung und Förderungsmaßnahme für die aufstrebende Rugby-Nation.

Italien pflegt etwas zu machen, was man auch vom Eishockey kennt: ausländische Spieler die in ihrem Stammbaum nachweisen konnten eine italienische Großmutter oder einen italienischen Hund besessen zu haben oder einfach mal beim Italiener gegessen haben, wurden “naturalisiert” und bekamen die italienische Staatsangehörigkeit.

Trotzdem gestaltet es sich für Italien immer noch Jahr für Jahr schwierig überhaupt einen Sieg bei den Six Nations zu erringen. In den bisherigen acht Jahren fuhren sie nur 5 Siege und 1 Unentschieden ein (zwei der fünf Siege kamen aus dem letzten Jahr)

Italiens neuer Trainer ist Nick Mallett, ein äußerst renommierter Südafrikaner mit George Clooney-Optik.

Die Spiele

Sa 15h: Irland – Italien

Irlands Eddie O’Sullivan braucht den Sieg zur WM-Rehabilitation dringender als Italiens Nick Mallett bei seinem Debüt als Nationaltrainer. Mallett muss Aufbauarbeit leisten. O’Sullivan muss zeigen, dass die WM ein Ausrutscher war.

Für Italien werden die Schlüsselpositionen der ersten Spiele die “Spielmacher” auf #9 und #10 sein. Nach den Abgängen bzw. Rücktritten von Pez und Troncon, setzt Mallett auf Travagli und Masi. #9 Travagli debüttiert im Nationalteam, während #10 Masi bei der WM und im Club (Biarritz) auf der Position #13 spielt.

Mallett gilt als ein Virtuose bei der Benutzung der Spieler der Positionen #1 bis #8 und Italiens größte Stärke war schon immer das Paket.

Sa 17h30: England – Wales

So eindeutig die Partie nach den WM-Resultaten aussehen mag und wenn man die Resourcen der beiden Verbände vergleicht: Wales konnte England in letzten drei Jahren zweimal bei den Six Nations schlagen. Allerdings hat Wales seit 20 Jahren nicht in Twickenham gewonnen.

Die großgewachsenen Engländer werden über die Physis kommen (vorallem die #1 bis #5) und endlich wieder Versuche zu legen – was ihnen bei der WM eher schlecht als recht gelungen ist – während Wales darauf vertraut die Bälle per Kicks nach vorne zu schlagen und sich dort festzusetzen. Wales setzt auf Blockbildung, bietet für dieses Match 13 Spieler der Ospreys im Kader auf.

Player to watch: Lesley “Volcano” Vainikolo, 1,85m 106kg schwer. Spektakulärer Spieler. In Tonga geboren, als Junior die 100m in 10,6 Sekunden gerannt. Kommt von der anderen Rugby-Variante, der “Rugby League”. Gilt als verletzungsanfällig, schleppt permanent Knieprobleme mit sich herum. Er wird für die zweite Halbzeit erwartet.

So 16h: Schottland – Frankreich

Leichte Euphorie in Schottland nach gutem Abschneiden schottischer Vereine beim Club-Rugby.

Frankreichs neuer Trainer Marc Lievremont debüttiert ausgerechnet im schwer zu spielenden Murrayfield im schottischen Edinburgh.

Wird bereits eine Handschrift des neuen französischen Trainers zu sehen sein? Am zurückhaltendsten sind die Erwartungen am Spiel im Rückraum. Lievremont hat das komplette Spiel hinten umgekrempelt, weg vom Versuch durch Tritte das Spiel nach vorne zu verlagern und Einwürfe rauszuholen. Lievremont warnt vor, dass sie Umstellungen hinten noch einige Spiele brauchen werden, bevor sich das neue System eingeschliffen hat.

Vier Debütanten im Team, u.a. der 21jährige #10 François Trinh-Duc, der das Potential hat, die beste #10 zu werden, die Frankreich seit Jahrzehnten hatte. Frankreich ohne den verletzten Sébastien Chabal.


[Sa 2.2.08, 22h43: drei Korrekturen eingepflegt]

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Danke für die wohl ausführlichste deutschsprachige Berichterstattung.

    Zwei Kleinigkeiten:
    1. Irland hat bei der WM in einer Gruppe mit Frankreich (nicht Südafrika) und Argentinien gespielt.
    2. England hat bei der WM einen Versuch im Halbfinale gelegt (und im Finale einen umstrittenen aberkannt bekommen).

  3. England muss gegen Italien auf vier Spieler verzichten, Mike Tindall fällt mit einer Leberverletzung wohl für das ganze Turnier aus.

    Link

  4. Hi there, I found your site via the links from my videos on YouTube (NetResultSports).

    It’s great to see someone promoting the great game of rugby in Germany, a country I didn’t think had much of an interest.

    I don’t speak German at all I’m afraid so I had to run your articles though Google Translate. You’re doing a fine job.

    Keep up the good work :)