Fahnenflucht in Atlanta

Am liebsten wäre ich Proktologe und würde in Bobby Petrino, Headcoach der Atlanta Falcons reingucken wollen – rein bildlich gesehen.

Bobby Petrino ist seit heute nacht Ex-Headcoach der Atlanta Falcons (3-10). Er gab auf einer Pressekonferenz seinen sofortigen Rücktritt bekannt und geht nach Arkansas, wo er in Nachfolge des rausgemobbten Houston Nutt die Arkansas Razorbacks in der SEC trainieren wird. Nachfolger oder Interimscoach der Falcons sind nicht bekannt. Zwei Kandidaten als Übergangscoach scheinen DefCoord. Mike Zimmer und OffCoord. Hue Jackson zu sein.

Angeblich hat Petrino erst nach der Monday Night-Klatsche gegen die Saints (14:34) mit den Razorbacks über den Job gesprochen. Wenn aber sowas so schnell über die Bühne geht, hat Petrino entweder gelogen oder Petrino wollte so schnell wie möglich aus Atlanta weg. Wahrscheinlich beides. Gerüchteweise soll es erste Kontakte mit Arkansas bereits vor zwei Wochen gegeben haben.

Die Falcons wussten wen sie als Headcoach im Januar verpflichteten. In 24 Jahren als Assistent und Coach hat er 14 unterschiedliche Stationen absolviert.

Als Petrino bei den Falcons in Nachfolge von Jim Mora anheuerte, ahnte er noch nicht, was ihn in Sachen QB Michael Vick erwarten würde. Insofern kann ich einen Teil des Frustes verstehen: er ist den Job schlichtweg unter völlig anderen Voraussetzungen angetreten: glaubte nur noch den Feintuner spielen zu müssen, statt neue Fundamente zu ziehen.

Das ist dumm gelaufen. Die Verarschung hat er aber nun prompt an Spieler und Fans weitergetragen, die die ganze Zeit den Eindruck hatten, Petrino würde eben jenen Umbau vornehmen. Der Krach mit CB DeAngelo Hall nach dem dritten Spieltag wurde auch als bewusste Machtprobe von Petrino verstanden. Prompt kamen Gerüchte auf, das Petrino die Spieler nicht mehr hinter sich hätte. Nach 1-2 Wochen wurde aber dieses Feuer ausgetreten. Als Außenstehender konnte man sich nur noch über die verzweifelte Suche nach einem QB amüsieren. Warum ein Team mit schwacher QB-Protection den fußlahmen QB Leftwich nimmt, ist nur noch mit blanker Not zu erklären.

Es war früh klar, dass die Falcons die Saison abschenken würden, um in der Offseason einen geordneten Neuanfang zu starten. Und nun geht der Headcoach auch noch von der Fahne und die Journalisten kommen mit ihren ganzen Geschichten aus den Mannschaftskabinen aus den Löchern gekrochen: wie sehr Petrino von den Spielern und dem Front Office wegen seines Führungsstils verachtet wurde etc…

Für Teambesitzer Arthur Blank und GM Rich McKay ist das ein Desaster. Über die Qualitäten von Petrino kann man streiten, aber das letzte was die Franchise braucht, ist der Eindruck so attraktiv wie eine Pestbeule zu sein und einen Headcoach derart panisch die Flucht ergreifen zu sehen. Mit QB Michael Vick haben sich die Atlanta Falcons neu aufgestellt und ein sehr “schwarzes” Publikum in den Dome geholt – nachdem was man im Fernsehen sehen konnte, neben den Saints der größte Anteil an schwarzen Fans. Michael Vick war für die eine Identifikationsfigur, die nun plötzlich über den Sommer weggebrochen ist.

Die Folgen waren bereits beim Monday Night Game zu sehen: Not gegen Elend in einer relativ spärlich gefüllten Halle.

Petrino verstand es nie, der Franchise in den schweren Zeiten eine Perspektive aufzuzeigen. Zu keinem Zeitpunkt der Saison hatte man eine Ahnung, wo er hinwollte, was er für 2008 auf den Tisch bringen wollte. Dies gepaart mit seinen massiven Führungsproblemen und schnellen Wechselabsichten, lassen Petrino als schwachen Headcoach erscheinen. Das spricht auch nicht für große Überlebenschancen in der SEC und bei den Razorbacks, die erst gerade ihren langjährigen Trainer Houston Nutt mit Flugzeugbanderolen und Telefonterror vom Campus gejagt haben. Insofern hat es sogar schon wieder etwas gutes, dass die Falcons ihn nach nur 14 Spieltagen wieder los sind.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Update: Der bisherige Assistent Emmitt Thomas (64 jährig, bei den Falcons seit 2002) ist mittlerweile zum Interims-Head-Coach für die verbleibenden drei Spiele ernannt worden.

    Ich habe die Übertragung des Monday Night Games auf ESPN verfolgt. Interessant war, dass GM Arthur Blank einen Gastauftritt bei den Kommentatoren hatte und dort über viele Dinge sprach (natürlich vor allem die Situation um Michael Vick, dessen Strafe ja am gleichen Tag angekündigt wurde).

    Immer wieder sprach er aber auch vom Neuaufbau, welcher die Franchise vor sich habe und bei der vor allem die Fans wieder ins Boot geholt werden müssen. Dabei nannte er auch immer wieder Bobby Petrino, der diesen Neuanfang lancieren soll und das volle Vertrauen von ihm geniesse. Nun haut genau jener mir nichts, dir nichts ab: Diese Franchise ist tatsächlich am Boden. Natürlich können wir nicht wissen, ob sich der Abgang Petrinos nicht schon länger abzeichnete, aber so wie sich die Fakten präsentieren, gehe ich nicht davon aus.