Willkommen in 2008

Willkommen im Jahr 2008, dem Jahr der Olympischen Spiele in Peking. Die Olympische Fackel wird am Vorabend der Eröffnung der Spiele auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Empfang genommen. Dort wo 19 Jahre zuvor bei den Studentenprotesten für mehr Demokratie und Freiheit mehrere hundert Menschen getötet wurden (offizielle Angaben: 200-300, westliche Angaben: 400-800, chinesisches Rote Kreuz & Amnesty International: 2-3.000 Tote).

Zuvor wird die Fackel auch durch die autonome Region Tibet getragen. Eine politische Demonstration die die Macht- & Besitzansprüche Chinas an Tibet verdeutlicht.

China versprach für 2008 ein freieres Arbeiten für Journalisten. Anscheinend nur für internationale Journalisten, denn am letzten Montag wurde ein Chinese von Beamten totgeprügelt, als er Proteste von Bewohnern gegen die städtische Müllentsorgung mit seinem Handy filmte.

Die Vergabe der Olympischen Spiele nach Peking ist schlecht. Einfach nur schlimm und schlecht. Die Behauptung die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit würde in China einen Wandel in Sachen Menschenrechte herbeiführen, ist ein moralisches Feigenblatt (Änderungen dürften eher Internet und Kommunikationsmittel wie Handys zuzuschreiben sein). Und 2014 möglicherweise ein ähnliches Theater wenn die Olympischen Winterspiele im russischen Sotchi ausgetragen werden.

[Update: Link zum Sportnetzwerk und seinem China-Workshop nachgetragen]

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ich würde dich gerade gerne für diesen Eintrag loben. Mir fällt aber nichts passendes ein.
    Allgemein finde ich es jedenfalls immer wieder angenehm, wie du über den Tellerrand der ‘Sportereignisse’ hinaussiehst (im heutigen sog. Sportjournalismus ja leider keine Selbstverständlichkeit). Ohne damit hausieren zu gehen. Und ab und an etwas Lob zwischendurch wird einem ja auch als regelmäßigem Leser gestattet sein.

  3. Sehr schöner Beitrag. Dem kann man nur beipflichten. Ich frag mich ernsthaft, was die IOC damit bezwecken wollte. In China wird sich rein garnichts ändern. Sicherlich in der Zeit der Spiele wird die Regierrung ein weltoffenes westlich gerichtetes Land präsentieren. Aber danach wird alles wieder so sein, wie vorher. Vielleicht sogar noch schlimmer. Erinnert irgendwie an die Spiele von 1936 und was danach kam wissen wir alle.
    Wenn in China mal eine Veränderung stattfindet, dann nicht innerhalb von 4 Wochen.

  4. Bin mal auf die Spiele gespannt. Während der Zeit muss die Staatsmacht ein wenig stillhalten. Die Frage ist, ob die Chinesen dann diesen Schwung mitnehmen, nachdem sie gesehen haben, wie es sein könnte.

  5. @Payton: Ganz im Gegenteil. Während der Spiele wird es noch WESENTLICH schlimmer für die Bürger als davor und danach. Das BILD nach aussen hin wird passen, alles andere wird katastrophaler als sonst schon. Und da sind wir nicht weit von 38 weg, wenn jetzt schon “Lager” für Bettler etc. gesucht/eingerichtet werden.

    Und ich möchte mir garnicht ausmalen was einen Journalisten erwartet, der während der Spiele diese Mißstände aufzeigen will… ich sage nur: Hups, wo isser denn?

    Also nicht nur, daß es nicht BESSER werden wird, die Situation in China wird eher schlimmer (“Jetzt, wo wir die “Sandler” schon mal weggebracht haben, könnten wir den Standard doch gleich beibehalten, oder?”).

  6. Das “ganz im Gegenteil” bezieht sich nur auf “es wird sich garnichts ändern”… stimme dem Rest natürlich zu!

  7. achtung, eigenwerbung: aktuell zum thema erlaube ich mir, auf den gestrigen china-workshop des sportnetzwerks hinzuweisen: “im schatten der ringe – olympische spiele in peking zwischen chance und schande”. see: http://www.sportnetzwerk.eu

  8. “Ich frag mich ernsthaft, was die IOC damit bezwecken wollte.”

    Ehm… nichts, außer selbst gut dazustehen bzw. Geld einzuheimsen? Ich stelle einfach mal die These auf, dass die IOC zu den wohl korruptesten Organisationen überhaupt gehört. Die Beweggründe düften kaum in der Verbesserung der Situation in China liegen.

  9. So sehr ich dogfood mag – er hat auch schon reflektiertere Beiträge geschrieben. Sicher ist bei Olympia nicht alles Gold was glänzt und das IOC kein globaler Menschenrechtsverein. Aber die Olympiavergabe ist kein Appeasement! Sie wird China natürlich nicht in ein Zeitalter der Aufklärung katapultieren – aber mal ganz im Ernst, das kann man von singulären Ereignissen auch nicht verlangen. Genau wie in Russland sind einige der genannten Probleme übrigens auch schlicht der unglaublichen Größe dieses Landes geschuldet, da dauert es verdammt lange, bis positive Entwicklungen auch den letzten Bergbauern erreichen. Der wird vorher (von korrupten Lokalfürsten zum Beispiel) manchmal sogar umgebracht. Und einen positiven Einfluss schreibe ich dem friedlichen Kontakt mit andersdenkenden Menschen gerne zu. Ob er nun durch moderne Kommunikationsmedien oder ein globales Sportfest kanalisiert wird.

    Richtig ist allerdings, dass man die unangebrachte Selbstbeweihräucherung tendenziell grundkorrupter Sportfunktionäre entlarvt. Und nicht ablässt auf Missstände (wie die eines längst nicht menschenfreundlichen Regimes) hinzuweisen. Nur warum ist es (deswegen?) so schlecht, die Spiele nach China zu vergeben dogfood?

  10. Du gehst m.E. an mehreren Punkten von falschen Voraussetzungen aus.

    1. ist die Lage in China nicht so, dass man halt in den hintersten Winkeln des großen Landes noch ein bisserl undemokratisch ist. In Sachen Demokratie und Menschenrechte gibt es in ganz China massive Probleme und auch in und um Großstädte herum Repressionen in der Palette von Schlägereien bis hin zu Gefängnissenstrafen. Dies ist aktiv ausgeführte, staatliche Repression. Wir reden von Haussarresten, Zwangsumsiedlungen, Deportationen.

    2. handelt es sich nicht um ein kleines Fußballspiel, sondern um die Olympischen Spiele. Das hat trotz aller Kommerzialisierung immer noch eine ganz andere Bedeutung als eine Fußball-WM oder ein Formel 1-Rennen. Keine andere Veranstaltung hat eine eigene Charta die Elemente des gesellschaftlichen Zusammenlebens beschreibt und u.a. jegliche Diskriminierung ausdrücklich ausschließt.

    Mit der Vergabe der Olympischen Spiele wird jede Stadt, jedes Ausrichterland geadelt. Auch wenn jede Nation in gewissen Umfang Dreck am Stecken hat, dürfte es unbestreitbar sein, dass China so umfangreich gegen zahlreiche Prinzipien der Olympischen Bewegung verstößt, wie wenig andere Länder.

    3. Friedlicher Kontakt mit andersdenkenden Menschen ist nett. Aber angesichts der flächenmäßig fast ausschließlich auf Peking konzentrierten Spiele, dürfte dies noch nicht einmal wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirken. Da dürfte jeder Rechner und jedes Handy mehr Auswirkung haben als jeder Wettkampftag der Olympischen Spiele.

    4. Grundsätzliches Problem sind die umfangreichen Arbeiten die die Ausrichterstädte zu absolvieren haben, um die Spiele in den entsprechenden Stadien und Hallen veranstalten zu dürfen. Gepaart mit einem undemokratischen Land, werden die Olympischen Spiele zu einem Mittel um weiteres Unrecht anzufügen. In Peking z.B. in Form von zahlreichen Umsiedlungen die z.B. sogar die Einflugschneisen betrafen, die geräumt wurden, damit man sie hübscher (a.k.a. begrünen) machen kann.

    Die Diskrepanz zwischen hier durch Charta & Historie veredeltes Ereignis und dort chinesische Diktatur ist zu groß. Man sollte sich nicht durch die schicke Hülle wie gute chinesische Filme oder modern wirkende Jugendliche täuschen lassen. Dieses Land ist tief in sich drin ein Unrechtsland. Dazu reicht sogar ein Blick in chinesische Fernsehprogramme auf europäischen Satelliten, wo ich mich sehr schnell an DDR und Aktuelle Kamera erinnert fühlte, trotz westlicher Studiokulisse.

  11. Die Umsiedlungen sind sicher eins der auffälligstne Probleme, weil sie eben in den großen Zentren statt finden.

    Da werden jahrtausende alte (Familien-) Traditionen zerstört, nur um Peking schick für Olympia zu machen. Ganze Stadtviertel werden entvölkert und abgerissen, nur weil sie zu hässlich sind und zufällig auf dem Weg vom Hotelviertel zu den Spielstätten liegen. Und die Menschen werden mitnichten entschädigt. Entschädigungen gehen an die, die beim ersten Aufruf gehen. Alle, die es sich nicht erlauben können mit einer 15-köpfigen Familie in eine von der Stadt gestellte 2-Zimmer-Wohnung umzuziehen, werden solange eingesperrt, bedroht und verprügelt, bis sie gehen. Und die, die dann immer noch nicht aufgeben, werden mit ihren Häusern abgerissen.

    Da muss man doch mal sagen: Schön, dass Olympia das möglich gemacht hat.

    Auf die anderen, zum großen Teil viel krasseren Verletzungen von Menschenrechten, gehe ich da noch gar nicht ein.

    Ich bin also vollkommen dogfoods Meinung: Da gibt es nicht viel zu reflektieren. Peking wird für die Olympischen Spiele hübsch hergerichtet und vorgezeigt, was nicht vorzeigbar ist wird abgerissen, weggesperrt und umgesiedelt. Und nur wenige ernsthafte Journalisten dürften die Zeit nutzen, um auf die wahren Umstände aufmerksam zu machen. Und wenn sie das tun, dann kommts um 00.15 in der ARD oder auf n-tv.

    Ändern wird sich in China nullkommanix zum Positiven durch diese olympischen Spiele. Natürlich ist dieses Land ein riesiges und braucht viel länger für seine Transformation in etwas, was man irgendwann mal freiheitlich nennen kann. Aber die olympischen Spiele tragen sicher nichts dazu bei, diesen Prozess zu beschleunigen.

  12. Was mir bei der Medienauswahl auffällt, ist, dass gar keine deutsche Zeitung/Zeitschrift vertreten ist. Also habe ich mich mal auf die Suche gemacht nach Berichten über China und die Olympischen Spiele bei uns in Deutschland., habe bis auf wenige Ausnahmen kaum was gefunden. Frage mich gerade, wieso das ist. Anscheinend ist es ein Thema, das viele interessiert und ja auch gerade international erheblich mehr thematisiert wird.

    Die Zeit hat immerhin eine Sonderseite zu Olympia 2008 veröffentlicht.

  13. @Chelsea: Nachrichten/Politisches nehme ich inzwischen fast ausschließlich über angelsächsische Medien wahr (Ausnahme: Deutschlandfunk/Deutschlandradio). Ich hab kein SPIEGEL-Abo, sondern Economist-Abo. Insofern liegt der Schwerpunkt bei mir nahe.

    Ich besuche zwar jeden Tag die Sport- und Medienressorts von FAZ, Tagesspiegel, FR, Berliner Zeitung und Hamburger Abendblatt, aber dort sind mir solche Schwerpunkte nicht aufgefallen. Und der Internetauftritt der SZ ist auch fast ein Jahr nach Amtsantritt von Jakobs eine unstrukturierte Scheiße die ich mir nicht antun will, trotz einiger guter Schreiber die sie haben.

    Insbesondere wenn ich zielgerichtet nach bestimmten Informationen suche, sind BBC, Guardian und Economist im Handling/User Interface nicht zu toppen.

  14. Chapeau Herr Pahl, das ist mal eine solide Argumentation! Ich gebe dir recht, dass China durch ein solches Ereignis womöglich tatsächlich zu Unrecht “geadelt” wird.

    Vielleicht habe ich nur eine noch zynischere Sicht als du auf die olympischen Spiele – ich sehe in dem Sumpf an Sportfunktionären und finanziellen Interessen, die das Ereignis dominieren, kaum noch Bezug zu hehren Idealen, die ein Franzose bei der Neuerfindung einer antiken Sporttradition im Sinn gehabt haben mag. Aber da viele Zuschauer so einen Zusammenhang noch herstellen werden, hast du wohl recht.

    Gleichzeitig habe ich ein paar Eindrücke erster Hand über die politischen und sozialen Strukturen in China gewinnen können, die sich von deinen unterscheiden. Auf der einen Seite ist das Argument, die olympischen Spiele machten die Lage für die Unterschicht (die Omas, die umgesiedelt werden) schlimmer, in meinen Augen insofern Unsinn, als das immer noch absolutistische Regime mit neofaschistischer Tendenz keine Ausreden braucht, um Omas umzusiedeln. Das haben sie in jüngster Vergangenheit bei ökonomischem Interesse stets getan und werden sie so schnell nicht bleiben lassen. Auf der anderen Seite vollzieht das Regime analog zur Gesellschaft schon seit ein paar Jahren einen Paradigmenwechsel, der einen gewaltigen Unterschied zum Status Quo des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens darstellt. Der gesellschaftliche Wandel ist kaum zu unterschätzen. Und er kulminiert nun einmal in den Metropolen, wo es zum Beispiel auf einmal zum Entstehen einer Mittelschicht kommt. Diese wiederum ist treibende Kraft für gesellschaftlichen Wandel – Leute, die eine realistische Chance auf Verbesserung ihrer Lebensqualität haben (und dank des Kapitalismus auch die Mittel dazu), werden auch Anstrengungen unternehmen, diese Chance wahrzunehmen. Großereignisse können immer mal wieder als Kristallisationskerne für Bewegungen dienen.

    Um die Debatte nicht ausufern zu lassen noch mal mein Fazit:
    Die Spiele nach China zu vergeben ist sicher ein zweischneidiges Schwert und birgt einige Probleme. Muss man sicher nicht machen und es gibt bessere Kandidaten, die ethisch weniger problematisch sind. Aber ich denke, wer Spiele nach Russland vergeben will, der muss sie auch an China vergeben können.

  15. *überschätzen. dammit. der gesellschaftliche Wandel ist immens. Ich habe ein paar von den hippen chinesischen Jugendlichen zum Freund – die hätte ich vor 10 Jahren wohl noch nicht in Japan kennengelernt.