Zeilensport: Das Ende eines Whistleblowers

Die englischsprachige Ausgabe der Wikipedia beschreibt den Ausgangspunkt so:

Patrick Dennehy war ein Forward im Basketballprogramm der University of New Mexico und wechselte nach seinem zweiten Jahr 2002 zur Baylor University in Texas. Bevor er wieder anfangen konnte zu spielen, musste er wegen dem Wechsel nach NCAA-Regeln ein Jahr auf der Bank absitzen.

Wenige Monate vor seinem ersten Einsatz erzählte Dennehy, dass er und ein Kumpel, Carlton Dotson, ebenfalls Basketballspieler und von einer anderen Uni gekommen, von einem Mitspieler bedroht wurden und sich Waffen gekauft hätten. Dennehy wollte er mit seinem Kumpel am 14. Juni 2003 eine Studentenparty besuchen. Er wurde aber nie auf der Party gesehen.

Nachdem Dennehy auch am Vatertag seine Familie nicht anrief und seine Hunde in der Studentenbude tagelang nicht gefüttert wurden, wurde am 19.6. eine Vermisstenanzeige gestellt. Eine Woche später wurde sein SUV in Virginia gefunden. Kurze Zeit später wurde nach einem Hinweis eines Informanten der Kumpel von Dennehy Carlton Dotson in Maryland festgenommen.

Einen Monat nach seinem Verschwinden wurde eine verunstaltete Leiche in Waco, Texas gefunden und als Patrick Dennehy identifiziert.

Carlton Dotson wurde des Mordes angeklagt, aber aufgrund schwerer Halluzinationen und Psychosen für unzurechnungsfähig erklärt. Ein Jahr später wurde er wieder als zurechnungsfähig angesehen und Dotson legte ein Geständnis ab: er und Dennehy hätte sich auf einer Shooting Ranch gestritten und er hätte Dennehy dabei umgebracht. Im Sommer 2005 wurde Dotson zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Dies ist aber erst der Ausgangspunkt für die Geschichte die Dana O’Neil für ESPN niedergeschrieben hat. Im Zuge der Ermittlungen kam heraus dass Dennehy mehr Geld als gewöhnlich hatte. Es war Geld dass Dennehy von der Uni bekommen hatte und nach NCAA-Regeln sind jedwede Vergünstigungen und Zahlungen an College-Sportler strengstens verboten.

Um die Zahlungen zu verbergen, instruierte Headcoach Dave Bliss seine Spieler gegenüber Polizei und Umfeld zu streuen, dass Patrick Dennehy mit Drogen dealen würde und so an das Geld gekommen wäre. Ein Assistent von Dave Bliss, Abar Rouse, nahm das Gespräch auf Tonband auf und übergab es dem Staatsanwalt.

Dave Bliss musste aufgrund weiterer Verfehlungen die im Zuge der Ermittlungen bekannt wurden, zurücktreten. Eine Woche nach seinem Rücktritt veröffentlichte die Lokalzeitung eine Abschrift des Tonbands von Rouse. Bliss war zwar schon zurückgetreten, aber das Tonband hat Bliss’ Ansehen noch einmal nachhaltig geschadet und möglicherweise auch das Strafmaß der NCAA beeinflusst (bis 2015 darf Bliss ohne Erlaubnis an keiner Uni im Sportbereich arbeiten – höchstes Strafmaß im Katalog der NCAA).

Dana O’Neil hat sich aber dem “Whistleblower” von damals zugewandt: Abar Rouse, der Mann der den Vertuschungsversuch von Bliss aufnahm: “Rouse in oblivion five years after Baylor scandal“, eine lesenswerte, bedrückende Geschichte.

Rouse ist zum Pariah der College Basketball-Szene geworden. Moralisch hat er richtig gehandelt, aber ein ungeschriebenes Gesetz verletzt: die Autorität seines Vorgesetzten mißachtet. Es muss für Außenstehende verblüffen, wie jemand mit einer derart integren Aktion, seit nun fünf Jahren in der Szene komplett unten durch ist.

Many coaches, including Hall of Famers Jim Boeheim and Mike Krzyzewski, have said that Rouse had crossed the line. “If one of my assistants would tape every one of my conversations with me not knowing it, there’s no way he would be on my staff,” Krzyzewski told “Outside the Lines” in 2003. The rank and file has fallen in step. […]

“I’m thousands of dollars in debt, no longer in the profession I went to school to pursue,” said Rouse, whose $42,000 annual salary at Baylor was the most he’d ever made coaching basketball. “And I can tell you right now, five years later, working nightshift at a factory, making barely the minimum to survive, I don’t regret it for one second. I wake up every day knowing that principles mean something.”

Mich erinnert dies an Jörg Jaksche, seit seinem Geständnis im SPIEGEL ein ähnlicher Ausgestossener in der Szene. Jaksche erklärte Ende letzten Monats das Ende seiner Radsportkarriere, da er in der Radsportszene immer wieder auflief und es absehbar war, dass er nach Ablauf seiner Sperre diesen Sommer keine Beschäftigung finden würde.

Diese Art der Omerta, das macht das Beispiel Jaksche deutlich, wird nicht nur von direkt Involvierten ausgesprochen. Das dahintersteckende Wertesystem dass Jaksche zum Verräter stempelt, reicht bis in die Medien hinein. Am 14. Dezember 2007 veröffentlichte die Badische Zeitung folgenden Leserbrief des EUROSPORT-Radsport-Kommentators Karsten Migels:

Sorry, in welcher Welt leben die beiden eigentlich?

Immer wieder sagen Jörg Jaksche und Patrick Sinkewitz, sie dachten, ihre Ehrlichkeit würde belohnt und sie bekämen einen neuen Vertrag als Radprofi. Sorry, in welcher Welt leben Jaksche und Sinkewitz eigentlich? Zahlreiche Journalisten wollen der unwissenden Bevölkerung dann noch vermitteln, wie böse und schlimm der Profiradsport doch sei, weil man den geständigen Sündern keine unterschriftsreifen Verträge vorlege. Gestattet seien dabei nur zwei Fragen: Welcher Arbeitgeber würde einen Arbeiter oder Angestellten erneut einstellen, wenn dieser ihn zuvor betrogen und belogen oder gar ans Finanzamt verpfiffen hätte? Welcher Arbeitgeber würde einen Arbeiter oder Angestellten einstellen, von dem er weiß, dass dieser in einer anderen Firma betrogen und gelogen und dort durch seine “Dummheiten” 60 Arbeitsplätze seinen persönlichen Interessen geopfert hätte?

Dank an Thomas H. für die Abschrift des Leserbriefs

So autoritär der US-Sport gestrickt ist, die dahinterliegenden Mechanismen – Migels zeigt es – funktionieren auch in Europa. Das Gegengift gegen die Bliss’ und Migels’ kann nur eine aufgeklärte Öffentlichkeit sein.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Schön wärs,

    das halte ich aber für komplett illusorisch. Keine Ahnung wie in anderen Ländern von den Medien gearbeitet wird, in Deutschland jedenfalls sehe ich weder objektive, noch kritische, noch unabhängige und erst recht keine aufklärende Berichterstattung bei Durchgängig allen Medien (Print, TV, Radio). Stattdessen findet man durch die Bank unappetitliche Verzahnungen und engste wirtschaftliche Kooperationen zwischen Sportlern und Medien.

    Dass auf so einem Boden Fälle wie bei Jaksche und Sinkewitz gedeien und man ruhig mit Schmuh und Beschiß weitermachen kann ohne durch herumschnüffelnde und aufklärerisch tätig werdende Journalisten behelligt zu werden dient doch letztlich allen Beteiligten.

    Wahrscheinlich könnten die “noch” unabhängigen Blogger solche Dinge warnehmen, denen dürften aber Ressourcen und Verbindungen fehlen, um diese Lücke wirklich zu stopfen. Die Medien in Deutschland haben an investigativer, aufklärerischer und kritischer Berichterstattung jedenfalls kein Interesse.

    Um auch mal ein Beispiel im Fußball zu bringen,

    die Geschichte um Klose, Werder und Bayern fand im BR zum Beispiel m.W. nach einfach nicht statt (oder max. als Randnotiz). Kritische Fragen zu den Bayern werden dort auch schon lange nicht mehr gestellt, die Sonderzahlung in Millionenhöhe von Kirch an Uli H. ging ja gewollt ebenfalls unter. Naja, und dritte Programme, die sich für Berichterstattung über Randsportarten bezahlen lassen, hats ja nun auch gegeben.

    Zu tun gibts also auch in Deutschland anscheinend genug, “tun” wills bloß niemand.

  3. Was den Deutschlandteil betrifft: Eine aufgeklärte Öffentlichkeit könnte aber vermutlich mit neuerlich erfolgreichen Jaksches und Sinkewitzes auch wenig anfangen. Bei deren Geständnissen hatte ich auch nicht den Eindruck, dass diese komplett waren. Die Öffentlichkeit wendet sich entweder von einer Sportart ab oder jubelt denen zu, die noch eine Minimalchance auf Sauberkeit versprechen. Den meisten ist es lieber zu ahnen, dass man verarscht wird, als zu wissen, dass jemand Ex-Doper ist.

  4. Faschismus galore…
    Aber Bliss heißen, is klar.
    Ich las das und mußte an Freddy Röckenhaus denken. Da würd mich doch echt mal interessieren, welches Absehen der in welchen Kreisen -also BVB, Journalisten, Fans usw- genießt.
    Im Zweifel wird sowieso der Bote der schlechten Nachricht zur Verantwortung gezogen, wo auch immer. Ist einfach bequemer, schätze ich.

  5. Einfach mal nach Whistleblower oder Whistleblowing googlen und schon zeigt sich, dass dies nur ein weiteres typisches Whistleblowerschicksal ist. Überall ob in USA oder Europa im Sport oder in irgendeinem anderen Bereich, egal ob die Whistleblower zunächst selbst Mittäter waren oder nicht. Aber auch in Deutschland ist es halt immer noch einfacher diese als Nestbeschmutzer und Denunzianten zu beschimpfen als etwas daran zu ändern!

  6. Man darf ruhig statt Sport irgendetwas anderes einsetzen, und der Text bleibt so wahr, wie er ist.
    “Nestbeschmutzer”, wie schlecht wird mir immer, wenn ich das höre. Und wie regelmäßig.

    Aufgeklärte Öffentlichkeit? “Aufklärung” in einer sehr viel älteren Bedeutung ist es, woran es hier fehlt. Und zwar jede Menge und überall.