Indy 500! Wahnsinn! Drebuchschreiber stürzen sich in den Freitod!

Ist ein Arzt im Blog anwesend? Ich brauche einen Defibrillator!

Spätestens mit dem Finish der heutigen Indy 500 braucht es keine Motorsportfilme mehr. Alles an Drehbuch kann nicht mehr getoppt werden.

Das Rennen war ein langes Ausscheidungsrennen mit Dan Wheldon der die meiste Zeit ein unglaubliches Tempo vorlegte. Die Folge:sehr früh waren von den 33 Fahrzeuge nur noch 8, 9 Stück in der Führungsrunde. Die Indy 500 wurden dann knapp 50-75 Runden lang sehr statisch. Erst mit Gelblichtphasen im letzten Rennviertel kam wieder Leben in die Bude. Sam Hornish Jr., der permanent im Führungsquartett fuhr, hatte bei einem Boxenstopp ein Problem (der Tankstutzen blieb beim Losfahren hängen, es folgte eine Drive-Through-Strafe), fiel eine Runde zurück.

Gleichzeitig fingen die Fahrer der Führungsrunde an, ihre Tankstrategien auseinanderzudividieren. Bei einem Tankfenster von zirka 40 Runden wollten einige durchfahren, andere ließen es auf ein “Splash’n’Dash” ankommen, wieder andere machten einen vollen Boxenstopp um mit frischen Reifen anzugreifen.

Einschub: Das Prunkstück der US-Open-Wheel-Rennen, die Indy 500, leidet an der Spaltung der US-Rennszene zwischen IRL und Champ-Cars. Seit 2 Jahren sind die Ratings geringer als beim nachfolgenden NASCAR-Rennen und es gibt Probleme das 33er-Fahrerfeld aufzufüllen. Half letztes Jahr noch der Danica Patrick-Effekt (“Frau am Steuer”) einen gewissen Hype zu generieren, holte man dieses Jahr die Altmeister Al Unser Jr. und Michael Andretti nach 2 bzw. 3 Jahren aus der Versenkung zurück.

Das putzige: der 44jährige Michael Andretti fährt erstmals mit seinem Sohn, dem 19jährigen Marco Andretti, bei einem Rennen zusammen. Während Michael Andretti hierzulande eher als Formel-1-Flop bekannt ist, fuhr er in den USA diverse Siege in den Champ-Cars ein und ist schon aufgrund seines Familiennamens ein ganz Großer. Die Indy 500 blieben aber sein großes Begehr. In den 14 Rennstarts bei den Indy 500 kam er achtmal in die Top 10 ohne ein einziges Mal zu gewinnen. Nicht ein einziges Mal. 1991 wurde er hinter Rick Mears knapp Zweiter, 1992 ging ihm, in Führung liegend, der Motor neun Runden vor Schluß hoch.

Sprung wieder ins Jahr 2006: Sam Hornish Jr. bekommt wegen des verunglückten Boxenstopps eine Drive-Through-Penalty, die ihn zurückwirft. Er beschließt Risiko zu gehen und einen weiteren Boxenstopp einzulegen um mit frischen Reifen anzugreifen, während die meisten Fahrer zirka 20 Runden vor Schluß arg angegriffene Reifen haben. Hornish Jr. verliert eine Runde, ordnet sich direkt hinter den Spitzenreiter Kanaan ein, kann sich aber sehr schnell zurückrunden und fährt Kanaan davon. Von Kanaan war zu dem Zeitpunkt bekannt, dass er nochmal tanken muss. Kann er es sich leisten mit den schlechten Reifen noch länger draussen zu bleiben?

Die Entscheidung wird ihm abgenommen, weil just in diesen Augenblick Giaffone durch Mauerkontakt in Runde 191 (von 200) eine Gelblichphase verursacht.

Tony Kanaan, in Führung liegend, muss tanken, nimmt aber wohl keine neuen Reifen auf. Reihenweise nehmen die Fahrer aus den Führungsrunde den Weg gen Boxen, Sam Hornish Jr braucht den Abstand zum Führenden nicht mehr herunterzufahren, braucht sich nur in die Schlange hinterm Pace Car einzuordnen, die Führenden sind in Sichtweite:

Vater Michael Andretti, dahinter Sohnemann Marco Andretti, dann Dan Wheldon und auf Platz vier bereits Sam Hornish Jr. (ich hoffe ich hab die Reihenfolge korrekt, leider gibt es derzeit keine Stats)

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Michael Andretti fährt sich 14 Jahre lang einen Wolf um bei den Indy 500 zu scheitern. Dann lädt man ihn zu einer launigen Oldie-Tour ein und der alte Mann fährt fünf Runden vor Schluß um den Sieg mit.

Runde 195 der Restart, nur noch 5 Runden, pedal to the metal. Michael Andretti legt Tempo vor, Marco folgt, saugt sich hinten ran, Sam Hornish Jr. mit seinen Frischreifen schnupft Dan Wheldon

Runde 197: Nun ist es soweit, Marco Andretti geht aus dem Windschatten seines Vaters raus, nimmt die riskante Linie außen und geht geradezu spielerisch an Daddy vorbei. Auch das zum auf der Zunge zergehen lassen: Vater Michael Andretti fährt sich nun im 15ten Anlauf einen Wolf und sein Sohn Marco, ein IRL-Rookie, geht bei seinem ersten Indy-500-Auftritt drei Runden vor Schluß in die Führungsposition.

Runde 198: Sam Hornish Jr. rauscht wie eine Urgewalt heran, macht mit Michael Andretti kurzen Prozeß, hängt keine Viertelrunde später bereits im Luftsog von Marco Andretti, schert nach innen, Marco macht die Tür zu, Hornish muß das Gas lupfen um eine Kollision zu vermeiden und liegt plötzlich 20m zurück, riskiert gar noch von Michael Andretti und Wheldon überholt zu werden. Marco Andretti ist weg, quasi schon auf der Ehrenrunde, die weiße Flage wird geschwenkt, auf den Tribünen sind die Zuschauer schon seit dem Restart aufgestanden um die Andretti-Dynastie zu feiern, Marco Andretti auf der letzten Runde, fährt die lange, lange Gegengerade runter, eine Gegengerade wo der Windschatten so immens lange ist, so lange, dass es Hornish gelingt sich noch einmal ranzusaugen. Hornish ist bei Turn 3 zur Stelle, kann bei Turn 4 die Schnauze innen reinstoßen, Marco Andretti muss die weitere Außenlinie nehmen, beide drücken mit ihrem Gasfuß das Bodenblech durch, fahren die Start/Ziel runter, Hornish nimmt vom Windschatten noch einen Hauch mehr Speed mit und gewinnt nach einer Renndistanz von 804 Kilometer mit einer halben Wagenlänge (6 Hunderstelsekunden) und den Zuschauern gefrieren alle Extremitäten.

Es siegt Sam Hornish Jr, auch so eine Geschichte für sich, bei seinen 5 Indy500-Starts nie bis ins Ziel durchgekommen.

Zweiter wird Marco Andretti und dritter Vater Michael. Und an der Boxenmauer Vater bzw. Großvater Mario Andretti dem, glaube ich, alles abgefallen ist.

Nach dieser Story mit dem beinahe-Doppelsieg von Vater und Sohn, die dann auf der Start/Zielgeraden noch eingeholt werden, braucht es einfach keinen Motorsportfilm mehr. Das war bereits die Mutter aller Motorsportfilme.

Ich muß erstmal meine Tropfen einnehmen.

(Alle Geschehenisse aus dem Gedächnis und dem Endresultat rekonstruiert, hoffe hab alles richtig)

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ja, allerdings. Ich hab den Kinofilm zur Familie schon gesehen (will hier nicht spoilern)

  3. Ich bin eigentlich kein Fan der IRL, aber zu diesem Indy 500 fällt mir eigentlich nur noch eines ein:

    *WOW*

    _
    PS: An Tagen wie diesem wird mir klar, warum ich vor 11 Jahren meine Eltern solange wegen den Indy 500 bequatscht habe, bis sie ein Premiere-Probeabo abschlossen. (Co-Kommentar damals von Ellen Lohr, wenn ich mich recht entsinne)

  4. Die INDY 500 mit Ellen Lohr waren auch meine ersten INDY 500 *g*

    Ja, das war spannend! War am Ende aber wohl ein ganzer Wagen Vorsprung. Aber auch wenn es nur ein Frontflügel gewesen wäre: GEILE KISTE !! Sam Hornish jr hat sich trotz verpatzten Stop, Durchfahrtsstrafe und zugemachter Tur am Ende den Sieg super erkämpft! Glückwunsch dafür!

    Die INDY 500 waren übrigens der Grund, warum ich seit einem jahr diesen Blog besuche *g*

    Habe ich was vergessen? Ja! Die Kommentatoren… Lasst uns alle 5€ weniger an Premiere zahlen und Sven Heidfeld wird entlassen! Oder 5€ mehr und wir schießen ihn zum Mond!! Da ist NASCAR gerade Musik in meinen Ohren :-) Da läuft sogar wieder die deutsche Tonspur :-)

  5. @Svente
    Bei der IRL gibt Premiere einem ja noch die Möglichkeit, auf US-Ton zu wechseln. Dann ist es egal, was auf dem deutschen Ton passiert.

    Übel wird’s, wenn es wie bei der F1-Übertragung keine Kommentaralternative gibt und man B.B. weder visuell, noch akustisch entkommen kann. Das schreit nicht nach 5 EUR Nachlass, sondern nach Schmerzensgeld. Zumal der ja nicht nur beim F1 auftaucht, sondern einem auch den Fussball vermiest. Wie gut, dass dank NASN wenigstens die NFL-Zuschauerschaft vor ihm geschützt ist.

    Schöne Woche an alle!

  6. Bei den “Boost-Button-Twins” kann man so schöne “drinking games” veranstalten. Einen für jede Erwähnung von “Timo Glock”, zwei wenn die “ausgezeichnete Platzierung” von Glock erwähnt wird, einen wenn Danica Patrick erwähnt wird und schließlich fünf wenn mal wieder der Boost Button erklärt wird.

    Was Boris Becker angeht: es scheint die PREMIERE-Anweisung zu geben, Boris Becker nur aus der Perspektive des ehemaligen Spitzensportlers antworten zu lassen. Die Frage ob er früher als Profi genauso beschissen hätte wie Schumi, wurde am Sonntag gleich dreimal von den verschiedenen PREMIERE-Mikrophonträgern an BB gestellt.

    Es gibt bei der IRL auch faktische Gründe auf den US-Ton zu schalten: die Kommentatoren in den Containern in München erhalten nur ein Minimum an Infos und hatten offensichtlich auch nicht den US-Ton auf den Kopfhörern. Von der schwarzen Flagge Scott Dixons erfuhr man erst zwei Minuten nach erster Erwähnung im US-Kommentar und manch Zeitlupe stellte die Boost Button-Twins vor einem Rätsel, während die US-Kommentatoren z.B. zeigen wollten wie Al Unser Jr. über Schrittteile gefahren ist.

  7. Das Finale der Indy 500 war grossartig, und ich glaube, du hast alles richtig wiedergegeben. Sam Hornish Jr. konnte auch in den Kurven durch seine neuen Reifen einen unglaublichen Speed gehen und daher so schnell wieder auf Marco Andretti aufschließen. Und die Kommentatoren meinten, Marco wäre die letzten Kurven was vorsichtiger gefahren, weil Hornish so weit zurückgefallen war durch das eine Manöver. Aber ein großartiges Finale, unglaublich spannend.

  8. Ich hab erst 3 Rennen oder so der NASCAR bzw. IRL gesehen, aber mittlerweile hab ich da deutlich mehr Spass als bei der Formel 1. Zuerst dachte ich ja, dass auf den Ovalen rennsportechnisch weniger geboten ist, als auf den “normalen” Kursen, es stellt sich jedoch heraus, dass das Gegenteil der Fall ist. Hier wird wenigstens mal überholt. Immer schön Action. Und die Amis wissen, wie man Sport als Spektakel inszeniert.

    Während ich bei Formel 1-Übertragungen spätestens 5 Runden nach dem Start friedlich vor mich hin döse ( irgendwie wirkt das Motorengeräusch so einschläfernd ), bleibe ich bei NASCAR immer hellwach, und das trotz der vergleichsweise langen Renndistanz. Bei der Formel 1 ist höchstens noch das Qualifying interessant.

    Zum Indy 500: Beim Interview mit Andretti junior nach dem Rennen konnte man sehen, dass er noch ein Teenager ist. Ich glaub, der war den Tränen nahe. Immer wieder murmelte er vor sich hin: ” keine Ahnung, wo bei Hornish noch der Speed hergekommen ist”.
    Gute Frage. Ich hätte auch gewettet, dass Hornish nach dem ersten Block von Andretti nicht mehr genug Speed hat, um noch mal ranzukommen. Aber vielleicht ist Andretti auch zu konservativ gefahren, nachdem er Hornish in der vorletzten Runde geblockt hatte. Tatsache ist auch, dass das vielleicht auf lange Zeit die beste Chance eines Andrettis auf einen Sieg beim Indy 500 war. Jedenfalls ein geiles Finish, und das beste Argument für US Rennsport vs Formel 1.

  9. @dogfood

    Wie auch immer seine Rolle sein mag, für mich ist B.B. in der F1 / Fußball / Football (SB) (und wo immer er sonst noch auftaucht) eine Pein und überflüssig wie ein Kropf.

    Ich kann mich aber nicht so recht entscheiden, was schlimmer ist – die Werbung des Grauens auf NASN oder der Experte des Grauens auf Premiere…

  10. auch eine schön drinking-game-kompatible Sendung war ja damals “Ausser Kontrolle” auf Bäh. Zielgruppenorientiert direkt vor “Takeshis Castle” programmiert.
    Hach, dass waren noch Zeiten, als man zu solchen zeiten aus der Uni kam…