Castrolturfing

Astroturfing – Der Begriff Astroturfing bezeichnet – insbesondere im amerikanischen Sprachraum – Public-Relations- und kommerzielle Werbeprojekte, die darauf abzielen, den Eindruck einer spontanen Graswurzelbewegung vorzutäuschen. Ziel ist dabei, den Anschein einer unabhängigen öffentlichen Meinungsäußerung über Politiker, politische Gruppen, Produkte, Dienstleistungen, Ereignisse usw. zu erwecken, indem das Verhalten vieler verschiedener und geographisch getrennter Einzelpersonen zentral gesteuert wird.

Aus der Wikipedia.

Letzten Dienstag bekamen ich und mindestens ein weiterer Blogger eine etwas kuriose Mail. Mit einer polnischen Mailadresse wies eine “Sylwia” auf ein deutsches Blog hin, das sich mit Statistiken zur EM 2008 befasste. Nicht irgendwelche Statistiken, sondern Zahlenmaterial das von dem Schmiermittel-Hersteller Castrol aufbereitet wurde. “Sylwia” schrieb, man habe eine “persönliche Beziehung” (O-Ton) zu den Machern bei Castrol aufbauen können und es sollen EM-Fan-Artikel und Tickets verschenkt werden. Wenn man noch Frage habe oder über das Blog oder das Zahlenmaterial sprechen wolle, könne man einfach mit einer Mail antworten.

“Sylwia”. Kein Nachname. Kein Agenturname. Keine Adresse. Keine Telefonnummer. Nichts. Nada.

Das sind die Momente wo meine Bullshit-Detektoren wieder Alarm schlagen.

Ein Blick auf die genannte deutsche Website: kein Impressum. Der Name Castrol tauchte in jedem zweiten Blogeintrag auf, war in der Navigation mehrfach verlinkt. Die Blogeinträge nicht namentlich gezeichnet. Viele Bezüge auf andere Blogs. Fishing for Backlinks? Die polnische Website von der die eMail-Adresse stammt, war ähnlich aufgebaut: EM 2008, Castrol, Castrol, Castrol, keine Namen, keine Macher, kein Impressum.

Es roch drei Meilen gegen den Wind nach Astroturfing oder mieser Schleichwerbung.

Per WHOIS bzw. Denic ließen sich die deutsche und polnische Domains über den Umweg der unbekannten Agentur “Clicking Edge Consultancy” auf den Geschäftsführer der Designagentur Blue2 Design zurückführen, die wiederum der Marketingagentur Charlton angeschlossen ist.

Das schien meine Bullshit-Detektoren zu bestätigen: hier war PR-Schmu im Gange. Mit oder ohne Wissen von Castrol? Ich antwortete “Sylwia”:

Willst du vielleicht noch einen zweiten Anlauf nehmen und etwas mehr ins Detail gehen? Und zwar ohne “tarnen & täuschen”, sondern richtig auf die Karten “Transparenz” setzen?

Die Antwort kam einen Tag später. Wieder ohne Nachname, Telefonnummer, Kontaktadresse, Firmenangabe, Agenturnamen. Aber dafür mit der Bestätigung dass die Websites von Castrol gesponsort werden. Neben der Lobpreisung des Castrol-Zahlenmaterials fiel auch das Eingeständnis, dass die Blogs noch nicht die gewünschten Besucherzahlen haben und daher andere Blogger angeschrieben wurden.

Ende letzter Woche schickte ich eine Anfrage an die Presseabteilung von Castrol Deutschland. Sechs Fragen die sich darum drehten wer die zuständige Marketingagentur sei, ob diese offiziell im Auftrag von Castrol handele und wie Castrol zur Transparenz bei PR-Maßnahmen stünde, insbesondere in diesen konkreten Fall.

Ich bekam einen Tag später eine Antwort, nachdem Castrol Deutschland sich noch einmal beim Mutterhaus in England erkundigen musste.

1/ Die Agentur ist 1000heads Ltd.. Die Website von 1000heads besitzt nur eine Telefonnummer, aber keine Adresse. Domaininhaber ist oben erwähnte Marketingagentur Charlton. In der eMail-Antwort von Castrol legt 1000heads Wert auf die Feststellung dass eMail als primärer Kommunikationskanal verwendet wird und Telefonnummern, Instant-Messaging-Adressen etc… erst auf Nachfrage genannt werden

2/ Castrol sponsort die Blogs, erklärt sich aber nicht für die Blogs verantwortlich. Diese würden alleine von 1000heads produziert werden.

Wie es auf der Website von 1000heads unter “Ethik” gemäß einer Selbstverpflichtung von versch. Agenturen so schön heißt:

Honesty of Relationship

We practise openness about the relationship between consumers, advocates, and marketers. We encourage word of mouth advocates to disclose their relationship with marketers in their communications with other consumers. We don’t tell them specifically what to say, but we do instruct them to be open and honest about any relationship with a marketer and about any products or incentives that they may have received.

We stand against spam, shill and undercover marketing, whereby people are incentivised to make recommendations they don’t believe in.

We comply with regulations that state: “When there exists a connection between the endorser and the seller of the advertised product which might materially affect the weight or credibility of the endorsement (i.e., the connection is not reasonably expected by the audience) such connection must be fully disclosed.”

Es ist ziemlich offensichtlich, dass dies hier nicht der Fall war. “Sylwia” hat sich auch auf Nachfrage als gar nichts ausgegeben. Von einer Agentur oder einem Auftraggeber nicht die Spur. Die Verbindungen zwischen den Blogs und Castrol wurden anfangs als “persönliche Beziehung” umschrieben und erst auf explizite Nachfrage als Sponsoring bezeichnet. Auf der Website war nirgends eine Auszeichnung des Sponsors zu erkennen und damit für den Besucher nicht klar, aus welchen Interessenslagen heraus, die üppige Erwähnung der Castrol-Statistik-Website geschieht.

Die obige Selbstverpflichtung ist mit Verlaub der reinste Bullshit, wie auch die Antwort von 1000heads an Castrol zeigte, die nicht auf den konkreten Fall einging. Mitte Januar kontaktierten mich ebenfalls aus England Ogilvy PR Worldwide um Astroturfing in Sachen Gebärmutterhalskrebs zu betreiben. Ich bekam nicht nur unaufgefordert eine ellenlange eMail. Die Agentur hakte per Telefon aus London noch einmal nach ob das Thema für mich und das andere Blog interessant sei. Ich verneinte, aber sprach natürlich darüber mit Don Alphonso und es wurde Blogger Strappato eingeweiht, der sich in der Pharmaindustrie auskennt. Strappato hat sich in der Blobar über die Zusammenhänge zwischen diesem Astroturfing, einer Lobbygruppe und den daran beteiligten Pharmakonzernen die an Gebärmutterhalskrebs-Impfung verdienen, ausgelassen.

Natürlich wurde diese Interessenslage von Ogilvy nicht genannt. Offensichtlich hatte man sich noch nicht einmal die Mühe gemacht die eigenen Regeln zu lesen um zu ahnen, dass ein Pitch für Gebärmutterhalskrebs-Impfungen für blogbar.de mehr als idiotisch war.

Drei Monate später nun die nächsten PR-Honks von der Insel. Dies ist wohlgemerkt kein Versehen gewesen. Blogs, eMail und Webauftritt der Agentur sind nach dem Prinzip “Tarnen und Täuschen” angelegt worden.

Es ist von mir eine bewusste Entscheidung in diesem Blog aktuell keine Anzeigen oder Banner aufzunehmen und sinnleere Kommentare die im Verdacht stehen nur den Link auf die eigene Website unterzubringen, zu kicken. Was in meinen Einträgen verlinkt wird und was nicht, ist meine freie Entscheidung. Insofern fühle ich mich hintergangen, wenn sich jemand mit Täuschungsmanöver versucht, bei mir Aufmerksamkeit und Links zu holen.

Es zerstört Vertrauen, wenn man sich angewöhnen muss, hinter jeder eMail-Anfrage kommerzielle Ansinnen zu vermuten. Und natürlich bin ich durch solche Geschichten gegenüber PR-Agenturen nicht aufgeschlossener geworden. Sortiert endlich eure schwarzen Schafe aus und haltet euch an eure eigenen Selbstverpflichtungen! Wenn die PR nicht anfängt Selbstreinigungsprozesse in Gang zu setzen, müsst ihr euch nicht mehr wundern, wenn ihr nur noch als Bodensatz behandelt werdet.

Zumindest Castrol Deutschland muss ich etwas in Schutz nehmen: sie haben sich professionell verhalten. Es gab noch am Tag meiner Anfrage eine erste Rückmeldung und einen Tag später die weitergeleitete Antwort aus England. Die Blog-Aktion ist offensichtlich aus England gesteuert worden.

Und als Kirsche oben drauf das schlechte Gewissen. Zum Vergleich ein Screenshot alt (oben) und neu (unten)
[1] Sponsorenhinweis
[2] Sponsorenhinweis
[3] Impressum mit Adresse der 1000heads Ltd., aber ohne ViSdP.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Respekt, dass Du jegliche schmierige Sponsoranspielung umschifft hast!

  3. meine güte, das genzt ja nahezu an investigativen journalismus. lass das bloß keinen deutschen sportjournalisten sehen!

  4. […] Kai wusste aber im Gegensatz zu uns, wie man auf solch eine Email reagiert und kündigte an, Sylwia zu antworten, um ihr eine zweite Chance zu geben, ihren Auftraggeber offenzulegen. Ob sie das tat und was Castrol zu dieser Geschichte sagt, steht nun ausführlich bei Alles Außer Sport. […]

  5. Ich möchte gerne auf einige Probleme näher eingehen, die hier angesprochen wurden. Zunächst einmal möchte ich mich entschuldigen falls Kai den Eindruck bekommen hat, dass wir ihn astroturft gehabt haben. Das war sicher nicht beabsichtigt. Wir haben die einzelnen Blogger ausgesucht, weil wir dachten, dass sie sich für die Castrolindex Site interessieren, da sie schon über andere relevante Dinge geschrieben haben.

    Alle Kontakte mit den Bloggern waren privat und individuell. Unser Anliegene war es immer, unsere Beziehung zu unseren Kunden offen und transparent darzustellen.

    Auf Kais Kommentar hin haben wir unser Team instruiert sicherzustellen, dass jeder Blogger mit dem wir reden weiss, wer wir sind aund in welchem Auftrag wir handeln. Wir haben darueber hinaus ein Impressum auf die Seite http://www.em2008statistik.de gesetzt die besagt, dass die seite von Castrol gesponsort ist um Missverstaendnisse vorzubeugen.

    Dieser Grundsätze sind uns sehr wichtig und wir schätzen es, wenn wir darauf aufmerksam gemacht werden wenn gelegentlich etwas verbesserungswürdig ist. So können wir künftige Fehler vermeiden.

  6. […] Kai wusste aber im Gegensatz zu uns, wie man auf solch eine Email reagiert und kündigte an, Sylwia zu antworten, um ihr eine zweite Chance zu geben, ihren Auftraggeber offenzulegen. Ob sie das tat und was Castrol zu dieser Geschichte sagt, steht nun ausführlich bei Alles Außer Sport. Nachtrag nlp: Ebenso dort zu finden eine kleine Castrol-Entschuldigung. […]

  7. @Linksaußen: zu spät ;-)

  8. […] ist aber nicht gelungen und so kommen Trainer Baade, der deutsche EM-Blog und allesaußersport hervor und berichten über diese unglaubliche […]