Den Trainer-GAU vermeiden

Vor zwei Wochen ist der Fußball-Lotse Völler von Bord gegangen. Seit zwei Wochen wird nach einem Nachfolger gesucht. Zuerst im Alleingang von MV (was niemanden gefallen hat) und nun mit Findungskommission (Kommission — typisch deutsch, gefällt auch niemandem).

Erstaunlich ist wie geräuschlos die Sache vor sich geht. Ja, geräuschlos. Da sollte man sich nicht von den Schlagzeilen täuschen lassen. Selten dass die BILD derart wenig Substanz hatte um seine Artikel zusammenzubasteln. So laut BILD nun Rehhagel pusht (BTW: der einzige Trainer der im Ausland häufiger korrekt geschrieben wird, als im eigenen Land — sic!), sie schaffen es noch nicht einmal sich auf Gerüchte oder interne Kreise zu berufen. Da muss schon belangloses Geplauder von Beckenbauer herhalten.

Dass die tumbe BILD Rehhagel pusht, verwundert nicht, weiter als “wer Erfolg hat, hat Recht” vermag man im Axel-Springer-Haus nicht zu denken. Aber es gibt auch argumentativ schlagkräftigere Befürworter Rehhagels, z.B. Jan Christian Müller von der Frankfurter Rundschau, der in “Otto-Katalog” drei von fünf Argumente gegen Rehhagel auseinandernimmt.

1. Rehhagel lässt antiquierten Fußball mit Libero spielen — Falsch. Tatsächlich hat Rehhagel sowohl mit dem 1. FC Kaiserslautern als auch mit Griechenland und anfangs mit Werder Bremen einen freien Mann als Organisator hinter der Abwehr eingesetzt: Kadlec, Dellas, Fichtel, dann Pezzey. Er hat jedoch mit Werder zwischen 1991 und 1993 Pokal, Europapokal und Meisterschaft gewonnen, als Klaus Fichtel und Bruno Pezzey längst durch Rune Bratseth abgelöst worden waren. Bratseth bildete Deutschlands erste Einerkette. Rehhagel war seiner Zeit voraus. Weil er in Bratseth den richtigen Mann für diese Aufgabe hatte.

2. Rehhagel stellt seine Mannschaften grundsätzlich defensiv ein. — Rehhagel lässt seine Mannschaften so offensiv wie möglich und so defensiv wie nötig spielen. Um mit Griechenland Europameister zu werden, gab es keine Alternative zur strikten Defensivtaktik […] Die Meisterschaften mit Bremen und Kaiserslautern erreichte Rehhagel dagegen auf völlig andere Weise: Mit ansehnlichem Offensivfußball, meist vorgetragen über die Außenpositionen (Reinders, Wolter, Buck, Wagner) und kopfballstarken Mittelstürmern (Neubarth, Riedle, Hobsch, Marschall).

3. Rehhagel baut schon immer zu wenige Talente ein — Männer wie Völler, Reck, Riedle, Eilts, Bode, Hermann, Schaaf, Neubarth, Wolter, Otten, Meier, Reich, Ballack und Klose holte Rehhagel von den eigenen Amateuren oder aus kleinen Clubs, als diese Spieler noch keinen Namen hatten.

Na ja, die argumentative Not muss groß sein, wenn man schon Bernd Hobsch, Otten und Oliver Reck als Premium-Spieler rauskramen muss.

Aber ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass Rehhagel Erbe Sepp Herbergers wird, trotz Kautzigkeitsfaktor irgendwo zwischen Herberger und Schön. Man sollte sich nicht durch das Geschwalle von Franz Beckenbauer ablenken lassen, Beckenbauer hat Rehhagel am eigenen Leib bei Bayern erlebt und wird ihn nicht zulassen. MV sucht eucht einen Trainer von Welt, und nicht so etwas provinzielles. Und Hackmann ist meinungs- und rückgratsfreie Zone.

Christoph Daum? Denn wird die Bayern-Fraktion nicht zulassen, die Koks-geschichte dürfte für MV selber, kein Problem darstellen (“mache wir ebe eine Kampagn ond Christoph’, du stellst dich vorn’ hiin und sagscht du häts g’sündigt“).

Lothar Matthäus? Ich hoffe die nationale Findungskommission hat noch genügend Hirnzellen zusammen um zu ahnen, dass dies einem Amoklauf gleichkommen würde. Nicht nur, dass Matthäus einer der meist gehassten Figuren und damit Völler-Antipode ist. Nach den Vorfällen der EM2000 dürfte auch bei etlichen Spielern die Unlust steigen, das Bundesadler-Leibchen überzustreifen. Zudem ist Matthäus Trainer-Bio bislang nicht wirklich eine verkaufbare Erfolgsgeschichte. Selten länger als ein Jahr geblieben und noch vor kurzem über die Machtlosigkeit von Nationaltrainern gejammert und mit der Türkei geflirtet. Angeblich, so wollen es die Zeitungen wissen, soll Matthäus Beckenbauers Favorit sein.

Erstaunlich die weiteren Namen die kursieren: Volker Finke und Bremens Schaaf. Das diese Namen von den Dampfplauderern MV und Beckenbauer ernstgenommen werden, kann man gar nicht glauben. Und das ein Finke sich das Amt mit all seinem Brimbaborium geben will, ist außerhalb meiner Vorstellungskraft. Aber beides wären sehr interessante Varianten.

Und das war es dann auch schon mit deutschen Trainer. Wenn man sich anschaut wie schnell die Diskussion sich auf Hitzfeld zuspitzte und danach auf Rehhagel, weil der “zufällig” gerade einen Titel geholt hat, so stellt das der deutschen Trainergilde kein gutes Zeugnis aus. Trotz Diplom und Sportschule Köln und ähnliches. Und es ist nicht das erste Mal, dass diese Malaise beim Bundestrainer-Job auffällt. Jener Job musste mit Beckenbauer und Völler bereits zweimal mit Notlösungen aufgefüllt werden…

Und dann noch die ausländischen Trainer.

Arséne Wenger, jedesmal in Deutschland im Gespräch, wenn bei einem Großstadtklub ein Job frei ist, sei es Hertha, Bayern oder Hamburg. Der Mann hat Stil, hat Format. Das er gerade mit Arsenal den Titel geholt hat, ist nicht der schlechteste Zeitpunkt um den Job zu wechseln, aber so wie ich Wenger einschätze, kränkt es ihn immer noch zutiefst, dass er mit Arsenal noch nicht die Championsleague geschafft hat. Und bei der Aufrüstung die momentan quer durch die gesamte Premiereleague zu Gange ist, bleibt der Arsenal-Job zu reizvoll. Was man auch daran erkennt, dass der Franzose recht schnell abgewunken hat, als der französische Verband wg. Santini-Nachfolge angeklopft hat.

Guus Hiddink. Kann ich nicht viel zu sagen. Wie jeder der drei Millionen Holländer, war auch er mal kurz Bondscoach, hat mit Südkorea unter besonderen Bedingungen besondere Arbeit geleistet, aber sonst? Keine Ahnung. Ein Holländer muss nicht qua Reisepaß Nachwuchsförderer und Verfechter des Offensivfußballs sein.

Morton Olson? Hat wohl bereits abgesagt, braucht also nicht diskutiert zu werden.

Wenn man sich alle Namen betrachtet, wenn man hört, dass die Liste der Findungskommision fünf Namen enthält und geschlossen ist, dann gibt es eigentlich nur noch drei Kandidaten die übrig bleiben: Rehhagel, Hiddink und Matthäus. Zwei von drei Varianten würde ich als GAU bewerten.

Es stehen bittere Jahre an.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Inzwischen soll Wenger offiziell abgesagt haben.