Was von der Leichtathletik-WM 2005 blieb

Ich bin eigentlich durchaus für Leichtathletik zu haben, aber diese WM fand ich vergleichsweise öde.

Das fängt mit Grundsätzlichem an. Die WM machte den Eindruck, als ob sie mit Müh’ und Not auf 9 Tage gestreckt worden wäre, um über zwei Wochenenden zu reichen. Die Abendveranstaltungen wurden so zu recht zähen Veranstaltung, die teilweise nur drei Finals boten. Da man aber gleichzeitig teilweise unendlich viele Vorläufe in den Abend gelegt hatte, gab es das Kuriosum das trotz dieses langatmigen Zeitplans zahlreiche technische Disziplinen in der Übertragung viel zu kurz gekommen sind.

Viel Kritik gab es am Veranstaltungsort Helsinki. Ich kann aus der Ferne nicht beurteilen inwieweit im Vorfeld gegebene Zusagen z.B. bzgl. der Renovierung des Stadions nicht eingehalten worden sind. Aber mitunter finde ich das Anspruchsdenken der Leichtathletik bedenklich. Man hatte in Helsinki ein dankbares, frenetisches Publikum, trotz des schlechten Wetters. Regnerisches Wetter kann überall passieren, wäre auch z.B. in Hamburg nicht besser gewesen.

Der für Marketing zuständige IAAF-Vizepräsident Helmut Digel haut aber in einem Interview mit der FR große Töne raus:

Wir sollten künftig nur noch in Stadien gehen, in denen die Sporttechnik völlig geschützt ist. Ein voll überdachtes Stadion muss Standard sein. Auch sollten wir Stadien mit Minimum 50 000 Zuschauer wählen – und Länder, in denen die Marketinginteressen erfüllt werden können. Das kann man den Finnen selbst natürlich nicht vorwerfen, sie sind eine Nation mit fünf Millionen Einwohnern. Das ist im Marketingbereich für die Sponsoren aber weit weniger interessant.

So sehr ich Helmut Digel normalerweise schätze, ich finde die Aussagen aber schäbig und von übergroßem Selbstbewusstsein geprägt. Wieviele überdachte 50.000er-Stadien mit Laufbahn gibt es denn in Europa noch? Ich bin mir nicht sicher was die Überdachung angeht, aber aus Deutschland fallen mir nur noch das Olympiastadion in Berlin und das Gottfried-Daimler-Stadion in Stuttgart ein.

Es ist immer das große Plus der Leichtathletik gewesen, eben nicht den Weg anderer Sportarten wie z.B. Fußball zu gehen und bewusst auch kleine Länder zu berücksichtigen. Helmut Diegel spricht selber davon, dass der Anteil der Europäer am Medaillienspiegel abnimmt, inzwischen bei 50% angelangt ist. Die Zahl der Leichtathletikverbände hat sich in den letzten 22 Jahren von 153 auf über 200 erhöht, gleichzeitig geht die Partizipation an Nachwuchs-Events in den europäischen Ländern zurück.

Die Zukunft der Leichtathletik kann nicht darin liegen, den gleichen Weg wie Olympia und Fußball-WM zu gehen und die Hürden für die Austragung einer WM so hoch zu legen, dass damit automatisch eh nur noch die gleichen 10, 20 Länder in Frage kommen.

Was ist sportlich geblieben?

Da ist nicht viel haften geblieben, u.a. weil dieses Jahr nahezu allen Langstrecken-Läufern Charisma abging. Eine Ausnahme würde ich für die äthiopischen Frauen über 5.000m und 10.000m und da für die Dibaba-Sisters machen. Wie die insbesondere bei den 10.000m in der Schlußrunde mit einem Mal den Schalter umlegen und das Feld so zerlegen als ob es kein Morgen gibt, das war sensationell. Die sind die Schlußrunde gerannt wie andere die 400m rennen. Sensationell.

Ich mag das Gehype vom Paula Redcliffe nicht, das in England veranstaltet wird, aber der Marathon-Sieg war einfach eine von Start bis zum Ziel wirklich dominante Leistung.

Apropos Dominanz: Isinbayeva im Stabhochsprung der Frauen. Selten sieht man einen solchen Hierarchen in einer Disziplin, die zudem in der Lage ist auch kokett mit dem Publikum zu spielen. Ich frage mich was passiert, wenn eine solche Person die in der Frühphase einer Disziplin Weltrekorde nach Gusto aufstellen kann, eines Tages merkt: “es geht nicht mehr höher”, wenn eine Disziplin ihre Reife erreicht hat und Weltrekorde eben nicht mehr im Monatsrythmus fallen.

Klasse auch die Medaillen durch Franka Dietzsch, die aus dem Nichts heraus mit dem Diskus einen ersten Wurf hinlegt, den man auf ihre alten tage kaum zugetraut hätte (trotz souveräner Qualifikation). Oder Obergföll im Speerwerfen, die den Wurf ihres Lebens macht und damit Europarekord macht. Oder Möllenbeck im Diskus, der mit einem zerknautschten Gesicht und Schwabbelbauch so aussah, als würde er gerade aus der Eckkneipe kommen. Oder Zwerg Nelson im Kugelstoßen, der wie ein Derwisch sich bei jedem Versuch zuerst an seiner Trainingsjacke vergeht.

Alles witzige oder beeindruckende Typen, von denen es aber dieses Jahr zuwenige gegeben hat.

Aus deutscher Sicht in den Medien das alljährliche Lamentieren über den Stand der Leistungen. Und dieses Jahr schließen sich auch die Briten an, die die Leistung der Mannschaft unter “Horror” subsummieren.

Die nächste Leichtathletik-WM 2007 ist in Osaka, sprich 7h der Zeit voraus. Die Finals werden also mittags deutscher Zeit stattfinden und die Vorkämpfe mitten in der Nacht.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Meint Helmut Digel mit “Ein voll überdachtes Stadion” nicht ein Stadion wo der Innenraum ebenfalss gedeckt ist oder dies möflich sei wie auf Schalke oder das Waldstadion in Frankfurt? Da würde mir in Deutschland keines einfallen der dies ist.

  3. Das kann ich mir nicht vorstellen, denn mir würde keines in Europa mit Laufbahn einfallen. Mir fällt spontan noch nicht mal für die USA eines mit 400m-Laufbahn ein.

    Ich denke es geht wirklich um ein *für die Zuschauer* voll überdachtes Stadion, bei dem sich notfalls auch die Technik schnell ins Trockene wegräumen läßt.

  4. Das ist doch Schwachsinn, was Herr Digel da sagt! Nur noch in Stadien mit mindestens 50.000 Zuschauern gehen…damit dann 40% der Plätze frei bleiben??? Die Leichtathletik ist von ihrer Popularität (leider nur) eine Sportart, für die Stadien bis 30.000 dicke ausreichen. Beispiele gibt es doch genug: Stockholm, Oslo, Zürich…
    Es gibt einige wenige Ausnahmen, wo auch riesige Schüsseln gefüllt werden (Paris), aber es sind und bleiben eben Ausnahmen!

  5. Stimme dem Kommentar spät, aber voll zu. War bei allen 10 WM’s “vor Ort”. Helsinki war von der Stimmung und Zuschauerresonanz her gut. Das inzwischen etwas ältliche Stadion war stets ordentlich gefüllt – und das bei stolzen Eintrittspreisen. Was nutzt eine teilweise kaum gefüllte Riesenarena mit Zuschauern, die keinerlei Ahnung haben (siehe zB Tokio, wo trotzdem kaum Tickets zu haben waren, weil diese überwiegend über Sponsoren verteilt worden waren oder der Extremfall Athen, wo absolute Leichtathletik-Ignoranten aus den Kasernen hingekarrt worden sind, um im Hinblick auf die Olympiabewerbung leere Ränge zu vermeiden)? Wenn künftig in Ländern wie Finnland keine Meisterschaften mehr stattfinden können, gewinnt die Leichtathletik nicht, sondern verliert.
    Noch ein Satz zum Wetter in Helsinki: Es war nie kalt, es gab Katakomben und die Stimmung war bei Regen und Sturm richtig bombig (für die Athleten war es natürlich weniger schön). 1987 in Rom fand der 400m -Lauf der Zehnkämpfer übrigens bei Platzregen statt und die Bahn stand teilweise mindestens 5 cm unter Wasser. Anschließend konnten damals dann die verbliebenen Zuschauer noch eine Runde bei immer noch strömenden Regen dranhängen – auch da Superstimmung (in dem sogar bei den Athleten, zB Siggi Wentz).