Schweinejournalismus…

Ich mache jetzt mal was völlig unschickliches und zitiere fast einen kompletten Artikel, der in der Samstags-Ausgabe der Frankfurter Rundschau erschienen ist und von Wolfgang Hettfleisch geschrieben wurde (siehe FR-Website).

Es geht (nicht nur) um das Thema Schweinsteiger, der am Donnerstag von einem Boulevardblatt durch das Dorf gejagt wurde, mit Anschuldigungen, dass er massiv im Wettskandal verstrickt sei.

Ich habe die Geschichte nicht nur, aber auch deswegen nicht gebracht, weil ich extrem mißtrauisch werde, wenn plötzlich Medien einen auf investigativ machen, die ansonsten für eher billigen Journalismus bekannt sind. So war es mit der Plusminus-Geschichte am Anfang der Woche (auch von Thomas Knüwer/Handelsblatt inzwischen kritisch gewürdigt) und so war es mit der TZ am Donnerstag.

Übrigens, weil kaum erwähnt, sollte auch mal die Rolle des SPIEGELs beim “Calmund-Skandal” hier erwähnt werden. Johannes Nitschmann und Hans Leyendecker haben am Donnerstag einen entsprechenden Artikel in der SZ geschrieben. Kurzfassung: der SPIEGEL hat die Ermittlungen gegen Calmund durch ein Gespräch über seine Erkenntnisse mit einem Staatsanwalt angestossen. Während aber die Calmund-Geschichte einigermassen durch Ermittlungen abgedeckt ist, hat der SPIEGEL eigenmächtig und gegen mehrmaliges Anraten des Staatsanwaltes auch noch den Namen Ansgar Brinkmann ins Spiel gebracht, gegen den eben keine Ermittlungen laufen. Nicht in Bielefeld und nicht in Köln. Was den SPIEGEL aber nicht abgehalten hat.

Die tz-Geschichte um Schweinsteiger (und Agostino und Lanzaat) ist aber nur noch als versuchter Rufmord zu bezeichnen. Wolfgang Hettfleisch bringt es in der Samstags-FR auf den Punkt:

[…] Die Staatsanwaltschaft München I führe die Fußballer als Verdächtige und habe sie verhört, berichtete [die tz]. Oberstaatsanwalt Anton Winkler dementierte: keine Ladung, keine Vernehmung, keine Beschuldigten. Am Freitag zog die Zeitung ihre Darstellung zurück. Schweinsteiger will wegen übler Nachrede klagen. Der Klub verhängte ein Hausverbot gegen tz-Journalisten, Manager Hoeneß kündigte weitere Schritte an, Vorstandschef Rummenigge spricht von Rufmord.

Dabei hat der für den Spieler entstandene Schaden weniger mit einer tz-Recherche von mangelnder Qualität als mit den Prinzipien des modernen Journalismus zu tun. Minuten nach der Meldung der tz wimmelte es im Internet von Berichten zu Schweinsteigers vorgeblicher Verstrickung. Und während der Fußballübertragungen im Fernsehen bei Premiere (zweite Liga) und im ZDF (Schalke – Palermo) wurde die “Sensation” eifrig weiterverbreitet.

“Das Problem beginnt bei Plusminus”, sagt Hans Leyendecker. Der Reporter der Süddeutschen Zeitung nennt den Beitrag des ARD-Magazins, der die Gerüchteküche erst richtig zum Brodeln brachte, “ein Soufflé” und kritisiert: “An Belegen ist da nichts.” Falle dann ein prominenter Name, beginne “die große Hatz”. Eine, an der sich nicht alle beteiligten. Die FR enthielt ihren Lesern die Namen der drei Münchner Profis am Freitag vor. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung verzichtete ganz auf das Thema. “Als ein klares Dementi des Staatsanwalts kam, war die Sache für uns mausetot”, sagt FAZ-Sportchef Jörg Hahn. Dennoch hält er die völlige Abstinenz nun für falsch, denn: “Die späteren Stellungnahmen von Hoeneß und Rummenigge machten aus einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung eine zulässige.”

Auch das Internetmedium Spiegel online, auf Tempo abonniert, ließ die “Schweinsteiger-Story”, die nach Lage der Dinge keine ist, bis Freitag links liegen. “Wir haben gesagt, wir gehen mit dem Namen erst raus, wenn wir eine Stellungnahme von ihm oder seinem Anwalt haben”, so der Stellvertretende Chefredakteur Wolfgang Büchner. Aber können sich Journalisten diese Sorgfalt angesichts der medialen Vervielfältigung und Beschleunigung noch leisten? “Sie müssen”, sagt Hans Leyendecker.

Das sollte als Lehre dienen, nicht jeder Sau hinterherzujagen, die von bestimmten Medien in die Welt gesetzt wird.

Die Medienwelt hat durch das Internet und den neuen, zahlreichen Fernsehkanälen eine Beschleunigung erfahren. Häufig auf Kosten der Qualität. Umso stärker kommt es darauf an, dass man Sensibilitäten für vertrauenswürdige Nachrichtenquellen entwickelt. Ein erster Schritt ist es, sich die Namen von guten Journalisten und guten Medien zu merken und diese zu achten und zu würdigen. Also öfters mal auf das Kleingedruckte vor und hinter den Artikeln achten. Damit solche Medien wie die tz für die nächsten Monate und Jahre nicht mehr für voll genommen werden.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Wie plusminus und tz einen Skandal fabrizieren…

    … der anscheinend keiner ist. Jedenfalls nach derzeitiger Quellenlage kein Fußballskandal, sondern vielmehr ein Medienskandal.
    Da berichtet plusminus von Verdächtigungen (siehe Video) , wonach auch ein Fußball-Nationalspieler in einen Wettsk…

  3. Die Zielgruppe der tz wird aber diesen “Medienskandal” in ungefähr 3 Wochen wieder vergessen haben und deshalb weiter fleißig die tz kaufen.
    Schade, denn die tz hätte es eigentlich verdient, dass die Absatzzahlen einbrechen.

  4. Es ist ja auch interessant, wenn man sich mal Gedanken macht, wie die tz auf den Namen Schweinsteiger gekommen sein könnte.

    Ich “spinne” mal rum:

    – Plusminus “recherchiert”

    – Plusminus wird vom BR produziert, daher (!!!) ermittelt die Staatsanwaltschaft München

    – Das kapiert die tz nicht, die denken, die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt, weil es wohl ein Münchner Spieler ist.

    – Da der Plusminus Bericht von einem deutschen Nationalspieler spricht, bleiben da nicht viele übrig. Ballack und Kahn sind zu alt und zu reich, die machen so was nicht. Lahm erscheint zu ehrlich, dem würde man das auch nicht abnehmen. Deisler ist in seinem ganzen Auftreten auch nicht in dieser Ecke zu vermuten – bleibt also Schweinsteiger.

    Da schießt die tz aufgrund einer falschen Schlussfolgerung (Staatsanwaltschaft München ermittele, weil ein Münchner Spieler involviert sei) ins Dunkel, in der Hoffnung, es möge schon den Richtigen treffen.

  5. An einen totalen Schuss ins Dunkle glaube ich nicht. Allerdings an etwas eigentlich viel schlimmeres: Die tz befragt diverse “Informanten” aus dem Umfeld der Mannschaft und bastelt sich aus der wahrscheinlich um jede Mannschaft brodelnden Gerüchteküche ihren Verdächtigen. Interessant wäre die Frage, wer “Schweini” da eventuell schaden wollte ;) Was ist eigentlich mit dem beiden auch genannten 1860er-Spielern?

  6. Die “tz” lt. eigener Website am 17.3. zum Thema:

    Auch werden Schweinsteiger, Agostino und Lanzaat nicht als „Beschuldigte“ bei der Staatsanwaltschaft München I geführt. Dennoch bleibt: Ihre Namen fallen immer wieder. Abwarten, was passiert! […] Wir haben nicht behauptet, dass die drei Fußballspieler aktiv an einem Wett-Skandal beteiligt sind, sondern lediglich darüber berichtet, dass diese Namen im Zusamenhang mit den Ermittlungen auftauchen.

    Die “tz” wird lt. dpa am Montag einen Wideruf abdrucken:

    Die Behauptung, Bayern-Spieler Bastian Schweinsteiger sei in den Wettskandal verwickelt, wird dabei als unwahr bezeichnet.

    Ich bin gespannt wie Chefredakteur Schermann den Widerspruch zwischen Freitag “sein Name taucht in Ermittlungen auf” und Sonntag “Schweinsteiger ist nicht verwickelt” auflöst.