Super Bowl-Happen #2: Bohnen mit Äpfel vergleichen

Bei Flickr gibt es eine Grafik zu sehen, die alle 41 bisherigen Super Bowl-Logos vereint.

Aber eigentlich anderes Thema: im Super Bowl spielen morgen die NY Giants gegen die New England Patriots. Es ist gleichzeitig auch das Duell zweier Städte in den USA die sportlich in Feindschaft zueinander stehen: New York und Boston. Big Apple gegen Beantown.

Paradebeispiel ist der Schmäh mit dem sich Yankees und Red Sox diverse Male im Jahr bewerfen. Eine historisch gewachsene Feindschaft, nicht zuletzt dank des “Fluchs des Babe Ruths” bzw: “Curse of the Bambino” als die Red Sox – damals das erfolgreichste Baseball-Team – ihren Star Babe Ruth 1919 an die Yankees verkauften und vom Schicksal bestraft wurden, indem sie lange Jahre keine Baseball-Meisterschaft mehr gewinnen sollten, während die Yankees mit Ruth vier World Series gewannen. Erst 2004 konnten die Red Sox den Fluch unter dramatischen Umständen mit einem Comebacksieg gegen die Yankees ablegen – die Yankees hatten in der Zwischenzeit 26 Titel geholt.

Knapp 600.000 Einwohner groß, haftet Boston der Ruf des Provinziellen an. Eine Bekannte berichtet von Bürgersteigen die nach Feierabend hochgeklappt werden. Eine Stadt langweilig, elitär, verkopft, wissentschaftlich (Harvard, MIT etc). New York ist die klassische amerikanische Stadt, in der die Straßen wie auf einem Schachbrett angelegt sind und die Avenues oder Streets durchnummeriert sind. Bostons Stadtplan sieht dagegen klassisch europäisch aus. Straßenzüge die kreuz und quer gehen. Kurven und Sackgassen.

Für Boston muss es schmerzen zu sehen, wie New York im Laufe der letzten Jahrhunderte Boston immer mehr den Rang abgelaufen hat. War Boston früher noch Mittelpunkt als größte Stadt der britischen Kolonie, Ausgangspunkt der Amerikanischen Revolution, größter Handelshafen und damit größtes Industriezentrum, verlor es im 20ten Jahrhundert immer mehr an Einfluß. Die Industrie starb, die Stadt musste einen Strukturwandel mitmachen, der sie knapp ein Viertel der Bevölkerung gekostet hat. Auch bitter: das Vorzeigeblatt, der Boston Globe, gehört inzwischen dem Firmenimperium der NY Times.

Während New York der Prototyp des Melting Pots ist, wird Boston häufig mit seinen 15% Bevölkerung irischer Abstammung gleich gesetzt und für latenten Rassismus. Das ist zumindest eine immer wieder geäußerte Meinung von schwarzen Sportlern. Nicht zuletzt waren die Boston Celtics (schon der Name!) in den 80ers in einer ihrer erfolgreichsten Periode rund um Larry Bird ein fast rein weißes Team und die Antithese zu den LA Lakers mit Magic Johnson. Das Duell bezog damals eines ihrer Reize aus dieser Konfrontation zwischen Weiß und Schwarz (siehe True Hoop)

Die Boston Celtics wie die NY Knicks gehören zu den Gründungmitgliedern der NBA, wurden 1946 gegründet und schossen sich immer wieder gegenseitig aus den Playoffs.

Auch in der NHL gehören die Boston Bruins und NY Rangers zu den Original Six, zu den Gründungsmitgliedern. Die Bruins waren zwei Jahre früher – 1924 – als die Rangers dran. Nach Stanley Cups steht es 5 zu 4 für die Bruins. Den ersten und den letzten holte man 1929 und 1972 jeweils als man die Rangers im Finale schlug.

In der NFL kreuzten sich die Schicksale der New Yorker Teams mehrfach mit den Patriots. Die Giants sind das wesentlich ältere Team, 1925 gegründet. 1960 gingen die New England Patriots und die NY Jets als Gründungsmitglieder für die AFL an den Start.

Die Patriots sind nach Erfolgen Mitte der 80er Jahre in ein tiefes Loch gefallen. Anfang der Neunziger fuhren sie Saisonbilanzen von 5-11, 1-15, 6-10, 2-14 ein. Der Umbruch kam, als ein neuer Besitzer die Pats auf den Kopf stellte und auffrischt. Nicht nur dass er den Pats ihr derzeit aktuelles Logo und Teamfarben verpasste. 1993 wurde “Meistermacher” Bill Parcells verpflichtet, der zuvor die NY Giants (tadaaaa!) zweimal in den Super Bowl brachte. Parcells wurde geholt um die Franchise neu aufzubauen. Ich habe es damals aus “nächster Nähe” verfolgen können. Von Football angefixt, entdeckte ich dass in Hamburg die Radioübertragungen von AFN auf Mittelwelle zu empfangen waren. Und als Neueinsteiger ist man dankbar, wenn man parallel zum eigenen Einstieg sehen kann, wie eine Franchise aufgebaut wird.

Parcells legte eine monströse Draft hin, die das Fundament für den Aufschwung der Pats legen sollte. 1993: QB Drew Bledsoe, TE Ben Coates, LB Willie McGinest. 1994 kam man zum ersten Mal seit 8 Jahren wieder in den Playoffs, 1995 wurde RB Curtis Martin gedraftet und 1996 kam man in den Super Bowl wo man gegen die Packers verlor.

Nach der 96er-Saison gab es eine Zäsur, als die NY Jets um Parcells warben und Parcells einschlug und Headcoach bei den Jets wurde. Das heißt, eigentlich wurde er es nicht. Sein Vertrag mit den Patriots war noch gültig und die Patriots wollten ihn nicht zu den Jets lassen. Die NFL wiederum wollte sich nicht auf eine Strohmann-Lösung einlassen, wo Parcells-Lieblings-Assistent pro forma der Headcoach der Jets werden würde, während Parcells im Hintergrund die Fäden zieht. Es kam zu einer außergerichtlichen Lösung bei der die Jets einen Draft Pick für Parcells abgaben.

Ach ja: jener Lieblings-Assistent der als Strohmann bei den Jets installiert werden sollte, war: Bill Belichick, der jetzige Headcoach der New England Patriots.

Parcells wurde also Headcoach bei den Jets, Belichick sein Def.Coordinator. Nach drei Jahren und einer schlechten Saison verlor Parcells die Lust, beförderte sich selbst zum General Manager und ernannte Belichick zum Headcoach. Belichick wurde einen Tag später der Presse als neuer Cheftrainer vorgestellt, doch zum Entsetzen der New Yorker Medienmeute trat Belichick auf der Pressekonferenz vom Posten zurück.

Geschichte wiederholt sich: stattdessen kam ein Angebot der New England Patriots rein. Die Jets waren der Meinung das Belichick noch Headcoach bei den Jets sei. Der Streit ging vor die NFL und die Patriots mussten einen Draft Pick für Belichick abgeben.

Belichick ist eines dieser Symbole für das Hin- und Her der beiden Ostküsten-Städte. Wenn die beiden Teams nun im Super Bowl aufeinandertreffen, dann ist es für die allermeisten eine Super Bowl zwischen zwei starken Teams. Für die New Yorker und Einwohner aus Boston geht es aber um mehr.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ich bin zwar Jahrgang 81, aber verfolgte die NFL so gut ich konnte seit 96. Wer erinnert sich nicht an die Geschichte mit “Big Tuna” ;-)

    Ich hab für NE dieses Wochenende alle Over-Wetten genommen. Ich glaub grade weil dies als so seltsam erscheint, dieses unschlagbare 19:0:0 wird es ein Durchmarsch von NE. Ich glaub nicht ernsthaft daran, dass die Giants ne Chance haben. Hab nen reinen Siegtipp NYG, aber nur zum Spaß. NE wird dort durchmarschieren, und das wir kein 9:14. Endresultat: NY 13, NE 34.

  3. Was für ein wohltuender Beitrag im Vergleich zu all dem aktuellen Geschreibsel in den Gazetten. Ich würde aber gerne eine Anmerkung zum Begriff “Feindschaft” machen. Den kann man leicht falsch verstehen. Der Umgang der Fans mit kommerziellem Sport in den USA und die Identifikation mit einem Club (sowie die zwangsläufige Abneigung von anderen Clubs) hat eher etwas Leichtes. Es gibt keine Hooligans. In den Stadien sitzen die Anhänger bunt gemischt und müssen nicht voneinander getrennt werden. Dort wo es zu gegenseitigen Verbalinjurien kommt, leben die von Humor. Die einzigen, die bei aktuellen Anlässen immer gerne die Wellen hochpeitschen, sind die Boulevardblätter, die eine künstliche Emotionalisierung betreiben und dabei immer wieder die gleichen Klischees bedienen. Dass man in Boston zur Zeit ziemlich selbstbewusst ist, ist verständlich. Aber gegen das Selbstbewusstsein der New Yorker können sie nicht an. Das ist so, als wären die Leute in Bremen den Hamburgern eine lange Nase drehen. So was geht den Hamburgern doch total am Allerwertesten vorbei.

  4. der klassische fehler, dogfood. boston hat nicht 600.000 einwohner, sondern weit mehr. die ziehen die stadtgrenzen anders als wir, viel enger. bei der zahl oben gehört etwa cambridge nicht dazu, und das ist faktisch ein stadtteil, da fährt die ubahn hin. wikipedia spricht zur zeit von 4,5 millionen im ballungsraum (das wahrscheinlich wiederum zuviel für die deutsche “stadtgrenzenauslegeung”). fand es übrigens bei meinem besuch ziemlich spannend da, überhaupt nicht provinziell.

    @jürgen kalwa. als interessierter laie: wie bewertest du die auschreitungen im baseball 2003 (oder wars 2004?, auf jeden fall nach den playoffs gegen ny) in boston? da gabs doch richtig böses blut. ich habe das nur am rande mitverfolgt. würde mich interessieren!

  5. Hrm, letztes Jahr im September habe ich mich in Unkosten geschmissen und mir Yankees vs. Redsox angesehen. Ein wahrhaft lustiger Haufen, alles querdurcheinander gemischt auf den Rängen.
    Es wird gefrotzelt was das Zeug hält. Aber niemand wurde beleidigend.

    Das Cambridge quasi ein Stadteil von Boston ist, habe ich anders erlebt.
    Ich musste 2 Runden des Free refills vom Kaffee aussetzen weil die Kellnerin mich sagen hörte “Es ist toll hier in Boston.”
    Ja, auf deutsch (ich habe in Boston und Umgebung weniger Englisch gesprochen als z.B. in New Jersey) hatte ich einen großen Fauxpas begangen.
    Mein Gesprächspartner erklärte mir, dass es sich mit Boston und Cambridge ungefähr so verhält wie mit Köln und Düsseldorf ;-).

  6. Wenn NE damals nur einen Draftplatz für Belichick hätte hergeben müssen… eigentlich waren es ja drei.
    Aber solange es J. Kalwass selbst nicht merkt…

    “Kraft zeigte sich flexibel und gab den Jets für den Coach insgesamt drei Draft-Plätze – seine bislang beste sportliche Investition.”

    via faz.net

  7. @Tim: Das Wort “Ausschreitungen” beschreibt korrekt, was seit ein paar Jahren immer wieder in Städten passiert, nachdem Mannschaften Meister geworden sind. Aber es verleitet zu einer falschen Deutung. Da drehen spät nachts besoffene junge Leute in der Meute durch und attackieren Autos und Schaufenster, nicht die Anhänger eines gegnerischen Teams. Was das soll, ist mir nicht klar und wurde wohl bisher auch noch von keinem Sozialpsychologen untersucht. Was sich lohnen würde, denn die, die durchdrehen, sind nicht etwa frustrierte Anhänger der Verlierer, sondern die Fans der Sieger.
    @specta: Call me confused.

  8. Schöner Artikel! Ich habe 2004/05 in Massachusetts studiert und eine ganze Menge Craziness mitbekommen. Die Rivalität zu New York nimmt zuweilen unglaubliche Züge an. Während der ALCS wurden an meinem Campus über 100 “Rioters” (Feiernde) festgenommen – es war die größte Party, die ich jenseits der WM 2006 erlebt habe. Wer ein Video möchte, kann mich gerne anschreiben. Eines sollte man dabei nicht vergessen: die Patriots mögen Helden sein – die Red Sox sind eine Religion. Vielleicht lag es daran, dass man Football-technisch schon ein bisschen verwöhnt war, aber die SuperBowl 2005 wurde mal eben so mitgenommen, während die World Series der emotionale Höhepunkt meines USA-Jahrs war. Es es super, sich seine US-Mannschaften nicht “aussuchen” zu müssen, sondern vor Ort Fan werden zu können.

    Ich würde gerne noch mehr schreiben, aber ich muss los zur Super Bowl Party. Go Pats!

  9. Bei mir blockierte Firefox heute morgen auch ein Popup auf dieser Seite. Jetzt erscheint es allerdings nicht mehr.