Ohaljahaammaaaerkahn – Boxen made in Germany

“Ohaljahaammaaaerkahn”. So hört sich das an wenn Coach Ulli Wegner seinem Schützling Oktay Urkal in den Rundenpausen taktische Anweisungen gibt.

Es ist Samstag abend und Boxen ist ins Abendprogramm der ARD eingekehrt. Waldemar Hartmann hat sich wieder in Schale geschmissen und leitet nun über zum Kommentator der Veranstaltung, der bis gestern noch Jens-Jörg Rieck hieß, aber vom vollgewichts-alerten Hartmann nun, Schmissigkeit oblige, “JayJay Rieck” genannt wird.

Fünf Sekunden nachdem der zum Ringsprecher heruntergekommene Ben Wett sein wenig aufgesetzt wirkendes “LLLLLLLLLLLLLL-aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa-ddddddddddddddddddd-iiiiiiiii-eeeeeeeeeeeeeee-ssssssssssss aaaaaa-nnnnnnn…” ansetzt, prallen meine Salzstangen gegen die Mattscheibe des Fernsehers.

Es sollte vom ersten “L” an noch sage und schreibe 21 Minuten vergehen, bis der erste Schlag im Ring getätigt worden ist. Da gibt es die Einmarschmusik die inzwischen nur noch auf Kirmesveranstaltungen derartig hochgejazzt wird. Irgend ein Türke mit vielen feuerspruckenden Weibern links und rechts und die Einblendung verrät uns, dass die Single ab Montag auf jedem Bahnhofsklo käuflich zu erwerben ist.

Im Irrglaube man habe es mit einer würdevollen Veranstaltung zu tun, werden die 72 Nationalhymnen aller Beteiligten bis hin zur marokkanischen Reinigungsfachkraft von einem Streichquartett eingespielt.

Stunden später kommt es in der Tat zu dem woran man schon gar nicht mehr glaubte: einem Boxkampf. Deutschtürke Oktay Urkal gegen den WBA-Champ im Halbweltergewicht Vivian Harris.

Kommentator “JayJay” Rieck nervte in noch nie dagewesener Form, in jedem zweiten Satz ein Superlativ nach dem anderen auspackend. “Kampf des Jahres“, “Fight des Lebens“, “Riesenvorstellung“, “Sensation“. Wie elendig muss der Alltag eines Mannes sein, wenn der nur noch in Superlativen denken kann?

Der Kampf wurde für meinen Geschmack völlig von Harris dominiert. Ich sah Harris am Ende mit 3-5 Runden vorne. Rieck, das muss zu seiner Ehrenrettung gesagt werden und Analyst Sven Ottke werteten den Kampf eng. Knapp für Harris, vielleicht sogar Unentschieden.

Es war letztendlich eine Split-Decision mit 2 Richter die Harris zwei Runden vorne sahen und einen Ringrichter der Unentschieden wertete.

Urkal war zwar sehr agil, wirkte aber ungelenk. Er machte viele unorthodoxe “Windmühlenschläge” die selten trafen, meistens nur “Streifschüsse” waren. Harris, ruhiger, machte mehr “wirkliche” Treffer.

Der Klassenunterschied machte sich auch an den Shorts bemerkbar. Wo Harris über seinem Gemächt den Schriftzug “Vicious” hatte, warb Urkal für “guenstiger.de”… Nicht die wirklich ideale Platzierung.

Der Kampf war nur von mittlerer Güte, denn bei Urkal hatte man schon zur Kampfmitte das Gefühl dass er das Pulver verschossen hatte, per Punkte nicht gewinnen könnte und keinen Knockout-Schlag besaß. Mehr als wackerer Kampfwille war da nicht mehr.

Umgekehrt ging aber Harris die Autorität eines Weltmeisters ab. Nachdem er in den ersten drei Runden klar dominierte, reduzierte er seine Aktivitäten auf ein Minimum und gab letztendlich mehr Runden ab, als nötig.

Im Sauerland-Boxstall herrschte eitel Freude ob der vermeitlichen Supervorstellung von Urkal und man will Urkal von seinem Karriereende abhalten und stattdessen versuchen einen Revanchefight gegen Harris zu organisieren.

Enttäuscht war ich von der Zuschauerkulisse in der Max-Schmeling-Halle, wo ich mehr “türkisches Feuer” erwartet hatte. Stattdessen gab es viele leere Sitzplätze.

Ein besserer Boxkommentator als Jens-Jörg Rieck ist Andreas Witte, der den Vorkampf mit dem Schwergewichtler Nicolay Valuev richtig einzuschätzen verstand und von “zirsensischer Attraktion” sprach. Valuev ist 2m17 groß und 140kg schwer. Dies ist schlichtweg keine Größe mit der man Boxen kann. Und dem einen 1m78 großen Argentinier gegenüberzustellen, macht sportlich keinen Sinn. Hier soll schlichtweg ein Hype gezüchtet werden, der dann irgendwann in einem WM-Kampf verheizt wird.

Er hat weit und breit nicht einen einzigen Gegner von Rang gehabt, seine Auftrittsorte (Racetrack Nürnberg, Stadthalle Zwickau, Mehrzweckhalle Dresden) sprechen Bände und wird trotzdem in der WBA schon an Platz 9 geführt, noch vor Holyfield, Brewster, McCline und Oquendo. Aberwitzig.

Ja, man kann sich seine Kämpfe anschauen. Und man kann auf der Straße Körperbehinderten angaffen…

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. sehr geehrtes ard-team,

    ich kann nicht fassen, das in deutschland die schiebung bzw. der betrug im boxen zunimmt und ard mit seinen sprechern dieses unterstreicht. (Ruiz vs. Valuev)
    das war auch nicht das erste mal. das man personen wie herrn sauerland noch unterstüzt…
    unglaublich…ich bin sehr enttäuscht und finde es schade, das man seine zeit nicht mehr vor dem ard-boxabend verbringen kann.
    jeder film ist eine bessere lösung.
    satz des tages…passt ja zu weihnachten…kaufen kann man sich alles!!! korruption

    mfg d.b.