Malade Dame Hertha

Ich habe mich am Freitag über ein Artikel im Tagesspiegel gewundert, der so unvermittelt über Zuschauerprobleme bei Hertha BSC Berlin sprach. Die Berliner Zeitung schiebt nun am Montag einen Artikel über die “sehr angespannte Finanzlage” beim Hauptstadtklub nach, der mich vermuten läßt, dass der Tagesspiegel-Artikel nur eine Art Testballon war.

Tagesspiegel: Michael Rosentritt, “Die Leere vor dem Sturm
Berliner Zeitung: Michael Jahn, “Stürmen auf Vorkasse

Der Zuschauerschnitt liegt zwar höher (43.000) als veranschlagt (39.000), aber Sorge macht der Hertha, dass dieser Schnitt angesichts des neuen Stadions, des Erfolges der Hertha und des Einzugsgebietes eher mau ist. Herthas Schnitt lag noch vor 6 Jahren, bei der Aufstiegs-Euphorie, bei 52.000. Gladbach konnte sein Zuschauerschnitt dank neuem Stadion von 30.000 auf 45.000 steigern, beim HSV verdoppelte sich der Zuschauerschnitt. Bei Hertha: nix.

Der Hauptstadt-Klub mit Rieseneinzugsgebiet rangiert in der Zuschauerstatistik nur im Mittelfeld, Tendenz fallend. Gegen den HSV kamen nur 40.000, gegen Nürnberg kamen trotz 20.000 Freikarten und 130.000 verteilten ermäßigten Karten nur 38.000 Zuschauer.

Und hier setzt nun der Artikel in der Berliner Zeitung ein, der berichtet, dass die Finanzlage angespannter ist, als gedacht. Die 19 Mio EUR Schulden waren bekannt. Nicht bekannt war hingegen das Hertha sich inzwischen bemüht an Frischgeld ranzukommen. Der Vertrag mit Vermarkter SportFive wurde gegen ein entsprechendes Handgeld bis 2014 verlängert.

Dennoch macht Hertha seit drei Jahren, Jahr für Jahr 6 Mio EUR Verlust.

Nun versucht man “eine öffentliche Anleihe in Form von Inhaber-Teilschuldverschreibungen“, was auch immer das sein mag, auf den Markt zu bringen, angepeilter Erlös: 6 Mio EUR. Im Prospekt der Berliner Bank heißt es unter Anlagenrisiken:

Derzeit ist die Liquidität des Emittenten [Hertha] stark angespannt.

Von Hauptsponsor und Trikotausrüster kann nicht mehr viel kommen, da die ebenfalls längst bzgl. Handgelder angezapft wurden. Angedacht ist auch eine “Schechter-Anleihe” in Höhe von 50 Mio EUR.

Hertha erklärt die Finanzlage mit den Baumaßnahmen für Stadion und Vereinsimmobilien, hohen Transferkosten und den ausgebliebenen Kirch-Geldern. Die Berliner Zeitung schließt:

Die Aktivitäten von Hertha BSC auf finanziellen Sektor sind legitim und auch bei anderen Klubs üblich, risikoreich sind sie dennoch. Erschwerend kommt hinzu, dass es bislang trotz intensiver Bemühungen nicht gelang, einen so genannten strategischen Partner zu gewinnen. Als solcher kaufte etwa adidas einst dem FC Bayern München zehn Prozent seiner Aktien ab: für 76,6 Millionen Euro.

Dortmund, Schalke, Hertha, drei Namen und vermutlich auch drei unterschiedlich gelagerte Fälle. Sie alle eint aber das bewusste Eingehen von hohen Risiken: investieren in einen sportlichen Erfolg für die Zukunft. Wenn ich so meine Blicke über die Liga schweifen lasse, fehlt mir da z.B. noch der Name HSV, der in dieser Saison mit Mpenza, Boulahrouz, Van Buyten und Lauth auch irgendwo einen kleinen Dukatenesel stehen haben muß.

[Nachtrag 9.3.2005: Inzwischen hat Hertha 35 Mio Schechter-Anleihe bekommen, siehe aas.]

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. am samstag gab es artikel zum gleichen thema mit den gleichen fakten in den springer-zeitungen
    “berliner morgenpost”
    und “welt” (nicht online), beide unter der überschrift “zur champions league” verdammt. nebenaspekt: die verluste wären wohl noch höher, wenn hertha nicht wegen des steigenden euro deutlich weniger etwa an marcelinho (vertrag in us-dollar) hätte müssen.

  3. Interessanter Artikel auf sport1.de zu einer Verschärfung des Lizenzierungsverfahrens :

    http://www.sport1.de/coremedia/generator/www.sport1.de/Sportarten/Fussball/Bundesliga/Berichte/Hintergrund/fus_20bun_20lehren_20aus_20fall_20dortmund_20mel.html

    Bleiben dann nur zwei Fragen :
    a) konnten die Clubs bisher (und auch jetzt noch) auf so wackligen Füßen stehend wirtschaften, daß die Liquidität nicht bis zum Saisonende gesichert ist ? Denn nur dann würde die Verschärfung ja einen Sinn machen. Das bisherige Verfahren habe ich bislang immer so verstanden.
    b) Was nützt ein Lizenzentzug, wenn die Saison schon begonnen hat ??
    Oder gäbe es etwa z.B. einen Punkabzug o.Ä. während der Saison ??

  4. Die Verbesserungen verstehe ich dahingehend, dass Vereine zum Jahreswechsel aufzeigen müssen, dass sie auch über die Sommerpause hinaus Liquidität haben. Als Strafmaßnahme wenn dieses nicht gegeben wäre, wäre in der Tat ein Zwangsabstieg nach der Saison denkbar, wobei man dann weiter überlegen sollte, wie es mit Wettbewerbsverzerrung u.ä. aussieht.

    Mir scheint aber ein anderes Problem dahinterzustecken, was man mit einer “Winter-Lizenzüberprüfung” angehen will.

    Ich halte prinzipiell die DFL für nicht in der Lage binnen 2-3 Monaten im Frühjahr von 36 Profivereinen die Finanzen so zu durchleuchten, da eine Liquidität 18 Monate später (also übernächsten Sommer) gewährleistet ist. Ich sehe schlichtweg nicht wie dass dieses vom Aufwand her machbar ist.

    Zwotens: die Strukturen der Vereine sind ungleich komplexer geworden. Gerade der BVB und Schalke haben der Bilanzkosmetik wegen, Heerscharen von Tochtergesellschaften gegründet. Das macht das Durchleuchten der Finanzen aus meiner Sicht noch unmöglicher.

    Drittens: in einem Fußballgeschäft was über einen Zeithorizont von 18 Monaten zu sagen, ist unmöglich.

    Eine zusätzliche “Winter-Lizenzierung” würde würde das ganze etwas entspannen. Der zu vorhersagende Zeithorizont wäre nur noch 6-9 Monate weg und beim zweiten Mal fallen vielleicht andere Dinge auf als noch beim ersten Mal.

    Aber im Prinzip hat Frankfurts Bruchhagen recht: eine Liquiditätsprüfung ist Unsinn, der BVB und seine Lizenzierung haben gezeigt, dass das so nicht funktioniert. Und die DFL, die in Sachen Hoyzer gerne auf den passiven DFB einprügelte, ist ungewohnt wortkarg.

  5. In der Allgemeinen Zeitung kommt der Schatzmeister von Mainz 05, Friedhelm Andres zu Wort., mit durchaus interessanten Details zum Lizenzierungsverfahren. Scheinbar fliesst nur ein Bruchteil der zu machenden Angaben überhaupt in das Verfahren ein.

    Ich als Eintracht(Frankfurt)-Fan mache mir schon meine Gedanken, was die Konsequenzen aus dem Dortmund-Fall sein könnten, es gäbe ja durchaus die Möglichkeit einer Schadensersatzforderung (die unter Eintracht-Fans auch rege diskutiert wird), da die Eintracht ja direkt durch die evtl. zu Unrecht erteilte Lizenz für Dortmund geschädigt wurde.
    Ein “Zwangaufstieg” der Eintracht ist sicher unrealistisch und würde alles nur verkomplizieren, aber eine bestimmte finanzielle Entschädigung (wie im Fall Paderborn-HSV ja geschehen) wäre doch denkbar und meiner Meinung auch gerechtfertigt. Oder sehe ich das zu sehr durch die Fan-Brille ??

  6. (hab den Link wieder eingebaut)

    Im Prinzip ist es auch meine Vermutung dass die DFL weder know-How noch Manpower hat, um binnen kurzer Zeit (wie lange nehmen die sich Zeit? 1 Monat? 2 Monate?) die finanzielle Gesundheit von 36 Profivereinen zu untersuchen. Ich bin allerdings überrascht über die Angabe der Mainzer, dass es ein Riesenaufwand wäre, alle Aufwendungen für Spielertransfers seit 2003 offen zu legen. Wenn es das meint, was wie Laien uns darunter vorstellt, dann sollte das eine simple Excel-Tabelle sein, die man eh so oder so sich irgendwie auch seiner Buchhaltungs-Software ziehen können sollte.

    Ob eine Bestrafung des BVBs oder “Belohung” von Eintracht Frankfurt gegeben sind, kann man noch nicht sagen, denn bislang gibt es noch kein Statement wo das Problem war: falsche Angaben des BVBs oder unzureichende Kontrolle/unzureichende Abfrage von Daten von Seiten der DFL.

    Die bisherige Linie des DFBs (ungleich DFL!) war in der Tat eher so wenig wie möglich anzufassen und zu ändern und lieber zu kompensieren, wenn überhaupt. St.Pauli ist z.B. bislang völlig leer geblieben.