Sturm – Castillejo: Uppercuts nicht von dieser Welt

Am Freitag schrieb ich noch:

Am aussagekräftigsten ist der Record von Castillejo: 60-6-0. In Worten: 66 Profikämpfe! Da er in den letzten zehn Kämpfe durchaus noch Leute mit annehmbaren Record geboxt hat, scheint hier mehr der “ehrliche Arbeiter” als Mr. Fallobst nach Hamburg zu kommen. Nach dem der 39jährige Masoe im März einen wackeren Kampf gegen Sturm bot, scheint sich mit dem 38jährigen Castillejo eine Wiederholung anzubahnen. Könnte unterhaltsam werden, aber ob es dem Hype Sturm weiter hilft…

Das ist ein Understatement gewesen und man muss bei Javier Castillejo Abbitte leisten. Das war ein Kampf auf gleicher Augenhöhe, die WM-Chance war verdient und auch “Gratulation” an den Universum Boxstall. Das Matchmaking war besser als es auf dem Papier aussah. Also Entschuldigung und Abbitte allerorten.

Felix Sturm unterlag Javier Castillejo per Abbruch in der zehnten Runde.

Javier Castillejo zeigte sich als limitierter Boxer. Das ist nicht böse gemeint und zielt nur darauf ab, dass er stilistisch nur über eine enge Breite von Taktik und Technik hat. Castillejo hat immer den Infight gesucht und Sturm mit unterschiedlichen Schlägen eingedeckt und bearbeitet. Innerhalb dieser geringen Bandbreite agierte er sehr clever und sehr gefährlich.

Er hat immer wieder das Tempo variert, war konditionell (insbesondere für einen 38jährigen) absolut top und verfügte noch in der 10ten Runde über einen bösen Punch. Castillejo ist keiner der sich den Gegner vorher lange analysiert und Schwächen ausguckt, sondern ihn immer stets bearbeitet und die sich dann öffnenden Lücken nutzt. Im Falle von Felix Sturm waren es Aufwärtshaken durch eine nicht sauber geschlossene Deckung und ein Leberhaken der dann zuletzt Sturm zu Boden sinken ließ.

Felix Sturm war zwar permanent in der Rückwärtsbewegung aber sehr aktiv und sehr agil. Die Vorentscheidung fiel bereits in der 2ten Runde als bei einer Schlagserie ein Uppercut von Castillejo durchkam und Sturm anklingelte, bevor ein rechter Haken Sturm abräumte. Sturm stand schnell mit wackligen Beinen auf und wurde angezählt, konnte sich aber nicht nur durch die Runde bringen, sondern suchte zum Ende der Runde sogar den offenen Schlagabtausch und brachte sogar Catillejo in Verlegenheit. Große Runde von beiden.

Was zu dem Zeitpunkt noch nicht absehbar: bei Felix Sturm begann der rechte Kiefer anzuschwellen. Ein Verdacht auf Kieferbruch hat sich später nicht bestätigt.

Der Kampf war weiterhin offen, offensiv, Castillejo arbeitete sich an Sturm ab und Sturm reagierte mit cleveren Schlagfolgen. Die Runden waren nicht alle eindeutig für Sturm zu werten, aber nimmt man alle Faktoren wie Heimvorteil und Titelverteidigerbonus, so steuerte der Kampf vermutlich auf einen Punktesieg für Sturm zu.

Und dann kam die 10te Runde. Castillejo deckte Sturm längst nicht mehr in Permanenz mit Schlägen ein, hing aber immer noch phasenweise wie eine Zecke an Sturm. Sturm schlug eine gute Kombination, der Ringrichter ging kurz dazwischen, Sturm ging zurück zu den Seilen, war unachtsam, ließ die Deckung unten, als Castillejo mit einem linken Haken Sturm in die Seile drückte. Sturm nahm sofort die Arme zur Deckung hoch, aber Castillejo servierte drei schnelle Uppercats durch die Deckung. Der erste hat Sturm bereits aus dem Reich diesseits des Bewusstseins geprügelt, er stand nur noch da und fing sich die Schläge ein. Beim zweiten Uppercut schoß Sturm das Blut aus der Nase. Ein dritter Uppercut. Ein linker Leberhaken, Sturm sackte zusammen und der Ringrichter ging dazwischen.

Ein unterhaltsamer Kampf und ein offensiver Kampf. Schade das Sturm dafür abgestraft wurde, aber letztendlich kann er davon imagemäßig sogar profitieren. Auf der anderen Seite: beim Verdacht auf einen angeknacksten Kiefer noch sieben Runden lang so den Infight zu suchen… für die einen ist es mutig, für die anderen dumm.

Klaus-Peter Kohl hat sich bei dieser freiwilligen Titelverteidigung einen Rückkampf in den Vertrag reinschreiben lassen. Und darauf freue ich mich jetzt schon.

Die anderen Kämpfe: Wladimir Sidorenko soll einen offensiv geführten Kampf gegen Poonsawat Kratingdaenggym verdient gewonnen haben (3:0 Richterstimmen 120:108, 116:112 und 115:113)

Ruslan ChagaevMichael Sprott: Sieg von Chagaev durch TKO in der 8ten Runde. In einem nur leicht von Chagaev dominierten Kampf hat der Uzbeke irgendwann die Lücke gefunden um Sprott mit 2-3 Schlägen zu fällen.

Darling Paolo Vidoz verlor gegen Vladimir Virchis durch KO in der 6ten Runde. Schwer was anhand der kurzen Ausschnitte zum Kampf zu sagen.

Kurz zum ZDF: der Hallensound muss sehr schlecht abgemischt worden sein, denn Günter-Peter Ploog und später der “Promiexperte” Till Schweiger berichteten übereinstimmend von einer fantastische Stimmung in der Halle, während alles was aus meinem Fernseher kam, eher tote Hose war. Vergeudete Sendezeit war auch die dreimalige Nachbereitung des Sturm – Castillejo-Kampfes nach dem Kampf selber, im Aktuellen Sportstudio und zum dritten Mal zu Beginn der Zusammenfassungen der Vorkämpfe.

Günter-Peter Ploog kommentierte den Sturm-Castillejo-Kampf wieder neben der Spur. Fast in der kompletten zweiten Kampfhälfte beschäftigte er sich mit der heroischen Vergangenheit von Sturm und der Colorline-Arena. Der Kampf schien ihn weniger anzufassen.

Wesentlich besser war Volker Grube beim Chagaev – Sprott-Kampf. Den würde ich mal gerne über die volle Distanz hören.

Siehe auch, wie immer, die Beurteilung von Deslizer.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Bin kein großer Boxfan! Aber der Kampf war klasse. Beide haben technich sehr sauber gekämpft. Würde gerne nochmal einen Kampf zwischen diesen Kämpfern sehen. Eine Werbung für den Boxsport.

  3. Ohja, Volker Grube war der ZDF-seitige Lichtblick des Abends. Er hat seinen Job ordentlich gemacht. Ploog hingegen ist mir förmlich auf den Sack gegangen. Zeitweise fand ich ihn gut usw., aber gestern mutierte selbst ich zum Ploog-Hasser. Die dauernde Lobhudelei in den Anfangsrunden und das Ablesen der de-la-Hoya-war-eigentlich-schlechter-Karteikärtchen haben den wohl ziemlich vom Kampfgeschehen abgelenkt, so dass der Kerl garnicht gemerkt hat, dass Sturm schon nach dem linken Haken in der 10ten ins Jenseits guckte (bevor der Ringrichter noch 3 Uppercuts abwartete).

    Die Stimmung in der Halle war aber meiner Ansicht nach sehr gut … vielleicht bringt da mein Fernseher mehr rüber. Sprechchöre, Anfeuerungen bei Sturm-Treffern … wann durfte der sowas zuletzt erleben?
    Tja, so kanns gehen wenn man früh niedergeschlagen wird und sich dann noch zurück kämpft.

  4. Ich fand den Kampf auch äußerst attraktiv. Einen Rückkampf wird es ja auf jeden Fall geben, da er vertraglich festgeschrieben ist und Castillejo dazu auch verpflichtet ist.
    Sturm war sich zu sicher, nachdem er sich eindrucksvoll zurückgekämpft hat und hat die Quittung bekommen. Castillejo hat mit seinen 38 Jahren eiskalt zugeschlagen, was ja auch seine einzige Möglichkeit war den Kampf noch zu gewinnen nachdem Sturm nach Punkten uneinholbar in Front lag. Da hätte Felix Sturm sich geschickter verhalten müssen, aber das ist immer leichter gesagt als getan. Er hat sich einfach von der euphorischen Stimmung in der Halle beeinflussen lassen und war sich zu siegessicher.

  5. Ich war gestern in der Color Line Arena und habe den Kampf live gesehen.
    Es war mein erster Boxkampf und ich muss sagen, dass ich die Stimmung sehr ungewöhnlich fand. Sie schwankte zwischen totaler Anfeuerung, wo die ganze Halle Stand und anfeuerte bis zu Totenstille.
    Ich kenne es vom Basketball eher so, dass man über die komplette Distanz anfeuert, dies scheint beim Boxen eher nicht der Fall zu sein. Dafür gab es doch eine Menge Zwischenrufe der Art “Jetzt die linke” und “nimm die rechte”, die von mir einfach mit einem trockenen “Boxt doch selber…” kommentiert wurden und in meiner näheren Umgebung mit Lachen quitiert wurden.
    Nachdem Sturm K.O. ging war die Stimmung in der Halle zuerst schockiert, der sah ja aber auch wirklich übel zugerichtet aus. Aber das Publikum war sehr fair und spendete sowohl dem (in meinen Augen verdienten) Sieger als auch Sturm respekt und den verdienten Applaus.

    Zum Kampf Wladimir Sidorenko vs. Poonsawat Kratingdaenggym: Der Kampf war schon gut, nur halt Bantamgewicht und somit nicht wirklich spektakulär. Wobei Sidorenko nach dem Kampf doch recht gezeichnet war und aus dem linken Auge sicher nicht mehr viel sehen konnte ;-).

    Persönliches Fazit: Ein sehr interessanter und spannender Abend, aber denke den nächsten Kampf schaue ich mir wieder am Fernseher an.

  6. Hier gibts nochmal das Video der Niederschläge:

    http://sevenload.de/videos/PVTCzuz