Der Klinsherr

Gerade läuft die Pressekonferenz des DFBs in Sachen Nationalmannschaft — ich verfolge sie im Newsticker der ARD — und es schnürt mir die Kehle zu.

Nix Bundestrainer. Nix Dritter Mann. Jürgen Klinsmann will es in Personalunion selber machen: Teamchef und Bundestrainer Klinsmann. Gesucht wird nur noch ein Untermufti der den Co-Trainer macht. Der Knackpunkt für die Absage von Osieck scheint wohl wirklich zu sein, dass Klinsmann nicht genügend Kompetenzen abgeben wollte.

Und nun, mit Verlaub, ein Greenhorn als Bundestrainer.

Die Technikkommission der UEFA, zu der auch Osieck gehörte, stellte während der EM bei der deutschen Nationalmannschaft taktische und spielerische Defizite fest, nicht nur im Spiel, sondern auch bereits bei der Trainingsarbeit, die zu der schlechtesten der EM gehört haben soll. Wer will, kann dieses mit Völler und Skibbe erklären, der eine schien mehr von Emotionen zu leben, der andere ist nie als großer Reformator oder Visionär der Fußball-Lehre aufgetreten.

Und jetzt, mit einem “starken” Klinsmann, der anscheinend auch in taktischen Dingen das Ruder in die Hand nehmen will und einen “schwachen” Co-Trainer haben möchte, scheinen wir genau in die gleiche Situation reinzurutschen.

Zwei Jahre einen “Feel-Good”-Trainer haben, denen aber das fußballerische Know-How fehlt, um wirklich an Grundsätzlichem zu rütteln. Nimmt man die kurze Vertragslaufzeit von zwei Jahren und das Ausklammern der Nachwuchsarbeit hinzu, kann ich mir nicht vorstellen, wie die angekündigte Revolution umgesetzt werden soll. Es ist wieder ein Durchwurschteln.

Man sollte meinen, dass ein derart machtbewusster Nationaltrainer Klinsmann konkrete Vorstellungen hat. Im Live-Ticker kann man dann aber lesen:

Generell will [Klinsmann] aber zunächst alles mit den Nachwuchsmannschaften weiterlaufen lassen, um dann in fünf, sechs Monaten neu zu überdenken.

Klinsmann wird nach seinen fußballerischen Vorstellungen gefragt. Er gibt sich noch bedeckt: Es werde nun nach einer Philosophie gesucht. Sicher sei aber, er komme aber aus der Angreiferecke.

Der Wunschgedanke geht dahin, ein Spielsystem Schritt für Schritt aufzubauen, das nach vorne gerichtet ist. Dies entspreche der deutschen Mentalität: aggressiv zu sein und offensiv zu sein.

Es geht weiterhin um die Mannschaft […]

Für solche “Visionen” wird es in den nächsten Tagen aber dermaßen Dresche von der Trainerszunft setzen, und zwar wirklich substantielle Kritik und nicht das Leberwurst-Gelaber aus Budapest. Ich weiß gar nicht, welcher arbeitsloser Trainer sich unter diesen Bedingungen noch freiwillig als Co von der Straße auflesen läßt.

Klinsmann ist ein Sympath. Aber nach den Völler-Jahren bin ich mir nicht sicher ob “Nett-sein” ausreicht um Substanzlosigkeit zu überdecken. Ich ziehe meinen Hut vor Klinsmann, denn angesichts des Ziels “WM2006” riskiert er seinen Ruf auf Lebenszeit zu verbrennen. Aber die Aussichten machen mich verdammt nervös.

Ach ja, Bierhoff wurde als Team-Manager bestätigt.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp