Reden hilft

Erste Halbzeit

Ich hoffe sehr dass der Rahmen der Festivitäten im Olympiastadion kein Vorgeschmack auf das Spektakel sein wird, mit der sich Deutschland der Weltbevölkerung eingangs des 21ten Jahrhunderts ins Gedächnis brennen möchte.

Gekaufte Samba-Truppen in weißen Nationalmannschafts-Kostüm, das Landespolizeiorchester spielt die Nationalhymnen in der Extended Versions inkl. der dritten Strophe der brasilianischen (“vom Amazonas bis zum Rio Negro“), präparierte Riesen-DFB-Wimpel werden auf Zuruf von den Zuschauer runtergerollt, und entlang der Laufbahn werden riesige Deutschland-Fahnen gewedelt. Hat Roberto Blanco keine Zeit mehr gehabt?

90 Sekunden. 90 Sekunden hat Johannes “Blanco” Kerner gebraucht um seinen kargen, bei mir bei der EM eingespielten Kredit zu verpulvern. Doch beim Plattitüden-Gott tritt der “Sven-Simon-Effekt” ein: bei Spielen mit deutscher Beteiligung sind sie wegen akutem Extremismus nicht zu ertragen. Ich war phasenweise versucht auf PREMIERE zu schalten, zu Nordirland – Wales…

Das Spiel? Ach ja, ich vergaß…

Die Aufstellung: Gefällt mir, dass man auf Risiko ging und auf Perspektive Huth statt “sichere Karte” Baumann setzte.

Reden hilft. Klinsmann/Bierhoff/Löw zeigen es. In Sachen Selbstbewusstsein ist die Nationalmannschaft gegenüber der EM nicht wieder zu erkennen. Und mit welcher Traute direkt das Dribbling und der Abschluß gesucht wurde.

Was wirklich gefällt: Klinsmann hat zwar den propagierten “Jugendwahn” abgelehnt. Aber schauen wir uns mal die Elf an: Hinkel, Huth, Fahrenhorst, Lahm, Kuranyi und dazu ein Schweinsteiger, Podolski, Görlitz, Rau und noch mehr in der Hinterhand. Das sind Perspektiven.

Sich gegen Brasilien ein Tor einzufangen, kann passieren, zumal ein Freistoß aus 16m mit der Option Roberto Carlos oder Ronaldinho unhaltbar ist.

Huth und Fahrenhorst sind in der Abstimmung der Innenverteidigung ausbaufähig.

Spannendste Frage der zweiten Halbzeit: werde ich die Wette mit meiner Freundin gewinnen? Wird Johannes “Blubberbacke” Kerner das Wortspiel mit Robert Huth wagen (“auf der Huth sein“)?

Zweite Halbzeit

Mit Niveau, Spaß und Spannung ging es in der zweiten Halbzeit steil bergab. Auf beiden Seiten kaum noch zwingende Aktionen. Schade, ein bißchen mehr Ego auf deutscher Seite, ein bißchen mehr Führungspersönlichkeit von Ballack und man hätte hier die Zuckerhut-Männchen aus den Flip-Flops spielen können.

Bester deutscher Spieler: Frings. Unschön wie er in der ersten Halbzeit an der eigenen Eckfahne sich zum Freistoß-Schinden fallenließ. Aber er hat gerackert wie ein Brauereipferd. Wenn Fahrenhorst und Huth sich dank Hüftsteifheit von den Brasilianern überlaufen ließ, rannte Frings zurück und zog das Not-Tackling.

Aufällige Spieler: Lahm. Wie abgezockt ist denn der Kleine? Was hat der für saubere Grätschen gemacht und stand Sekunden später auf um gleich den nächsten Eingriff einzuleiten?

Huth. Nicht fehlerfrei im Stellungsspiel, aber was für ein Brocken!? So einen braucht es hinten. Gegenspieler nicht nur abdecken, sondern auch aufmischen, mit physischer Präsenz Autorität zeigen. Der Gegner muss wissen: Huth bedeutet Schmerz auf zwei Beinen.

Hinkel. So agil habe ich ihn seit seiner Verletzung weder in der Nationalmannschaft noch in Stuttgart erlebt.

Zu den restlichen WM-Quali-Spielen morgen abend mehr, nach Betrachtung von 4-5 Spielen auf Tape. Auf besonderen Wunsch von Nico ;-)

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. “seinen Huth nehmen” wäre aber auch schön :)

    Gruss an Deine Freundin und guckt nicht immer so viel in die Glotze!

  3. Freundin hat herzhaft gelacht.

    Was das Fernsehen angeht: ach was, ist nicht zuviel.

    Und Chile – Kolumbien war ein unterhaltsames Spiel. Ging zwar 0:0 aus, aber immerhin vier Rote Karten. Chiles Spiel krankte daran, das zu selten das direkte Duell gesucht wurde und stattdessen die Pässe aus dem Halbfeld in den Strafraum geschossen wurde. Kolumbien weiter auf dem Weg zur Besserung.

  4. Und ich werde mich nie an ein Publikum gewöhnen, dass ultrapeinliche Gesänge wie “Steht auf, wenn ihr Deutsche seit” anstimmt. Der Unterschied zwischen Fussballspiel und Skinhead-Fackelzug scheint nur marginal zu sein.

  5. Ziemlich peinlich auch die nicht zu überhörenden Pfiffe, als die brasilianische Hymne gespielt wurde. Waren sicherlich nur einige hundert von den 70.000 im Stadion, dennoch eine ärgerliche Unart die sich leider immer mehr verbreitet.