Wie, das war es schon?

Es gab eine Mannschaft, die hat die europäischen Schlagzeilen in dieser Saison dominiert wie selten eine andere: der FC Chelsea. In 35 Spieltagen haben sie sich nur eine Niederlage eingefangen und fuhren dominant und souverän gestern, drei Spieltag vor Saisonende, mit 11 Punkten Vorsprung (je nachdem wie Arsenal noch spielt) die Meisterschaft ein. Mit Glanz, Trompeten und Paukenschlag. Beeindruckend.

Es gab gestern eine andere Mannschaft, die hat auch drei Spieltage vor Schluß die Meisterschaft geholt, auch mit 11 Punkten Vorsprung. Die Mannschaft nennt sich Bayern München und sie holte die Meisterschaft… na ja, sie holte halt die Meisterschaft.

Gestern taten sich die Spieler schwer der Meisterschaft einen besonderen Platz in der Reihe der Zillionen anderer Meisterschaften des FCBs zu geben. Es gab keinen Schlüsselmoment oder kein besonders herausgekämpfter Sieg der zur Legendenbildung taugt (“hier wurden wir Meister”). Es ist als ob die Meisterschaft den Bayern in den Schoß gefallen ist.

Das soll sich nicht wirklich gegen die Bayern richten. Sie waren schlichtweg nicht mehr von der Konkurrenz gefordert. Das ist das Problem. Schalke hat zweimal die Bayern geschlagen und trotzdem Mühe sich auf Platz 2 zu halten.

Vielleicht trügt die Erinnerung, aber im Nachhinein war es eine sehr “laute” Saison, mit den Turbulenzen rund um Magaths Start bei den Bayern, den Schwierigkeiten des BVBs, dem “neureichen” Auftreten von Schalke und Gladbach, dem Quasi-Kollaps von Werder. Aber wieviele denkwürdige Spiele gab es in dieser Saison, aus der Kategorie Bayern – Werder oder Stuttgart – Werder?

Das Leitmotiv in dieser Saison scheint zu sein: alle schwächeln, nur die Bayern nicht, die mangelnde Konstanz der 17 anderen Mannschaften. Nur die Bayern scheinen auch in schlechter Verfassung Spiele gewinnen zu können. Vielleicht ist daher das Schlüsselspiel der Bayern das 1:0 gg. Hannover durch das Last-minute-goal von Hargreaves gewesen.

Einfach mal eine These in den Raum geworfen: Rummenigge und Konsorten ziehen einen direkten Zusammenhang zwischen TV-Einnahmen, Transferausgaben und Abschneiden in der Championsleague.

Wie wäre es mal anders herum einen Schuh zu stricken? Was den Bayern auf internationaler Ebene abgeht, ist kühle Professionalität gepaart mit Killerinstinkt. Magath im Zusammenhang mit dem Chelsea-Spiel dazu in der SZ:

Nach den ersten drei oder vier vergebenen Chancen habe ich gedacht: Das wird schwer. Das kann man sich im Pokal gegen einen Zweitligisten erlauben, aber auf dem Niveau nicht. Deswegen waren wir ja alle so enttäuscht: Wir sind ausgeschieden, weil uns im Rückspiel die Konsequenz vor dem Tor gefehlt hat.
[…]
Sinn des Spieles ist es, Tore zu verhindern und zu erzielen. Dieser Sinn muss vehementer verfolgt werden. Die Spieler müssen begreifen, dass sie die heiklen Situationen vor dem eigenen Tor vermeiden – wie es die Italiener glänzend machen. Aber gleichzeitig die gleichen Situationen vor dem gegnerischen Tor nutzen. Das gelingt nur, wenn es begriffen wird – verstehen tunÂ’s ja alle.

Entsteht dieses Manko der Bayern vielleicht, weil sie national nicht gefordert werden? Machen wir uns nichts vor: die Gruppenspiele der Championsleague sind in der Regel Aufwärmspiele (dieses Jahr gegen Ajax und Tel Aviv). Knackig wird es erst ab Achtelfinale. Gelingt es den Bayern einfach nicht, in diesen Momenten den Schalter umzulegen? Sich mit Adrenalin voll zu pumpen?

Chelsea führte zwar die Liga souverän an, aber die Spiele gegen ManU, Liverpool oder Arsenal waren ungleich intensiver, als alles andere was den Bayern diese Saison widerfuhr.

Ist es Zufall dass die Bayern die Championsleague gewannen, als sie nach der deutschen Meisterschaft (Last-Minute-Goal in Hamburg) noch voll mit Adrenalin und Testeron waren?

Müsste die Konsequenz daraus nicht sein, dass die Bayern eher ein Interesse haben sollten, die einheimische Konkurrenz zu stärken als den eigenen Kader aufzurüsten, nur um die “wichtigen” letzten sieben Spiele zum Championsleague-Finale hin klar zu machen?

Die Strukturen in den anderen europäischen Ligen sind klar definiert, nur selten stößt ein “Highflyer” von außen dazu. Die Meisterschaftsfavoriten generieren sich seit Jahren aus denselben 3-4 Mannschaften. Aber wer bitte schön, hat in Deutschland in den letzten 5 Jahren die Konstanz gehabt um permanent als möglicher Meisterschaftsaspirant genannt zu werden? Ist es ein Dauerproblem oder erleben wir gerade aufgrund der wechselnden Finanzierungsbasis der Bundesligisten gerade einen Umbruch?

Da gibt es die Mannschaften die ich mal als “Risikokapitalisten” bezeichnen würde: Hertha, Schalke, HSV, Mannschaften die im Vorgriff auf zukünftige Einnahmen sich finanziell mehr oder weniger weit aus dem Fenster lehnen.

Der HSV macht gerade ein kleines Jammertal durch. Das mag man von außen nicht so sehen, aber die Lokalblätter beklagen dass es dem HSV nicht gelingt namhafte Verpflichtungen zu tätigen, weil Owomoyela und Co. lieber zu Schalke, Stuttgart oder Bremen wechseln.

Ich sehe die Zukunft des HSVs nicht so schlecht. Man hat einige klar definierte Problemzonen in der Mannschaft (Außenverteidiger und defensives Mittelfeld), diese anzugehen ist einfacher als letzte Saison, als die gesamte Mannschaft “entkernt” werden musste um ihr das gewachsene Phlegma auszutreiben. Mit Thomas Doll hat man einen Trainer der zwar unerfahren ist und von dem wir nicht wissen wie gut er “Krisen” bewältigen kann, aber dem ich zutraue innerhalb der Mannschaft eine Chemie zu erzeugen.

Der Kader ist dünn besetzt, wenn es aber keine Verletzungen gibt – ja, Mpenza, ich schaue auf dich – traue ich denen zu, nächste Saison sich in einen starken Lauf zu spielen.

Hertha BSC Berlin. Ich mag die Mannschaft nicht. Ganz subjektiv. Ich mag sie nicht. Sie hat so etwas artifizielles. Die launische Diva scheint zum FC Marcelinho geworden zu sein und man hat nicht das Gefühl dass es innerhalb der Mannschaft oder des Clubs ein Korrektiv gibt, sondern im Rahmen kollektiver Harmoniesucht Konflikte unterm Deckel gehalten werden. Es fehlt mir das Stück Emotionalität mit der man die Karre ggf. nochmals aus der Scheiße ziehen kann. Hertha hat ligaweit die meisten Unentschieden gespielt und mit die wenigsten Joker-Tore erzielt. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass es an der “Hopp oder Top”-Mentalität fehlt, am letzten Schuß Verzweiflung der einem das Spiel nochmal in der letzten Minute umbiegen läßt.

Schalke hat von allen “Risikokapitalisten” die beste Mannschaft, auch wenn man auf einigen Positionen (rechter Verteidiger, OKH geht nach der Saison) noch Lücken hat. Rangnick hat zwei Problemfelder: zum einen finde ich die Chemie innerhalb der Mannschaft nicht überzeugend. Mit Lincoln und Ailton hat man zwei Diven an zentralen Positionen. Hier wird Rangnick viel machen müssen um innerhalb der Mannschaft eine Harmonie zu schaffen, dass alle an einen Strang ziehen. Das zweite Problem ist die Abwehr. Bordon und Krstajic haben der Abwehr nicht die Sicherheit gebracht, die allenthalben erwartet worden ist. Fabian Ernst kann der fehlende Baustein sein, der als Staubsauger zwischen Abwehr und den Kreativen auftritt.

Schalke ist daher nach Lage der Dinge mein erster Bayern-Jäger für die nächste Saison. Schon deswegen weil man gar nicht weiß, wie diese Mannschaft nicht erfolgreich spielen können soll.

Neben den “Risikokapitalisten” sehe ich noch zwei Mannschaften die oben mitspielen können aber eher gedämpft risikoreich sich versuchen schrittweise an das Niveau ganz oben anzunähern: Werder und der VfB.

Werder ist für mich die Enttäuschung des Jahres. Sie waren zwar durch Abgänge geschwächt (Krstajic, Ailton), aber für meinen Geschmack hatten sie sich adäquat verstärkt: ein Klasnic ist im Windschatten von Ailton zu einem Großen geworden, Klose hat sich recht schnell und gut eingefunden und Fahrenhorst war immerhin Nationalspieler.

Denkste. Bei Werder muß man von einem Kollaps sprechen. Ausgehend von einer unsicheren Abwehr. So souverän Ismael aussah, inzwischen weiß man, dass es auch durch Krstajic kam und Ismael noch nicht die Qualitäten besitzt ein Führungsspieler zu sein, der die Spieler um sich herum besser macht. Fahrenhorst oder Pasanen sehen derzeit wie Verlegenheitslösungen aus, die starken Flügel waren diese Saison scheintot. Staltieri und Magnin enttäuschend, Davala verletzte. Die “Raute” hat mehr mit sich als dem Gegner zu kämpfen und vorne bekamen Klasnic, Klose und Valdez zu wenig Unterstützung.

Bedenklich dass sowohl die Raute als auch die Flügel fast unverändert gegenüber dem Vorjahr antraten aber trotzdem so einbrachen.

Die Perspektiven sind gemischt. Einerseits sollte man nächstes Jahr über einige Möglichkeiten mehr verfügen: Owomoyela kommt, ein gesunder Lisztes macht vielleicht Micoud mehr Dampf. Andererseits: das Problem dieser Saison scheint mir weniger mit den Spielerqualitäten als mit der internen Chemie zusammenzuhängen. Mich erinnert die Pomadigkeit mitunter an den früheren HSV, ausstrahlend von einem unmotivierten Barbarez oder hier: Micoud.

Der VfB Stuttgart ist so ein gemischtes Ding für mich. Einerseits hielt ich den Kader nicht für so doll, andererseits steht der VfB auf Drei und ich muss Matthias Sammer folglich attestieren, dass er effizient gearbeitet hat. Und trotzdem habe ich das Gefühl dass eben jener Sammer auch ein Bremsschuh ist. Insbesondere nach dem Aus gegen Parma wurde viel darüber geredet, ob die Mannschaft nicht darunter leidet, dass Sammer den VfB klein redet, nicht von der Leine läßt.

Der Verlust von Philip Lahm wird nicht annähernd durch den Transfer von Magnin aufgefangen, aber auf der anderen Seite war Lahm in der Rückrunde hinreichend lange verletzt und der VfB ist ohne ihn ausgekommen.

Unterm Strich traue ich Werder mehr zu, als dem VfB, aber aufgrund des Micoud-Faktors kann Werder auch ein finsterer Absturz drohen.

Eigentlich hat nur Schalke personell das Zeug sich als Bayern-Jäger 2005/06 zu profilieren. Alle anderen Mannschaften brauchen noch ein Quentchen Glück und Manie um an die Mannschaften voranzuziehen.

Diese Spekulationen über die nächste Saison sind derzeit interessanter, als es die aktuelle Saison ist, sofern man sich nicht am Siechtum am tabellenende ergötzt.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Tja, wer darf mit Bayern und Schalke mitspielen? Da fallen mir noch einzwei Mannschaften ein:

    Dortmund
    Kommt wieder und wird im nächsten Jahr mindestens Platz 3 anpeilen. Struktur funktioniert, internationale Klassespieler, deren Potenzial derzeit nur angerissen wird. (Dede, Metzelder, Rosicky, Ewerthon) Psychologisch haben sie den “An den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen” – Effekt auf ihrer Seite.

    Die Leverkusener Wundertüte
    Denen traue ich prinzipiell Seriensiege zu. Dafür braucht die Abwehr mal einen stabilen Lauf ohne Verletzte und Neidereien, die Offensive gehört zu den Besten der Liga. (Schlecht wäre, wenn Berbatov geht.)

    Werder verliert Ernst, da sind die Folgen nicht abzusehen. Ich weiß aber nicht, ob man einen vierten Platz, das Pokalhalbfinale und das Kippen von Valencia aus der Champions League als völlig mißratene Saison abschreiben kann. Vielleicht noch mehr als vorher eine Mannschaft der Formextreme.

    Hamburg (sorry) , Hertha und (nicht ganz so sehr) Stuttgart stehen für mich auch nächstes Jahr unter Mittelfeldverdacht (Allerdings fängt das Mittelfeld dieses Jahr immerhin bei Platz 3 an.) und spielen hoffentlich nicht Champions League. Wobei Hertha solange Spitzenmannschaft ist, wie Marcelinho UND Bastürk gesund und gut drauf sind. (Aber nicht eine ganze Saison.) Überraschungspotenzial nach oben hat eventuell Gladbach, da liegt eine Menge Talent broich, ähh brach.

    Auf internationaler Ebene werden wir, von Bayern abgesehen, Achtelfinalteilnahmen als Erfolge werten müssen.

  3. Bei Dortmund zögere ich etwas, weil man, also ich und vermutlich auch der Trainer, noch gar keine Ahnung haben mit was für einen Kader sie in drei Monaten wieder auf dem Platz stehen.

    Aber ohne Zweifel: gemessen an den Umständen und dem ihn zur Verfügung stehenden Resourcen hat van Marwijk viel gemacht. So viele Nackenschläge wie der Mann im Laufe dieser Saison bekommen hat, hätten sich ganz andere bereits beim Apotheker ihres Vertrauen nach einer Großpackung Schlaftabletten erkundigt.

    Leverkusen: auch hier zögere ich angesichts des Kaders der nächsten Saison. Es gab mal Gerüchte das Leverkusens Zeiten des fetten Budgets endgültig der Vergangenheit angehören und man sich die großen Namen nicht mehr leisten will/kann.

  4. Tatsaechlich konnte sich Bayern kaum dagegen wehren Meister zu werden. Die groesste Enttaeuschung ist fuer ich daher Schalke. Die starke Serie in der Mitte der Saison truebt den Blick fuer den gesamten Saisonverlauf, denn man darf nicht den unglaublich schlechten Start unter Heynckes vergessen. Sollte sich S04 auf den richtigen Positionen, also vor allem im Mittelfeld, verstaerken, sollten sie den Muenchnern in der naechsten Serie besser Paroli bieten koennen. Mit den Verpflichtungen von Ernst und Bajramovic wurden schon die ersten Schritte gemacht. Hingegen sehe ich Bremen nicht als Enttaeuschung. So ein ueberragendes Jahr war nicht mehr zu wiederholen. Fuer die Belastung in der Champions League war der Kader nicht breit genug. Sie haben nicht positiv ueberrascht, aber ihr Soll erfuellt. Ausserdem sollte man die Rolle von Liztesz im Meisterjahr nicht unterschaetzen. Ich bin gespannt, ob sich der HSV am Ende der naechsten Saison dort wiederfindet, wo es mit Macht hinstrebt, denn ohne die europaeischen Fleischtoepfe duerfte es finanziell langsam eng werden.

  5. 31. Spieltag – und hier wird schon über die nächste Saison spekuliert. Woran liegt’s? Ja, genau! Daran, dass sich alle danach sehnen mal etwas attraktives, spannendes geboten zu bekommen. Die samstägliche Konferenz auf Premiere war in dieser Saison öde, öde, öde.
    Sitzt da ein Bayern-Fan und sagt mir:”Warum soll ich denn jetzt in Jubelstürme ausbrechen. Wir sind Meister, ist doch Normalzustand.” Gääähn!

  6. In der Tat, Die Diskussion um die nächste Saison ist spannender als die Aktuelle. Auffallend oft kommt da die “Alles ist scheisse” Mentalität der
    Deutschen zum Vorschein. Stichworte wie “Bild”, R. Beckmann und M. Sammer symbolisieren die typische Negativeinstellung zum Fussball.
    Alles wird kleingeredet, moralisiert und kritisiert.
    Nach einem Sieg spricht man von der nächsten schweren Aufgabe, 10-15 Mannschaften kämpfen für den Klassenerhalt und das Ziel muss der UI-Cup sein weil jeder Kader geschwächt ist und die anderen sowieso viel mehr Geld zur Verfügung haben.
    Bayern ist seit 50 jahren Favorit und das Wetter grau.

  7. Teil des Grundes warum das Diskutieren über die nächste Saison spannender als der Ist-Zustand ist, ist das Fehlen von “guten” Mannschaften. Es gibt derzeit keine Mannschaft die vor Kraft strotzt und die Tabelle raufklettert. Wo man hinguckt, Stuttgart, Schalke, HSV, Hertha, Werder, man hat das Gefühl dass diejenigen in die Championsleague kommen, die weniger häufig auf die Fresse fallen. Aber es fehlt an Mannschaften die kraft eigener Stärke und Autorität nach oben kommt.

    Und mir fehlt es am Glauben, dass das nur am Spielermaterial liegen soll.