Violett-Weiß revisited

Nicht nur ich bin anläßlich des gestrigen Spiels Ried – Red Bull Salzburg nochmals mit der Nase auf die Problematik hinter der Umwandlung von Austria Salzburg zu Red Bull Salzburg gestoßen worden.

FM4 ist einer der geilsten Musikradiosender Europas und Martin Blumenau einer der Verantwortlichen und hält auf der FM4-Website eine Art Blog auf dem er heute viel diskussionswürdiges schreibt: “Journal ’05: 25. 7. Montag. Wie ein paar violette Schlingel die für ihr Marketing weltweit hochgelobte Firma Red Bull aufblatteln.“. Wer Zeit hat, sollte sich das Original auf der FM4-Site durchlesen, ich kürze hier brutalstmöglichst auf Kosten zahlreicher Details (trotzdem mea culpa für so ausführliche quotes).

Gestern Abend, nach der bitteren Niederlage gegen den Aufsteiger Ried, entfuhr Salzburg-Trainer Kurt Jara ein Satz, der das Dilemma, in dem sein Verein steckt, auf den Punkt brachte. Auf die aus Salzburg mitgereisten Zuschauer angesprochen, die das Spiel mit dem Abschuss von Raketen oder dem Platzieren von Protest-Transparenten gestört hatten, meinte er, angefressen und beleidigt: “Das sind keine Red Bull-Fans.”

Genau.
Exakter kann mans nicht sagen […]

Dass dem wichtigsten Außen-Repräsentanten des vor einigen Monaten öffentlichkeitswirksam von Red Bull aufgekauften Vereins ein derartig dummer Spruch entwich, ist angesichts der ungeheuren Marketing-Kompetenz, die der Welt-Firma des Dietrich Mateschitz zugeschrieben wird, mehr als erstaunlich. […]

Vor allem, wenn man weiß, wie clever der Hangar 7-Schöpfer und seine Verkäufer sonst agieren […]

Red Bull agiert auch in anderen Bereichen [als der Musikbranche], die mit Sponsoring, mit Ideen-Wettbewerben etc. zu tun haben, vergleichsweise originell und – soweit das in diesem Rahmen geht – sensibel.

Die Übernahme von Mateschitz’ Heimatverein, der Salzburger Austria, war allerdings von Anfang an von einer gänzlich anderen Ideologie durchdrungen. Die sonst übliche Rafinesse setzte aus, plötzlich regierte der Holzhammer und die Marketing-Maßnahmen zielten auf die plumpest-mögliche Breitenwirkung ab […]

Es geht nicht drum, ob und wie man diesen Konflikt [zwischen den Tradiotionalisten und Mateschitz] lösen kann. Es geht drum, dass die sonst so clever agierenden Manager es in diesem Fall nie der Mühe wert befanden sich mit diesem Problem der Fans ernsthaft auseinanderzusetzen und ihnen in dieser sensiblen Frage irgendwie das Gefühl zu geben mitgeredet zu haben.
Stattdessen fährt man in jeder öffentliche Äußerung in beleidigtem Ton […] drüber.
Das alles ist zutiefst unklug.

In Zeiten des Wandels brauchen die, die davon betroffen sind – in diesem Fall sind es die alteingesessenen Fans, denn alteingesessene Spieler oder Mitglieder des Trainerstabs gibt es kaum noch, zudem werden die ja auch anständig bezahlt – das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen.

Stattdessen werden sie als verzopfte Traditionalisten diffamiert, wird ihnen jegliche Gesprächs-Basis verweigert.
Eigentlich das Schlimmste, was einem kommerziellen Betrieb passieren kann: die systematische Vergraulung des zahlenden Publikum.
Denn: Die Fans zahlen Eintritt, machen Stimmung, reisen zu Auswärtsspielen nach, unterstützen und leben mit.
Alles, was sie dafür wollen ist (außer einem ansprechenden Spiel) immer rein symbolsicher Natur.
Das haben Mateschitz und seine Berater, sonst wie gesagt die ausgefuchsesten Marketing-Profis dieser Welt-Region, aber nicht kapiert.
Das ist höchst erstaunlich.

Ich habe für diese Vorgangsweise nur eine Erklärung […]: Den neuen Chefs geht es um einen Komplett-Austausch des Publikums. [… Ihr] Ziel wäre die völlige Umgestaltung des Salzburger Fußballs in eine reine Event-Kultur, in etwas, das die Opposition, die Initiative Violett-Weiß “Verbeachvolleyballisierung” nennt. Wie das aussieht, war beim ersten Heimspiel der Salzburger am letzten Mittwoch zu sehen: Die Besucher werden mit gutgelauntem Lärm und Marketings-Tools zugeschüttet, finden sich solcherart aber als zu lenkende RedBull-Fahnen-Schwenker wieder, als Staffage in einer Inszenierung, für die sie wohlgemerkt ja auch Eintritt bezahlt haben […]

Ich kann mir also ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass der Komplett-Austausch ernsthaft angestrebt wird: Fußball als Firmensport-Event, ohne Fans, das ist ein Schuss ins Knie. Fußball aus der Retorte funktioniert vielleicht in Japan, aber nicht in der Alten Welt.
Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, warum bei den angesagtesten Marketing-Experten Österreichs die ganze Red Bull Salzburg-Operation derart aus dem Ruder läuft.

Im vorher angerissenen Musik-Bereich, bei der Academy, hat man sich Experten aus der Branche geholt, Leute, die Erfahrung und Gefühl für das haben, was sie dort auf die Beine stellen. Dies wurde im Fußball-Bereich offenkundig völlig verabsäumt. Hinter den vielen Fehlern ist keine Handschrift eines Fachmanns zu erkennen.

Adäquate Kommentare laufen dort auf der Site derzeit auch auf.

Soweit ich es sehe, ist eine derart firmennahe Umwandlung eines Fußball-Vereins in Deutschland momentan nicht im Gange. Das was es teilweise in den Boomzeiten der New Economy gab, erinnert sei an die Kölmel- oder Göttinger Gruppe (TeBe), ist inzwischen alles mehr oder weniger eingestampft. Stattdessen versuchen sich die Clubs selber bzw. mit ihren Stadien/Arenen als Events zu verstehen. Siehe BVB, Schalke, Bayern. Und auch wenn sie “Alternativ” sind, spielt ja auch der FC St.Pauli ganz gut auf der Klaviatur von Hype und “In-Crowd”.

Aber spätestens wenn im Sommer 2006 die FIFA die Regentschaft über die deutschen Stadien übernehmen wird, mit all seinen kuriosen Auswirkungen wie z.B. der Budweiser-Plörre, steht die “Verbeachvolleyballisierung” zumindest temporär an. Aber wir dürfen davon ausgehen, wenn Ernst + Young weiter fröhlich white papers schreiben, wird man auch in der Bundesliga an den richtigen Strippen ziehen.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Weiterer wütender Blog-Eintrag aus der Schweiz: “Fuck Off, Red Bull” mit Link auf ein Video, dass den “Event” vor dem ersten Heimspiel zeigt.

  3. Der Fussball ist endlich in der Eventliga angekommen. 90 Minuten Unterhaltung “für die ganze Familie” – incl. Freigetränk von ‘rb’. Was will man mehr …

  4. Da man ja auch die ein oder andere Million in den Verein pumpt, hofft man wahrscheinlich, dass der sportliche Erfolg (so er sich denn irgendwann einstellt) auch die Fans langfristig wieder ins Stadion treibt und in ein, zwei Jahren nur noch eine Minderheit über Vereinsfarben und Tradition diskutieren will.