Heute ist Gipfel

In den Sportnachrichten ist dem Thema nicht zu entkommen: heute ist der sagenumwobene Gipfel zwischen der halben Bundesliga und dem Nationalmannschaftstriumvirat.

Die Parallelen zwischen dem Gedöns rund um die Nationalmannschaft und der Politik werden immer frappierender, Stichwort “Jobgipfel” oder “Koalitionsgespräche”.

Entsprechend steigen auch die Qualitätszeitungen ein und erläutern in längeren Artikeln Pro und Contra. Gestern in Extremis die Frankfurter Rundschau, angetrieben von einer Untersuchung des Sportwissenschaftlers Pedro Gonzalez aus Hamburg: “Falsch trainiert” – die Studie, ein Interview, Stimmen aus der Bundesliga. Ein weiteres Interview mit Gonzalez ist heute im Tagesspiegel erschienen.

Gonzalez hat bei einer Befragung von 15 der 18 Bundesligisten erschreckende Rückstände festgestellt und will nur den HSV und Schalke von seiner Kritik ausnehmen (Freiburg, Lautern und Bayern konnten nicht befragt werden).

In die gleiche Kerbe schlägt auch Bernd “die Grätsche” Hollerbach in ein Interview mit der FAZ mit seiner Aussage dass das Training in der Bundesliga nicht ausreichend ist. Und in einem Interview mit NDR Info eilte heute morgen auch HSV-Trainer Thomas Doll Klinsmann zur Hilfe.

Insgesamt herrscht quer durch die Qualitätszeitungen sehr viel Verständnis für Klinsmann.

Ein besonderer Fall ist die Kritik die aus Schalke kommt. Da gibt es einerseits die Sprüche aus dem Hause Assauer, die mehr bauch- oder lendengesteuert zu sein scheinen. Interessanter Aspekt: eigentlich sollte Assauer heute beim Gipfel dabei sein. Er hat aber abgesagt und wird von Andreas Müller vertreten, der gemeinhin als Gegenpol zu Assauer angesehen wird.

Und da gibt es die harte Kritik von Ralf Rangnick an Klinsmanns Fitnessprogramm, die deswegen überrascht, weil man beide eigentlich als “brothers in mind” wähnt. In der FR steht heute von A. Morbach ein interessanter Artikel der Verständnis für Rangnicks Position weckt: “Schalker Sorgenkinder“.

Die Kritik von Rangnick hat viel mit der Formschwäche von Fabian Ernst und Kevin Kuranyi zu tun. Rangnick sieht einen Zusammenhang zwischen Confed-Cup und Formschwäche: “Das körperliche Tief ist bei allen Spielern festzustellen, die im Sommer den Confederations Cup absolviert haben“. Den Schalkern versaut es möglicherweise die Meisterschaft, weil ihre teuer bezahlten Spitzenkräfte eine nationalmannschaftsbedingte Formkrise haben.

Und wenn die Parallelen mit der Politik sich auch nach dem Gipfel fortsetzen werden, dann werden wir heute nach dem Gipfel viele lächelnde Gesichter sehen und ab morgen früh wird wieder Heckenschützenarbeit geleistet.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Vielen Dank für die zusammengefassten Infos und Links. Das ganze Spektakel ist in der Tat aberwitzig. Die Berichterstattung ist allerdings erschreckend, kaum ein Zusammenhang wird verständlich dargestellt oder ansprechend analysiert – leider auch nicht in einschlägigen Medien wie z.B. dem Kicker (Rainer Holzschuh, dieser egomanische Oberpanikschreier!). Man fragt sich manchmal wirklich, wegen was die sich da oben eigentlich streiten. Ich würde gerne mal wissen, ob die einfach nicht besser können oder ob sie aus Gründen des Business einfach nichts Substanztielles erzählen dürfen.

    Skurril finde ich geradezu den Zusammenhang zwischen den dargestellten Kritikpunkten am Training der Bundesligisten, dem Lob Hollerbachs für Magath und dessen kategorischer Aussage: “Wie machen keine Fitnesstests.” Obwohl das Personal bei Bayern (Schmidtlein) wohl durchaus interessiert an der Entwicklung (siehe Videoaufnahmen von Chelseas Aufwärmprogramm) ist, Magaths Spieler als fit gelten und die Bayern das letzte Saison auch bewiesen haben. Warum nimmt sich kein Journalist diesem Widerspruch mal an, unterwandert er doch die ganze Argumentation der FR ziemlich übel.

    In diesem Sinne auf zur nächsten Runde in diesem Theater.

  3. Eines vorweg, ich begrüße die Innovationen Klinsmann’s, was den Fitnessbereich der deutschen Mannschaft angeht, aber was derzeit alles in diese Sache – entschuldigt’ für die Wortwahl – “reininterpretiert” wird, tangiert schon Lächerlichkeit.

    Ich will Señor Gonzalez ja nicht völlig widersprechen, aber wie kann man das Aufwärmprogramm vom FC Chelsea mit dem eines durchschnittlichen Bundesligaclubs vergleichen. Selbst, wenn man das Fitnessprogramm eines FC Barcelona sein Eigen nennen könnte, man hätte weder kurz- noch langfristig den Erfolg des selbigen.

    Daher kann ich auch seine Aussage, das “Fussball hauptsächlich eine Laufsportart” sei, keineswegs teilen. Was nutzt einem die beste Fitness, wenn es dem Trainer(stab) nicht gelingt, der Mannschaft Verständnis für die taktischen Einstellungen zu vermitteln. Und gerade was diesen Punkt angeht, halte ich Klinsmann (und auch Löw) nicht für die optimale und auch nicht langfristige (Post WM-Ära) Lösung. Aber das ist ein ganz anderes Thema, oder?

    Und wenn mir ein kleiner Seitenhieb erlaubt sei, Gonzalez’, im Fitnessbereich betreuten, Hamburg Freezers sind derzeit (leider) auch nicht das Paradebeispiel für sportlichen Erfolg.

  4. Apropos Widerspruch: Im “Falsch trainiert”-Artikel wird ein “Insider” zitiert, die Lizenzerteilung an verdiente Nationalspieler nach ‘Hokus-Pokus’-Trainerlehrgängen sei ein Skandal. Meines Wissens nach verdankt auch Jürgen Klinsmann einem solchen Lehrgang seinen Schein. Auf der anderen Seite gibt es wohl kaum einen Trainer, der in der Liga-Praxis erfolgloser wäre, als die Verkörperung des DFB-Schulungswesens Erich Rutemöller.

  5. Was die Kompetenz von Jürgen Klinsmann angeht: eben deshalb hat er mit Joachim Löw einen Partner dazugeholt.

    Was die Wichtigkeit der Kondition/Fitness angeht: ich halte es für zu simpel Fitneß gegen Technik auszuspielen, nach dem Motto “Laktat-Test schießt keine Tore”. Auch Gonzalez sieht es differenzierter und geht im Tagesspiegel darauf ein: Fitneß ist ein Fundament, nicht mehr und nicht weniger.

    Es ist halt moderne Fußballphilosophie, das vieles über Tempo und Agilität läuft und da ist eben die körperliche Fitneß eine wesentliches Essential. Dazu gibt auch ein Matthias Sammer ein beachtenswertes Interview im KICKER, über das ich heute noch einen Eintrag schreiben wollte.

    Chelsea ist insofern mit einem normalen Bundesligaclub zu vergleichen, als dass ein ähnliches Niveau bzgl. Fitness für einen Bundesligaklub wesentlich einfacher zu erreichen ist, als ein entsprechendes spielerisches Niveau. Will sagen: Fittness taugt als Gleichmacher unter ungleichen Mannschaften. Rangnick hat vor Jahren überspitzt formuliert, das mit einer entsprechenden Taktik er aus 11 Dauerläufern eine gute Mannschaft formen kann.

  6. dogfood, Du nimmst mir fast schon die Mühe zu schreiben ab. Aber als Anhänger einer extrem lauffaulen Mannschaft kann ich Dir nur recht geben. Fußball ist eben doch ein Laufspiel und Taktik lässt sich nur durch Laufbereitschaft umsetzen.

    In dem Zusammenhang erinnere ich einfach mal an die Auftritte der Stuttgarter unter Magath. Die konnten damals auch in der Schlussviertelstunde noch Tempo machen.

    Oder auch an Jürgen Klopps Begründung, warum sie in der letzten Saison so erfolgreich waren: “Wir haben die anderen einfach platt gelaufen.”

    Zu Magath noch eins: Der braucht vielleicht einfach keine Fitnesstests, weil er weiß, dass seine Spieler fit sind. Schließlich sorgt er selber dafür.

  7. Um mal die entscheidende Ausdifferenzierung in die Diskussion zurückzubringen: Es gibt keinen monolithischen Fitnesswert, in dem Bundesligaspieler schlechter abschneiden würden als die Verteter der momentanen Eliteligen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die meisten Bayern bei einem 10km-Lauf besser abschneiden als die Jungs von Barca.

    Der hiesige Rückstand scheint doch eher in der Schulung von Athletik, Schnelligkeit, Spritzigkeit, spezifischen Bewegungsabläufen zu liegen. (Gonzalez: ” Das Konditionstraining ist nicht ausreichend individualisiert und ausdifferenziert. Die Daten dokumentieren eine bemerkenswerte Geringschätzung des modernen Athletiktrainings.” Gemein überspitzt: Hier wird einfach in der Vorbereitung nach alter Sitte Kondition gebolzt, dann nach Weihnachten, wenn die anderen weiterspielen, noch mal nachgeschuftet und im März wird sich dann im Block mit schweren Beinen aus Europa verabschiedet..)

    Insofern unterschieden sich die Ansätze von Klinsmann und Magath zum Beispiel diametral.

    Abgesehen davon ist mein Verdacht, dass der ganzen Aufführung zur Zeit ein realer Konflikt zugrundeliegt: Die Vereine brauchen jetzt – und noch mehr im März/April – matchfitte Spieler, und Klinsmann erst im Juni.
    Ist Rangnick im Zweifelsfall sein Job wichtiger oder das deutsche Abschneiden bei der WM? Anyone care to guess?

  8. Es gibt keinen monolithischen Fitnesswert
    Ich setze das mal feisterweise als bekannt voraus und so wie die Diskussion hier im Thread verläuft, scheint jedermann zu wissen, das mit dem Fitnesstraining moderner (a.k.a. Klinsmann’scher) Ausprägung nicht das Konditionsgebolze alter Prägung gemeint ist.

    Auch Klopps Statements meint eher “moderne Fitness”, wenn er verkürzt von “platt gelaufen” spricht. Immerhin ist Klopp studierter Sportwissenschaftler.

    Insofern unterschieden sich die Ansätze von Klinsmann und Magath zum Beispiel diametral.
    Ich weiß es nicht, aber ich ahne dass das ein Denkfehler ist, weil aus der Rumpeligkeit eines Magaths auf Konservatismus geschlossen wird. Im Falle von Magath/Bayern gibt es einige Indizien dass er eben nicht nur die Waldläufe und Medizinball-Training macht, sondern einen modernen Fitneß-Apparat hinter sich hat, der sich auch mit internationalen Kollegen austauscht.

    Ich kann mir vorstellen, dass ein Antipode zu Klinsmann eher Werder Thomas Schaaf ist, obwohl auch er ein Vertreter des Offensivfußballs ist. Mehrmals in den letzten Tagen konnte man hören, dass Schaaf keiner ist, der groß Abwechslung in das Training bringt und Schaaf/Allofs gehörten auch zu jenen die sich lauter über das Fitnesstraining aufgeregt haben (oder siehe auch Funkels bräsiges Statement in der FR).

    Der Punkt der vermutlich die Hoeneß, Assauer, Rangnicks und Schaafs dieser Liga eint, ist in der Tat der Zielkonflikt dass die einen Konzentration auf die WM haben wollen, die anderen fitte Spieler in der Liga. Und Rangnicks Bemerkung, dass nicht ein einziger Confed-Cup-Spieler derzeit gut in Form ist, steckt den Finger in die Wunde. Kuranyi, Ernst, Mertesacker, Ballack, Podolski, Sinkiewicz, Frings.

  9. Ich bin nicht der Fußballexperte, aber über die Diskussion um die Leistungstests kann ich als begeisterter Jogger nur den Kopf schütteln. Wenn ich dann in den oben verlinkten Artikeln auch noch lese, dass „Im Schnitt pro Verein 1,2 Laufbänder zur Verfügung stehen“ , „ein Klub 8 Pulsuhren hat“ oder „Im Schnitt 0.6 Konditionstrainer pro Verein existieren“ schüttele ich den Kopf mit runtergeklappter Kinnlade. Offensichtlich ist da jeder etwas ambitionierte Jogger der hier abends um die Alster läuft besser ausgerüstet. Pulsuhr, Grundwissen über die eigenen Trainingszonen und Herzfrequenz gehören da zum Standard. Und ich kenne jede Menge Leute die für 200+ EUR einen Fitnestest hier an Institut für Sportmedizin machen lassen. Ich halte solche Tests für Hobbyjogger zwar für unsinnig, aber für Profifußballer sollte so was doch Standard sein. Immerhin brauchte Herr Funkel dann nicht mehr sagen: „Ich glaube, alle Bundesligamannschaften sind fit.“

  10. Ich würde bei Klopp trotz des Hüpfballgehabes und seiner saloppen Ausdrucksweise einen eher modernen Trainer vermuten. Nicht nur in Fitnessdingen, auch taktisch ist Mainz nicht das schlechteste in der Bundesliga, auch wenn sie gerne auf ihr Kämpfer-Image reduziert werden (Profis mit Herz).

    Auf die mangelnde Fitness von Auswahlspielern nicht nur der deutschen Mannschaft hat vor einiger Zeit schon Klaus Theweleit hingewiesen (in “Tor zur Welt” – hieß es, glaube ich). Das scheint auch international ein Problem zu sein.

    Als Jogger schließe ich mich ansonsten Ralphs Einschätzung an, zumal sich meine Laufrunde und die der FC-Profis überschneiden. Meine ist aber länger.

  11. Bei einigen meiner Maschseerunden habe ich die Mannschaft von Hannover 96 überholt. Die schnellsten auf den langen Runden waren die gerade nicht. Als die Jungs allerdings mal am Bootsclubbereich beim Sprinttrainig gesehen habe war klar, dass die Jungs ganz andere Fähigkeiten hatten.

  12. Stimmt. Im Sprint würden mich die FCler auch abhängen. Aber das entspricht auch eher der Belastung beim Fußball (Sammer hat dazu auch was im Interview gesagt).

    Für mich ist es trotz guter Grundlagenausdauer (gut im Sinne von besser als die der anderen) immer anstrengend Fußball zu spielen, weil der ständige Wechsel zwischen Traben und Sprinten völlig ungewohnt ist.
    Die Vorteile der Grundlagenausdauer liegen eher in der Fähigkeit sich in hektischen Spielsituationen konzentrieren zu können (weil Atem und Körper ruhig bleiben. Klingt seltsam, ist aber tatsächlich so.) und eben darin, nach 60 Minuten noch nicht platt zu sein.
    Das bestätigt aber auch nur aus Laienerfahrung, was oben schon steht: Dass es nicht um das plumpe Konditionsbolzen geht, sondern um fußballspezifisches Training.