Fuß, Foot und Kopf

Fuß vs. Foot

Surfguard hat eine Äußerung von Felix Magath in einem Interview über Schach zum Anlaß für einen kleinen Blogeintrag genommen.

Magath: “Die Taktik ist im Fußball kaum wissenschaftlich erforscht.”
Stimmt erstaunlicherweise. Im Football ist das beispielsweise ganz anders. Fußball wird aber immer noch nicht als strategisches Spiel begriffen

Es gibt schon gewisse Abhandlungen über Fußballstrategien. Ich verwies im Januar 2005 auf den ernstgemeinten Aufsatz einer US-Militärzeitschrift, die amerikanische Kriegsführung anhand des Vergleiches zwischen Fußball und Football erklärt (damals in den USA von Jürgen Kalwa in der FAZ aufgegriffen)

Die interessante Frage hinter Magaths und Surfguards Bemerkung ist aber: wieviel lässt sich an Fußballstrategien und Taktiken erforschen? Ich behaupte, dass bei fließenden Sportarten wie Basketball oder Fußball zuviele Variablen existieren um die Sportart im klassischen Sinne zu untersuchen.

Auch für den Fußball gibt es inzwischen zahlreiche empirische Erhebungen und wenn Magath wollte, könnte er sich die Zahl der mit rechts geschlagenen Pässe von Bastian Schweinsteiger des dritten Quartals 2005 geben lassen. Aber was ist die Aussagekraft? Immer wieder werden Bruchstücke von statistischer Analyse verwendet, um bestimmte Taktiken zu rechtfertigen (Norwegens Egil Olsen: soundsoviele Tore entstehen in den ersten 20 Sekunden nach Ballverlust, also schnell nach vorne spielen) nur damit der nächste Sportwissenschaftler ankommt und die Statistik widerlegt (und en-passant mit dem WM-Tipp “England” grandios scheitert).

Wie anders ist da American Football oder Baseball, der wesentlich deterministischer zu sein scheint. Feste Ausgangssituationen. Mit Zahlenmaterial Schwächen entdeckt und über mehrere Spielzüge versuchen die Schwäche entscheidend auszunutzen. Sicher: auch hier spielen Spieler eine Rolle. Aber insbesondere im Football, sind sie mehr “ausführendes Organ” von Spielzügen in einem mehr als 100seitigen Playbook, teilweise Woche für Woche von den Coaches für den nächsten Gegner aktualisiert.

Phil Jackson, einer der erfolgreichsten NBA-Coaches hat immer einen festen taktischen Rahmen gehabt, die Triangle Offense, und anhand dessen Spielzüge entwickelt und einstudiert. Aber Jackson legte, wenn man seinen Bücher Glauben schenken darf, auch immer sehr viel Wert darauf, dass die Spieler im flow sind, versuchte durch Meditation und Joga-Übungen die Antiziption der Spieler füreinander zu stärken, die Reaktionsfähigkeit aus dem Unterbewusstsein zu steigern.

Urs Siegenthaler beschreibt diese Mischung aus Studium und Antizipation in einem ZDF-Interview mit

Alles, was nicht automatisiert ist, können sie im entscheidenden Moment nicht abrufen. Sie können sich im Fußball nur kreativ entwickeln, wenn sie sich in einer Ordnung, in einem Konzept aufhalten.

Urs Siegenthaler ist vermutlich die Meßlatte für analytische Aufbereitung von Fußball. Er schafft es präzise Momentaufnahmen von Mannschaften aufzuzeichnen, die mögliche Wege für den Gegner aufzeigen. Er geht in seinen Analysen strukturiert vor. Ist aber das was Siegenthaler betreibt, wirklich “Wissenschaft”? Wirklich das Aufstellen von allgemeingültigen Theoremen? Oder ist das entscheidende Wort bei Siegenthalers Tätigkeit nicht “Momentaufnahme”: eine nur für einen mittleren Zeitraum gültige Aussage.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Schöner Beitrag. Aber muss Wissenschaft das Aufstellen von allgemein gültigen Theoremen beinhalten? Oder kann sie nicht auch, auf den Fußball bezogen, aus der Beschreibung des gegnerischen und eigenen Verhaltens bestimmte Verhaltensweisen für einzelne Spielsitutationen ableiten?
    Ich denke, eine solche despriktive Herangehensweise ist für etwas im Grunde sehr chaotisches wie Fußball besser als der Versuch Wissenschaft normativ zu betreiben. Beides jedoch würde ich als wissenschaftliche Herangehensweise betrachten.

  3. dogfood schrieb:

    wieviel lässt sich an Fußballstrategien und Taktiken erforschen? Ich behaupte, dass bei fließenden Sportarten wie Basketball oder Fußball zuviele Variablen existieren um die Sportart im klassischen Sinne zu untersuchen.

    Naja, aus meinem Physikstudium und Gesprächen mit befreundeten Psychologen kann ich dir sagen: Wissenschaft ist nicht auf das Erforschen von Käsekästchen beschränkt. Das Vorhandensein von vielen Variablen ist lediglch eine Herausforderung, eine passende Methode zu entwickeln.

    Du hast natürlich vollkommen recht, dass sich Football besser eignet, schematische Spielzüge einzusetzen und Situationen schachgleich zu analysieren. Aber das Wort “Laufweg” hat seit ein paar Jahren sogar in die Fernsehreportersprache Einzug gehalten. Und der von dir zu Recht erwähnte Urs Siegenthaler ist nur einer derjenigen, die Statistiken seit einiger Zeit zur Analyse von Spielern und Mannschaften benutzen. (Ich erinnere mich dunkel, mal etwas über die ausgefuchste Spielerdatenbank der Südamerika-Scouts von Bayer Leverkusen gelesen zu haben.)

    Natürlich gibt es im Fußball nicht so abstrakte Regeln hinter dem Geschehen zu entdecken, wie in der Physik. Aber im Fußball regieren Moden, die auf kompetenten inhaltlichen Einschätzungen beruhen (Libero, Voetbal Total, Viererkette), die aber nie wissenschaftlich eingeschätzt werden: Macht die Viererkette eine Mannschaft wirklich erfolgreicher? Wenn ja, auf welchen Effekten beruht das, welche Art von Standardagriffsspielzügen wird zum Beispiel nachweislich häufiger von einer Viererkette durchkreuzt? Welche psychologischen Effekte führen generell bei einer Spielsystemumstellung zu Verbesserung oder Verschlechterung der Leistung der Mannschaft? Eine fundierte Methodik der Raumaufteilung, mit Elementen aus der Graphentheorie (das Travelling-Salesman-Problem für Mittelfeldregisseure), könnte ich mir nur beispielsweise ebenfalls gut vorstellen.

    Ich sehe da also auch im Fußball durchaus noch Raum für die Wissenschaft. Aber das Schönste ist ja, dass auch im Football entscheidend immer noch auf dem Platz bleibt.

  4. Ich würde Basketball und Fußball nicht auf eine Stufe stellen, was deren theoretische Erforschung anbelangt.
    Der einfachste Grund ist, dass aufgrund weniger Spieler und engerem Raum Basketball per se prädistinierter für Systemtheorien aller Art ist. Dann gibt es kein Mittelfeld, selbiges Geplänkel entfällt also. Außerdem bin ich mir fast sicher, dass es im Fußball auch playbooks gäbe, wäre er in Nordamerika erfunden worden.
    Und im europäischen Basketball, der weniger vom freizügigen one-on-one lebt, existieren Dutzende gängige Spielsysteme. Nur hängt eben der Einsatz bestimmter Taktiken mehr als beim Football und noch viel mehr als beim Fußball von den physischen und psychischen Eigenschaften ab, die jeder Spieler mitbringt.

  5. Das Thema hat mich schon immer fasziniert. Ich möchte aber nicht dogfoods Kommentarspalte zukippen mit den vielen Gedanken, die mir duch den Kopf gehen. Nur soviel: der Einsatz von Strategie und Taktik im amerikanischen Mannschaftssport wird weidlich uberschätzt. Aus zwei Gründen: Erstens – Trainer (im Baseball: Manager) spielen traditionell und kulturell als Drahtzieher eine wichtige Rolle in der Außen- und Innendarstellung der Spiele. Die Spieler selbst sind eher so etwas wie Schachfiguren. Das heißt aber nicht, dass Trainer wirklich mit Plan und Konzept arbeiten (selbst wenn sie in den Auszeiten mit Diagrammen herumhantieren oder eingeübte Spielzüge abrufen). Zweitens – die intensive Verwendung von statistischen Informationen fördert mehr die Illusion einer fundierten Beschäftigung mit der Aufgabenstellung, als dass sie das taktische Spektrum erweitert.

    Die amerikanische Haltung gegenüber taktischen Szenarien ist durchgängig “risk averse”. Das zeigt sich im Militär, wo ein voranstürmender aggressiver Panzer-General wie George S. Patton die Ausnahme war (und an die Kandarre genommen wurde). Ein Planungsmensch wie Dwight D. Eisenhower oder später Colin Powell, der den Golfkrieg 1991 inszeniert hat, repräsentiert die amerikanische Herangehensweise besser: Powells Strategie lautete “Overwhelming Force”. Er hatte monatelang Zeit, um den Einmarsch in den Irak und nach Kuwait vorzubereiten und nutzte sie.

    Im Sport lautet die Entsprechung: “You play the percentages” – du entscheidest dich für die Spielzüge oder die Schläge beim Golf, die mit grösserer Wahrscheinlichkeit ein brauchbares Resultat produzieren. So verliert man dann den Ryder Cup – achtkantig – weil der Gegner mit mehr Risiko spielt.

    Wenn die Amerikaner taktisch erfindungsreich wären, ließe sich das in den einzelnen Sportarten wiederfinden. Aber abgesehen von der gelegentlichen Idee wie “Hack-a-Shaq” (das absichtliche Foul, das einen Basketballer mit schlechten Freiwurf-Resultaten an die Linie bringt) oder beim Football auf Ballbesitz zu setzen (legendär: der Super-Bowl-XXV-Sieg der New York Giants gegen die sehr viel besseren Buffalo Bills – die Giants hatten den Ball mehr als 40 Minuten, die Bills weniger als 20) wird kaum etwas probiert/riskiert. Typisch: Don Nelson, der ehemalige Trainer der Dallas Mavericks, der jetzt die Golden State Warriors betreut, wurde mit seinen ungewöhnlichen taktischen Ideen stets verspottet (Nellie-Ball) und hatte nie den durchschlagenden Erfolg, der die Lacher zum Schweigen gebrach hätte. Also landeten sie auf dem M¨llhaufen der Geschichte.
    ¨
    Wir haben in den USA nachwievor ganz klassische Wettkämpfe, bei denen am Ende fast immer die schnelleren, längeren, kräftigeren Kerls mit der grössten Ausdauer gewinnen – nicht die pfiffigen, einfallsreichen, schwächeren. Wir haben die Prediger, die konstant sagen, Verteidigung gewinnt Meisterschaften, obwohl das natürlich Unsinn ist. Man muss ja erst einmal einen Vorsprung herausholen. Und wir haben die Ideologen, die von Emotionen und mentaler Stärke quasseln und damit nur verdecken, dass es an Denkern, Strategen und Taktikern fehlt.

    Fazit: Aus diesem Topf kann man sich für den Fußball nicht viel holen. Außer man steht auf Augenwischerei.

  6. Zumindest ein Hauch von Verwissenschaftlichung. Das WM-Finale mal netzwerktheoretisch betrachtet. Vielleicht kann jemand was damit anfangen. Zumindest für die Nachbereitung eines Spiels kann das durchaus hilfreich sein..

  7. … erinnert Ihr Euch noch an die Geschichte mit den Elfmetern, die während der WM aufkam? Dass rund 90% aller Elfer sitzen, wenn sie halbhoch geschossen werden? Auch das ist in dem archaisch-männersportlichen Fußball-Universum längst nicht angekommen.

    Außer bei Jürgen Klopp, aber wir bekommen im Moment einfach zu wenig Elfer *g*

    Gruß Guido

    … bisschen Bissiges unter fokus-erfolg.de

  8. […] halte in einer kleinen Replik ebendort das Fähnchen der Wissenschaft hoch: Welche psychologischen Effekte führen generell bei einer […]