Sensationskampfabend im ZDF mit Weltklasseboxen

Hehe… reingelegt.

Nach ungefähr 17 Sekunden Rudi-Cerne-Moderation war kein Adjektiv aus dem deutschen Sprachraum mehr unbenützt, kein Superlativ nicht ausgelutscht genug als das Cerne ihn nicht noch ein zweites Mal gebracht hätte. Und als Cerne dann auch noch den Boxkampf Ina Menzer – Kasha Champlin vorankündigte und von “hübschen Athletinnen” und “das Duell der schönen Frauen” sprach, erbrach meine Freundin ihr Abendessen vor dem Fernseher und ich bekam meinen Fuß kaum aus der Bildröhre wieder raus.

All den Kredit den Cerne schon dadurch hatte, dass er nicht René Hiepen war, mit vollen Händen binnen einer Sendeminute wieder weggeschmissen. Mein Vorschlag zur Moderatorenkonditionierung: Boxer neben Cerne stellen und für jedes Adjektive eine aufs Maul. Für jedes Superlativ in die Nüsse rein.

War was? Ach so, Boxen. Ich vergaß.

Felix Sturm – Gavin Topp

Gavin Topp schien eine sichere Wahl für einen Aufbaukampf zu sein. Relativ wenig Erfahrung (24 Kämpfe). Falls es schiefgehen würde, hilft unserer schornsteinfegender Geesthachter Joachim Jacobsen im Ring, gerne mit devoten Urteilen zu Hand. Und wenn alle Stricke reißen, zwei weitere deutsche Punktrichter, u.a. Michael Küchler. Küchler und Jacobsen haben auch am letzten Wochenende das Axel Schulz-Comeback gepunktet und nach Informationen von Günter-Peter Ploog beim Abbruch tatsächlich Unentschieden auf den Punktzetteln gehabt!

Felix Sturm ging mit versteinerte Miene in den Kampf. Ich bin mir nicht sicher ob es Langeweile, humorlose Entschlossenheit oder er mit dem Kopf woanders war. Sturm startete schaumgebremst, kontrolliert. Jeder Schlag vorher durchdacht. Gavin Topp, in der Reichweite deutlich unterlegen, war technisch limitiert, versuchte aber einen “ehrlichen” Kampf abzugeben.

Physionomisch erinnert mich Topp an Odo von Deep Space Nine. Das ist insofern von Bedeutung, weil Topps Augenbrauen, besser: Augenwülste, nicht so aussahen, als würden sie viel vertragen können. Es kam wie es kommen musste. In der 5ten Runde gab es einen ersten Cut, den sich der Ringarzt anschaute. Spätetens hier konnte man ahnen, das Jacobsen seine Chance nützen würde. Eine Runde später war es so weit. Der Cut über dem linken Auge vertiefte sich und Jacobsen ließ abbrechen. Genauso unaufgeregt wie Sturm seinen Kampf abgespult hatte, nahm der freundliche Topp die Entscheidung hin. Nur das Berliner Publikum zeigte erste Lebenszeichen und buhte Sturm aus. Keine Ahnung ob der Abbruch berechtigt war, aber irgendwie war es keine Aufregung wert. Aufbaukampf, limitierter Gegner, deutsche Kampf- und Punktrichter, so what…

Sturm musste nicht viel zeigen und zeigte nicht viel. Sturm hat zwar vielleicht wieder Gefühl für den Ring bekommen, aber ansonsten war der Kampf recht sinnlos, Topp kein “Prüfstein”, anders als es Ploog und Adjektiv-Cerne behauptet haben.

Nicht ganz klar ist, wer der nächste Gegner von Sturm werden wird…

Castillejo – Carrera

… denn natürlich würde sich ein Rematch mit dem Weltmeister Castillejo anbieten. Doch der ist kein Weltmeister mehr, wurde bei seiner Titelverteidigung in der 11ten Runde vom Ringrichter aus dem Verkehr gezogen.

Die Umstände waren merkwürdig. Einerseits war die Entscheidung des Referees Pineda nachvollziehbar: Castillejo geriet in einen Schlaghagel von Carrera, hing in den Seilen, zeigte keine Gegenwehr. Aber auf der anderen Seite, war auch deutlich zu merken, dass Castillejo noch voll bei Sinnen war. Vermutlich eine “Kann”-Situation. Mancher Ringrichter bricht sowas ab, andere nicht. Es war zumindest dämlich vom erfahrenen Castillejo sich so wehrlos zu zeigen.

Keine Ahnung wie es auf den Punktzetteln zu diesem Zeitpunkt stand. Das ZDF hat einige Runden aus dem Kampf rausgeschnippelt. Die Runden schienen größtenteils eng zu sein. Zudem bekam Castillejo einen Punktabzug wg. Tiefschlags. Total offener Kampf, ein WM-Kampf, völlig überflüssigerweise zerschnippelt vom ZDF zugunsten eines drittklassigen Aufbaukampf und fünftklassigem Frauenboxen. Pffttt… Bitte gebt mir zur Entgiftung zwei Stunden Rummelplatzboxen auf EUROSPORT mit Werner Kastor, dort wo der Zynismus zuhause ist.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Weiß jemand, wie das Lied hieß, das beim Einmarsch von Gavin Topp gespielt wurde?

  3. Der Ploog-Kommentar zum Schulz-Kampf zeigt , dass wir hier mal wieder knapp an einer Blamage für den deutschen Boxsport vorbeigeschrammt sind. Eagl welche Prügel Schulz noch bezogen hätte, wahrscheinlich wäre er als Sieger aus dem Ring gestiegen, wenn Minto ihn nicht umgehauen hätte….

  4. Die Cerne-Bewertung am Anfang: Witzigste Einleitung des Jahres. Ich lese hier so gerne.

  5. Wie langweilig und vorhersehbar die Boxkämpfe auch immer sein mögen: Sie lohnen sich alleine für den folgenden Kommentar bei “Alles außer Sport”!

  6. Castillejo lag zum Zeitpunkt des Abbruchs auf einer Card vorne (96-93), Carrera auf den anderen beiden (95-94, 95-93).
    Die 11te hätte Carrera wohl gekriegt … also der SD-Sieg wär im Bereich des Möglichen gewesen.

    Der Abbruch war meiner Ansicht nach gerechtfertigt. Der Treffer vor dem Schlaghagel Carreras schien schon Wirkung gezeigt zu haben und Castillejo hat sich dann einfach nicht gewehrt und zuviel ist durch seine Deckung gekommen. Da wird man schonmal rausgenommen.

    Wie sagte jemand anders in nem Forum? Der Schiedsrichter muss binnen Sekunden entscheiden und kann nicht eben den angeschlagenen Boxer Matheaufgaben stellen und ihn nach dem Mädchennamen seiner Oma fragen um zu prüfen ob er noch klar im Kopp ist.

    Schade, dass es den Kampf nur in Stücken gab (zum Glück wurde Topp rechtzeitig rausgenommen, damit es überhaupt was zu sehen gab)

    Zum Sturm-Kampf braucht man nicht viel sagen. Ich hab in etwa soviel hingeguckt wie beim Kampf mit Sendra. Abbruch war meiner Ansicht nach nicht nötig … aber der Ringarzt schien meiner Ansicht nach sich die Wunde eh nicht genau angesehen zu haben. Das war mehr so “Guck mal Jakob, da is Blut … brech mal ab.”.
    Nennt man sowas überhaupt Cut? Ist n Cut nicht eine schnittförmige Verletzung (z.B. Platzwunde)? Für mich sah das eher so aus, als wäre zwar ein Fetzchen Haut abgelöst, aber ne tiefe Wunde wars gewiss nicht.

  7. Schau Dir einfach ein bisschen Boxen aus Italien auf ES an…. da hast Du dann genug Entgiftung ;)…. da werden Sachen gezeigt, die würde ich nichtmal live aus meinem Wohnzimmer übertragen…

  8. “Geesthachter Joachim Jacobsen im Ring, gerne mit devoten Urteilen zu Hand. Und wenn alle Stricke reißen, zwei weitere deutsche Punktrichter, u.a. Michael Küchler. Küchler und Jacobsen haben auch am letzten Wochenende das Axel Schulz-Comeback gepunktet und nach Informationen von Günter-Peter Ploog beim Abbruch tatsächlich Unentschieden auf den Punktzetteln gehabt!”

    Volle Zustimmung. Da liegt auch der Grund, dass Boxer wie Walujew (oder Valuev, wie die Amerikaner es schreiben) keinen besonderen Ruf haben, trotz gutem Record. Siege von Europaeern in Europa sind einfach weniger wert, weil da aus US-Sicht zu viel gemauschelt wird. Unrecht haben sie damit nicht — ich erinnere an die Halmich-Titelverteidigung, die im Unentschieden endete. Jacobsen war der Hauptverantwortliche mit seiner seltsamen Punktvergabe.

    Den Kastor kann ich ja gar nicht ab — bitte gebt mir jemanden, der seine Saetze wenigstens ohne sekundenlange Pausen durchspricht. Dann doch lieber ZDF.

  9. @Eumel,

    sorry, da muß ich dann doch widersprechen. Siege von Europäern in Europa sind einfach nur dadurch weniger Wert, weil sie in Europa stattfinden. Dazu sind die Amerikaner halt zu selbstfixiert. Auf die Frage warum es kein europäisches Baseballprofiteam gibt wurde von amerikanischer Seite mit “Weil sie es sich nicht leisten können!” geantwortet.

    Übrigens, gerade die Amerikaner mit ihrer Boxmafia sind weit von regulärem und ehrlichen Sport entfernt.

  10. @dröhn

    Ich habe allerdings nicht gesagt, dass sie damit recht haben. Die Wahrnehmung dass “ein Amerikaner in Europa nur durch KO gewinnen kann” ist aber meiner Beobachtung nach sehr verbreitet — dass ist jedenfalls in englischsprachigen Boxforen eine häufig vertetene Meinung. Gerade Deutschland hat sich einen gewissen “Ruf” erarbeitet. Ich spreche hier aber von Leuten, die sich im Boxen auskennen, und nicht von Otto Normalamerikaner, bei dem das von dir genannte Phänomen wohl eher zutrifft.

    Schliesst auch nicht aus, dass es andersrum ähnlich ist — siehe Sturm – de la Hoya.

    Ich hätte wohl besser “da liegt ein Grund” anstatt “da liegt der Grund” geschrieben, so im Nachhinein. Gibt mit Sicherheit noch mehr Faktoren.

  11. Wenn wir uns einig sind, dass wohl auf allen Kontinenten im Boxsport “gelögen und betrögen” wird, kann ich mit der Aussage durchaus leben.