Nach den Europacup-Achtelfinals: Ligue 1-Depressionen

Es ist der Freitag vor dem letzten Spieltag der Six Nations gewesen. Es ist der Freitag vor dem entscheidenden Spiel zwischen Wales und Frankreich um den Six Nations-Titel.

Und was ist der Aufmacher der L’Équipe? “Dix Idées pour gagner” – Zehn Ideen um zu gewinnen, nach dem trostlosen Ausscheiden der letzten beiden Vereine Lyon und Marseille im Achtelfinale. Zum fünften Male in den letzten acht Jahren gibt es keinen französischen Verein im Viertelfinale.

Zumindest die L’Équipe hat das Ausscheiden in schwere Depressionen gestürzt und Titelthema der Freitagsausgabe ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit der französischen Liga, mit Interviews von UEFA-Präsident Michel Platini, dem Trainer des OSC Lille Claude Puel und zehn Vorschläge der Fußballredaktion.

Den übertragenden Fernsehanstalten ist das Frühstück aus dem Gesicht gefallen. TF1, der größte Privatsender des Landes, zahlt 30 Millionen EUR/Saison für First Choice in der Champions League und bekommt zum wiederholten Male keinen französischen Teilnehmer für die letzten drei Runden. Im Gegenteil: es wirkt sich inzwischen negativ auf die Attraktivität des kompletten Wettbewerbs aus. Das Rückspiel Manchester Utd – Olympique Lyon hatte schlechtere Einschaltquoten als der Fernsehfilm der zeitgleich im öffentlich-rechtlichen France 2 lief. Die RTL-Tochter M6 hat die zentralvermarkteten UEFAcup-TV-Rechte ab dem Viertelfinale gekauft und wird diese Rechte nach dem Ausscheiden von OM wahrscheinlich wie im letzten Jahr komplett an seinen DVB-T-Ableger W9 weitergeben.

Sogar die Politik schaltet sich ein. Der Sportminister Bernard Laporte wird am Montag eine Untersuchung über die Konkurrenzfähigkeit der französischen Klubs in Auftrag gegeben, die bis zur EM der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll.

Der Chef von M6 warnt die UEFA dass sie sich wird was einfallen lassen müssen, was die anstehende Ausschreibung der UEFAcup-Rechte angeht: entweder massiv mit dem Preis runtergehen, oder ein Preis der von der Anwesenheit französischer Clubs im Viertelfinale abhängt. Was natürlich böse Gedanken über die Manipulation von Spielen Tür und Tor öffnet.

Die L’Équipe-Redaktion fordert in ihrem Leitartikel Idee ein, wie Klubs wie Lyon und Marseille ihr Potential erhöhen können, um die “Leistungs-Schallmauer” des Achtelfinale zu durchbrechen. Claude Puel vom OSC Lille, sieht die Probleme in den finanziellen Ressourcen der Clubs, denen es nicht gelingt die guten Spieler langfristig zu binden. zusätzlich fehlt den Clubs Wettbewerbspraxis auf europäischen Niveau. Clubs müssen sich über mehrere Jahre in den europäischen Wettbewerben festsetzen können, um Stück für Stück Erfahrung zu gewinnen und darauf aufzubauen. Es ist ergo wichtig, dass sich immer die gleichen nationalen Klubs für die internationalen Wettbewerbe qualifizieren.

Frage der L’Équipe: “Wenn internationale Erfahrung so wichtig ist, warum wird für den UEFAcup [von Toulouse und Bordeaux] nur die zweite Garnitur aufgeboten?
Antwort Puel: “Wenn Sie die Wahl haben eine Runde im UEFAcup weiter zu kommen oder in der Ligue 1 das Maximum rauszuholen um sich für die Champions League zu qualifizieren, was würden Sie machen? Jeder gewonnene Platz in der Ligue 1 hat enorme Konsequenzen für die Ausschüttung der Fernsehgelder

Einschub: Laut HSV-Vorsitzenden Hoffmann ist für den HSV der DFB-Pokal lukrativer als der zentralvermarktete UEFA-Pokal: im UEFAcup-Viertelfinale kommen als TV-Gelder nur 300.000 EUR rein, während es im DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Wolfsburg 878.000 EUR für den HSV gegeben hat.

Lilles Puel spricht sich für den Einzug von Großinvestoren in die Ligue 1 (also das was in der DFL derzeit als “50+1” diskutiert wird): “Es gibt zwar eine Ethik die zu respektieren ist, aber in England oder anderswo sind durchaus respektable Fonds am Werke. Amerikanische Milliadäre investieren, weil sie wissen dass sie Rendite bekommen. Sie investieren in eine sehr gut strukturierte Meisterschaft was Fernsehrechte, Stadien und Merchandising angeht. Die englischen Klubs werden wie Unternehmen geführt. In Frankreich sieht es dagegen anarchischer, amateurhafter aus. Wir wollen große Mannschaften, große Spieler, aber ohne auch das System zu übernehmen, dass dieses erst ermöglicht. Mit dieser ‘Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass’-Mentalität, hat Frankreich inzwischen 10 Jahre Rückstand auf die internationale Entwicklung bekommen.

Resourcenvegleich

Premier League Primera Div Serie A Bundesliga Ligue 1
Durchschnttl.
Monatsgehalt/Brutto
145.000 83.500 86.800 65.000 44.000
Durchschnitt.
Vereins-Budget
91 Mio 70 Mio 70 Mio 58 Mio 45,5 Mio
Erlös TV-Rechte
pro Jahr
1.400 Mio 350 Mio 612 Mio 420 Mio 668 Mio
Tore
pro Spiel
2,62 Tore 2,64 Tore 2,52 Tore 2,78 Tore 2,16 Tore
Durchschnittl.
Zahl der Clubs in
Europapokal-Viertelfinals
seit 2000
3,11 Vereine 3,77 Vereine 2,22 Vereine 1,66 Vereine 0,88 Vereine

(Quelle: L’Équipe, Printausgabe 14.3.2008)

Das 10-Punkte-Programm der L’Équipe

1/ Öffnung für ausländisches Kapital – Nach der peinlichen Episode rund um den angeblichen Einstieg des anrüchigen kanadischen Milliadärs Jack Kachkar bei Marseille, stehen Franzosen solche Investitionen mit äussersten Argwohn gegenüber.

2/ Europaweit gültige Lizensierungsbedingungen – Damit sollen letztendlich die “Spielregeln” vereinheitlicht werden und solche Vereine wie Chelsea verunmöglichen, wo Abramovich seit 2003 660 Mio EUR reingepumpt hat, zuletzt 99 Mio EUR Verlust gemacht worden sind und erst 2009/2010 erstmals schwarze Zahlen erwirtschaftet werden. Allerdings profitierten die Franzosen selber von diesen laxen Regeln, als Canal+, Louis-Dreyfus und Pinault Unsummen beim PSG, in Marseille und Rennes reinpumpten.

3/ Verkleinerung der Liga auf 18 Vereine – Der Leistungsunterschied zwischen dem Tabellenersten und Tabellen-20ten ist zu groß.

4/ Den UEFAcup ernst nehmen – Toulouse, Marseille und Bordeaux haben freiwillig den UEFAcup durch das Aufstellen einer zweiten Garnitur abgeschenkt (Ausnahme: Marseilles Auftritt bei Zenit). Bordeaux hat sich z.B. durch das Ausscheiden gegen Anderlecht, eine Chance zum Leistungsvergleich gegen Bayern München durch die Lappen gehen lassen.

5/ Nieder mit der defensiven Spielkultur – Französische Trainer lassen nach dem Motto spielen “Hinten muss die Null stehen”. Tatsächlich kommen in Europa aber vor allem diejenigen Klubs weiter, die in der Lage sind, auch ein offensives Feuer zu entfachen. Es hat seinen Grund warum mit dem AS Rom die offensivste italienische Mannschaft weitergekommen ist.

6/ Stärkung des Scoutings – Das Fehlen von guten Spielern in der einheimischen Liga ist nicht nur eine Frage des Geldes. Keiner der französischen Klubs abseits Lyons verfügt über eine nennenswerte Scoutingabteilung. Stattdessen herrschen Last-Minute-Transfers vor.

7/ Die Regel 6+5 – Sepp Blatter will eine “6+5”-Regel einführen: jeder Klub muss mindestens 6 einheimische Spieler aufbieten. Eine solche Regel würde das Niveau in Europa wieder vereinheitlichen, da italienische oder englische Klubs inzwischen kaum noch mit Italienern oder Engländern auflaufen. Allerdings wird einer solchen Regel nur wenig Erfolgsaussichten vor der EU gegeben.

8/ Ausländische Trainer – Auffrischung der festgefahrenen, französischen Trainerszene durch ausländische Einflüsse. Die Ligue 1 feierte ihre größten Erfolge mit einem Belgier Raymond Goethals bei OM. Die Premier League erlebt einen Aufschwung und eine Vielfalt an taktischen Konzepten seit verstärkt ausländische Trainer in der Liga tätig sind. In der Ligue 1 sind diese Saison mit Gerets und Ricardo gerade einmal zwei ausländische Trainer beschäftigt.

9/ Mehr Macht den Sportdirektoren – In den französischen Klubs entscheiden zuviele fachfremde und inkompetente Leute über die sportlichen Visionen und Spielereinkäufe. Die Spieleragenten verfügen zuviel Macht, schaffen es zu häufig der sportlichen Führung Spieler aus der eigenen Kundenkartei aufzuschwatzen.

10/ Die Besten halten – Zu häufig gibt die sportliche Vereinsführung nach, wenn Spieler den Verein wechseln wollen, statt den Konflikt zu suchen und standfest zu bleiben, um einen Kader über 2-3 Jahre konstant zu halten. Guy Roux hatte in seiner Amtszeit bei Auxerre keine Scheu auch Ärger mit Spielern anzuzetteln um ihnen jegliche Abwanderungsgelüste aus dem Kopf zu treiben.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ein paar Anmerkungen zu Italien:

    Nahezu alle Vereine der unteren Tabellenhälfte und die gesamte zweite Liga in Italien spielen mit Mannschaften, in denen meist 8 oder mehr Italiener in der Startformation stehen. Dies wird langfristig einerseits der Nationalmannschaft helfen, andererseits aber sieht man schon den geringeren Erfolg in den europäischen Wettbewerben.

    Ein Durchschnittsbudget von 70 Mio Euro erreichen vieleicht die Top-6 in Italien – die Durchschnittsklubs dort liegen in ihren finanziellen Möglichkeiten kaum über den Topklubs der zweiten deutschen Liga. Die Gehälter, die bei Siena oder Empoli gezahlt werden, sind sehr bescheiden. Die Zuschauerzahlen der italienischen Liga liegen außerhalb der Top-4 bereits unter denen der deutschen zweiten Liga.

    Auch relative Topspieler wie Pandev bei Lazio oder Hamsik in Neapel könnten bei deutschen Vereinen sehr viel mehr verdienen.

    Ein Unterschied zwischen Deutschland und Italien dürfte sein, daß deutsche Vereine tatsächlich Steuern zahlen und keine Scheinumsätze verbuchen.

    Wenn es in Italien nicht die Renommierklubs als Spielzeug von Milliardären geben würde, stünde die Liga recht arm da – meines Erachtens nicht viel besser als in Griechenland.

  3. Erlöst die Premiere League tatsächlich 650 Millionen Euro aus der Auslandsvermarktung oder wie kommt die L’Équipe auf ihre Zahlen?

  4. Jetzt wo du es sagst: die Zahlen die man via Wikipedia findet, sind 3,476 Milliarden EUR (2,7 Mil Pfund) für 3 Jahre (Inland & Ausland, Quelle: BBC).

    Das macht umgerechnet 1,16 Mil EUR pro Jahr, also 250 Mio weniger als die Équipe angibt. Keine Ahnung ob sie möglicherweise auch Ligapokal eingerechnet haben (der neue Vertrag gibt 113 Mio EUR/p.a., reicht also nicht aus um die Differenz zu erklären).

    Die 2.700 Mio Pfund für die drei Jahre setzen sich zusammen aus:
    1.300 Mio – SKY
    397 Mio – Setanta
    625 Mio – Ausland
    171 Mio – BBC MotD
    82 Mio – Zweitverwertung durch SKY & BT

    Da fehlen mir noch 125 Mio Pfund um auf die Gesamtsumme 2.700 Mio Pfund zu kommen.

  5. Details zu der Auslandsvermarktung: mit neuen Deals zahlt…

    – Now TV in Hong Kong 128 Mio EUR für drei Jahre Premier League
    – ShowTime Arabien 77 Mio EUR für drei Jahre auf der arabischen Halbinsel und Nordafrika
    – WinTV in China 64 Mio EUR

    (Quelle: BBC)

  6. Ich würde sagen, das sind Wechselkursschwankungen. Der Kurs GBP/EUR von 1,29 mit dem dogfood rechnet, war in den letzten drei Jahren im Schnitt bei etwa 1,45. Damit lässt sich aber auch nur etwa die Hälfte der Diskrepanz erklären. Wenn die andere Hälfte der Ligapokal ist, kommt es ungefähr hin.

  7. Danke für’s Nachschauen, ‘food!

    Da hat sich die L’Équipe wohl irgendwo im Zahlendschungel verlaufen und dann obendrein, wie Stif vermutet, einen antiquierten GBP/EUR-Kurs angesetzt.

  8. Wer war eigentlich so blöd und fast 700 Mio € für die Ligue 1 zu zahlen? Kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, soviel Schotter in die unattraktive Liga zu stecken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Einschaltquoten dermaßen hoch sind in Frankreich, lasse mich aber gerne eines besseren belehren.

  9. Das Video zu dem Zwitter Eintrag bzgl. Betis – Bilbao. Ab 1:00 ist sogar deutlich zu erkennen wer den Gegenstand geworfen hat.

  10. Twitter natürlich

  11. Interessant ist die Aussage des Herrn Hofmann, spiegelt sie doch wieder, dass sportlicher Erfolg längst kein Selbstzweck mehr ist, sondern allenfalls als Mittel zum eigentlichen Zweck, dem Geldverdienen, betrachtet wird.

  12. Nochmal zur Ligue 1: Ich finds eigentlich schon beeindruckend wie lang die sich vor Deutschland gehalten haben, der Aderlass an richtig großen Talenten war meiner Meinung nach nämlich größer als in Deutschland.

  13. W9 hat sich für die UEFA-Cup-Übertragung inzwischen auch schon ein Viertelfinal-Hinspiel ausgesucht und zeigt passenderweise Bayern – Getafe.

    http://www.brevesdefoot.com/news/16370/-B-TV-Ribery-et-le-Bayern-sur-W9.html

  14. W9 wird via Satellit grundverschlüsselt im TNTSAT-Programm ausgestrahlt, also nichts für die normalen deutschen Augen.

    Die Bayern sind dieses Jahr bei den Franzosen – Ribéry sei Dank – sehr beliebt. Direct8 hat was-weiß-ich wieviele UEFAcup-Spiele der Bayern gezeigt, sogar das im Prinzip völlig uninteressante Rückspiel Bayern–Anderlecht.

  15. Naja, für die deutschen Augen wird ja Premiere und (höchstwahrscheinlich) auch SAT.1 übertragen… ;-)

    Ich wundere mich schon, warum SAT.1 noch keine Pressemitteilung bzgl. der nächsten Europacup-Übertragungen rausgegeben hat. In der CL haben sie ja beim Hinspiel die Wahl zwischen Arsenal v Liverpool und Fener v Chelsea.

    Im UEFA-Cup müsste alles auf die Bayern hinauslaufen, zumal Leverkusen nach eigenen Angaben schon um 18:30 Uhr spielt (sowohl zu Hause als auch beim Rückspiel in Russland). Allerdings ist das noch nicht bestätigt, auf uefa.com steht immer noch 20:45 Uhr.

  16. kurze dumme nachfrage: ich dachte, sat1 hätte first-pick-rechte in der cl? oder haben die einen festen wochentag?

  17. Sat.1 darf nur am Mittwoch CL zeigen. Deshalb zB Achtelfinal-Hinspiel Arsenal – Milan und nicht Schalke – Porto.

  18. ah, danke.