Rund um HSV – Werder: Verpflegungsstelle Bremer Labskaus

Da hat sich der Bundesliga-Spielplaner in Arbeitsteilung mit dem Wettergott etwas Feines ausgedacht um das eh schon aufgeladene Nord-Derby mit noch mehr Emotionen zu befrachten: Abschluss der Hinrunde, eiskalter Dezembertag und einsetzender Schneefall.

Eine Bekannte hat Bekannte die Bekannten haben, die im Umfeld des HSV arbeiten und irgendwann entstand die nicht undoofe Idee eine kleine Weihnachtsfeier durch den Besuch des Werders-Spiels zu machen. Von den Bekannten der Bekannten der Bekannten kam eine “VIP-Karte” für das Spiel. “VIP” heißt beim HSV: beim Einlaß auf dem Stadiongelände nicht an der langen Schlange zur Kartenkontrolle anstellen, sondern an einer Schranke nebenan durchgewunken werden. Dann geht es zu einer großen Drehtür. Hinter der Drehtür warten nicht nur gefühlt 25 Grad Raumtemperatur, sondern die erste Reihe an aufgebrezelten Hostessen, denen man die VIP-Karte zeigen muss. Man ist im Empfangsbereich. 10 Meter weiter steht die zweite Hostessen-Reihe zur nochmaligen Kartenkontrolle. Der Empfangsbereich geht nahtlos in einen Fress- und Trinkbereich über, wo Hunderte von “VIPs” sich vor und nach dem Spiel kostenlos verpflegen können: Bremer Labskaus, Bratwurst, Currywurst, Apfelstrudel, Eis, Obstsalat, Gulaschkanone, dazu die handelsüblichen Getränke aus dem Hause Sinalco, Holsten und Cocktails einer Bar. Eben noch bei minus zehn Grad durch den Schnee gestampft und jetzt kurz vor dem Kreislaufkollaps stehend…

Dieser Ess- und Trinkbereich geht ringförmig um das halbe Stadion herum und die VIPs haben, je nach Karte, die Möglichkeit sich in eine Firmenlounge oder draußen auf festen, gepolsterten Sitzen das Spiel anzusehen. Vorausgesetzt – jahaaaa … – vorausgesetzt man hat zusätzlich zu seiner VIP-Karte auch noch eine Sitzplatzkarte. Was bei mir und Kollegin nicht der Fall gewesen ist, wie wir erfuhren.

Vor dem Spiel konnte ich durch eine Hostessen-unbewachte Tür nach draußen durchschlüpfen und das Warmmachen der Spieler und die Interviews von Jens Westen von der ersten Sitzreihe aus beobachten. Aufgezeichnet um kurz nach drei, läuft Bruno Labbadia von alleine zu den Field Reportern von SKY und LIGA Total!, während bei Werder Bremen Mediendirektor Tino Polster Thomas Schaaf sicherheitshalber höchstpersönlich zu den Kameras führt – nicht das er zwischendurch ausbüchst. Ansonsten passend zum Jahresausklang herzliche Stimmung zwischen Medienvertretern und den Hamburgern und Bremern Vereinsangestellten. Man umarmt sich, begrüsst sich und lacht sich an.

Schlag Viertel nach Drei, pünktlich mit dem Ende des Schminkens von Jessica Kastrop am SKY-Tresen an der Spielfeldecke – auch bei diesem Wetter in hochhackigen Schuhen unterwegs – setzt der Run auf die Polstersitzplätze ein, das Eis in der Linken, die Bratwurst oder das Getränk in der Rechten. Mangels Sitzplatzkarte verzog ich mich lieber und über den Umweg durch das Restaurant, ein Stockwerk höher, nach draußen in einen anderen Sitzblock gelangen. Nahe des Arbeitsbereich von Dennis Aogo. Ein muffeliger Ordner, den wir nach freien Plätzen (höhö…) fragen wollten, bellte ohne Hinzuhören zurück “HINSETZEN!”. Also setzten wir uns auf die Polstersitze eines Bankunternehmens – es kam wie es kommen musste: fünf Minuten nach Anpfiff kamen die mit Bockwurst bewaffneten Platzinhaber und wir verzogen uns in einen Aufgang – aber immerhin freie Sicht aufs Spielfeld.

Die Kollegin wollte nicht das ganze Spiel stehen, also ging es kurz vor Halbzeit auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des spielfeldnahen Aufenthalts. Es ging wieder runter zur Fressmeile, durch einen kleinen Durchgang zum Fahrstuhl – gegen Vorzeigen der VIP-Karten – und rauf in den 5ten Stock zu einem großen Aufenthaltsraum für Journalisten – gegen Vorzeigen der VIP-Karten. Deckenhöhe zirka 2m40 und sehr voll. Alle 3 Meter ein Monitor von der Decke hängend, aber sonst keine Sicht auf das Spielfeld. Sehr voll. Erwähnte ich es bereits? Dafür kostenlos Kaltgetränke und Bockwurst. Es ertönte der Halbzeitpfiff und mit einem Schlag kamen weitere Journalisten aus den Tribünen zum Bockwurstholen reingeströmt. Eine Enge vergleichbar mit japanischen Nahverkehrsmittel zur Rush Hour. Immer wieder bildeten sich neue Gruppen zum Schnacken.

Ein, zwei Zimmer und zwei kontrollierende Hostessen-Sperren daneben, der ebenfalls fensterlose Raum für die Stadionmitarbeiter, die immerhin zum Spiele-Gucken einige Monitore hatten und ansonsten in guter Jahresausklangsstimmung waren.

Hier war an Plätze draußen nicht zu denken und der Anstoß zur zweiten Halbzeit nahte. Also wieder raus, im Oberrang bleibend, in den normalen Zuschauerbereich rein, wo es dann problemlos möglich war, sich an einen der sehr breiten Laufwege hinzustellen und wieder freien Blick auf das Spielfeld zu haben. Anders als im VIP-Bereich der ersten Halbzeit, ging es akustisch einige Größenordnungen herber zu. Torsten Frings wurde generell und ausschließlich mit seinem Nickname “Penis” angesprochen und auch Schiedsrichter Florian Meyer konnte ausschließlich mit seinem Schlusspfiff Sympathiepunkte ernten.

Nach dem Schlusspfiff ging es wieder in den VIP-Fressbereich. Die Fressstände waren in großer Zahl vorhanden, so das man sich nirgends lange anstellen musste. Die Currywurst war für eine Massenabfertigungscurrywurst sehr lecker, dito der Bremer Labskaus.

Bernd Wehmeyer wuselte ebenso durch die Gänge wie der kleine Uwe Seeler, der genauso verwirrt aussah wie ein bei IKEA aus dem Kinderparadies entflohenes Kind. Wenn es dunkel wurde, dann lag es an Horst Hrubesch – einen Brocken von Mann (was auch eine billige Gelegenheit ist, um auf ein sehr lesenswertes, zweiteiliges Interview von ihm bei den 11 FREUNDEN bzw. SPIEGEL Online hinzuweisen: “Zu mir kommt der Spieler pur”, “Keine Ahnung, warum ich noch da bin”). Hrubesch und Seeler. Nicht nur körperlich zwei Typen, die nicht entgegengesetzter sein könnten.

In der Fressmeile hängen auch diverse Monitore von der Decke herunter. Vor dem Spiel spielen sie stumm ein vom NDR gesponsortes Pregame-Programm ab, inklusive der HSV-Aufstellung, bei der die HSV-Spieler in den Fenster eines Emirates Airlines-Fliegers zu sehen sind.

Nach dem Spiel wurde auf die zweite Bundesligapartie bei SKY geschaltet (auf Monitoren mit einem Telekom-Sponsorensticker (sic!)). Zirka eine halbe Stunde nach Spielende wurde die Pressekonferenz live übertragen. Ich war von der Kürze überrascht: nach vier Minuten hatten beide Trainer ihr Statement abgegeben, es gab zwei, drei Nachfragen und dann war Schluss.

Eine Stunde nach Spielende war die Fressmeile immer noch gefüllt, am Ausgang standen die Hostessen und verteilten Weihnachts-HSV-Pralinen vom Partner Halloren. Eine von vielen Marken und Labels die einem in den letzten vier Stunden um den Kopf geprügelt wurden.

Der VIP-Parkplatz um den riesigen Weihnachtsbaum war noch voll, auf den Straßen staute sich der Verkehr, während die Fußwege zur S-Bahn-Station völlig leer waren. Aus dem leichten Schneerieseln um halb drei ist ein kleinerer Schneesturm geworden. Es ging den Trampelpfad zur S-Bahn runter, vorbei an der Biogasanlage Stellingen, die einen Geruch von Kot und Dung hinausblies. Die Imbissstände und die Trinkbuden vor und an der S-Bahn-Station waren noch voll, die Bahnsteige bis auf Anschlag gefüllt, aber selbst der HSV-Fanclub am Langenfelder Damm ließ bei der Kälte die Tür lieber zu. Die Marken der HSV-Sponsoren sind mit der Kälte schnell vergessen gewesen.

Fußball mit VIP-Bereich fühlt sich irgendwie “falsch” an. Das Testosteron und Adrenalin was idealerweise durch so ein Spiel hochgejazzt werden sollen, beißt sich mit der Atmosphäre im großen VIP-Bereich. Man geht raus und möchte jemanden anbrüllen “Geiles Spiel!!”, starrt aber stattdessen in die große Schale mit den Rollmöpsen für den Labskaus. Dann blickt man hoch und guckt in zugeschminkte Hostessen-Gesichter, die unter normalen Umständen Fußball nicht mal mit einer Arschbacke anschauen würden. Sehr, sehr schizophrenes Ereignis.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Aber ein sehr warmes Ereignis ;)

    Obwohl ich meinen Platz in 26A trotz der Kälte nicht gegen einen VIP Platz tauschen.

  3. Das klingt ja nach dem reinsten Horror.
    Ich werde ja mit dem Parkhaus an der MVA auch nicht warm. Was nicht nur am Verein liegt.

    … und was ist “Bremer Labskaus” bitte fürn Zeug? Ich kenn nur das aus HH (Old Comercial Room) und das von meiner Oma. Und beide sind näher am Millerntor zuhause gewesen, als am Altonaer Forst oder gar Bremen :)

  4. Als VIP im Parkhaus #HSV…

    Dezember in Stellingen Eine Stunde nach Spielende war die Fressmeile immer noch gefüllt, am Ausgang standen die Hostessen und verteilten Weihnachts-HSV-Pralinen vom Partner Halloren. Eine von vielen Marken und Labels die einem in den letzten vier Stun…

  5. danke für die links. kannte bisher nur den zweiten teil, fand den aber schon sehr gut. nebenbei mal wieder ein haken auf der checkliste zum thema nationaltrainer/”fachmann” klinsmann.