Stets bemüht: Der Sportsfreund

“Der Sportsfreund” – 116 Seiten, EUR 4,50.
Nächste Ausgabe Anfang November, danach monatlich
iPad-Ausgabe ab Anfang Oktober

Am 13ten September ist die Erstausgabe von “Der Sportsfreund” erschienen. Der kleine Sportsfreund-Verlag versucht damit im Bereich des nicht-tagesaktuellen Sportmagazins eine Nische zu besetzen, die zwar im Ausland gut gefüllt ist (“Sports Illustrated“, “ESPN Magazine“, “L’Équipe Mag“, “SportWeek” in der Gazzetta), aber hier in Deutschland unbesetzt ist. Der letzte Versuch an den ich mich erinnern kann, war das “SPORTS”-Magazin vom Gruner + Jahr-Verlag in den 90er Jahren – damals als “GEO für Sportfans” positioniert.

WIRED

Den Zenit erreichte die WIRED 1996, als die Weihnachtsausgabe 4.12 einen (inkl. Werbung) 62 Seiten langen (Hat-Tip @surfguard), unterhaltsamen Artikel von Neal Stephenson über das Verlegen von Unterwasserkabel druckte: “Mother Earth Mother Board”

Die fast zeitgleich und mit viel Boohay erschienene deutsche Ausgabe der WIRED erinnerte mich an meine persönliche Hochzeit für Zeitschriften: Mitte/Ende der 90er Jahre, als ich damals jede Ausgabe der amerikanische WIRED verschlungen habe. Jede Ausgabe eine Wundertüte. Kurze Texte, lange Texte, bunte Texte, wissenschaftliche Texte, politische These, Wirtschaftsthemen. Man wusste nicht was drin war und jede Ausgabe war eine Herausforderung für gelernte Werte und Argumente. Die WIRED aus dieser Zeit ist für mich seit jeher die Messlatte für hochwertige Zeitschriften. Die WIRED Deutschland kann Anno 2011 der WIRED 1996 nicht das Wasser reichen. “Der Sportsfreund” auch nicht.

Inhaltsangabe: u.a. Titelthema “Comebacks”, Große Rivalen, Interviews mit Opdenhövel, Kalkofe, Julia Görges, Matthias Stach, Portrait “Ente” Lippens, Portrait des blinden Golfers Ivars Weide

In einem Zeugnis würde man vermutlich “war bemüht” schreiben und den Kopf tätscheln. Das Heft hat aber nur selten Momente, die für erhöhten Puls sorgen. Es ist überraschungsfrei geschrieben und es loten selten Grenzen oder Extreme aus. Die Themen sind so falsch nicht. Aber es will keine Empathie für die Sujets aufkommen. Selbst das Stück über den tragisch verletzten und erkrankten ehemaligen Eishockey-Spieler der nun blind Golf spielt, liest sich nicht anders als das siebenhundertzwölfte Interview das Matthias Opdenhövel in diesen Monaten gegeben hat.

Für Portraits bleiben die Artikel zu sehr an der Oberfläche, zu sehr bei der Homestory. Es wirkt wie niedergeschriebenes Fernsehen.

Das Problem der Unentschlossenheit und des fehlenden Mutes der Schwerpunktsetzung spiegelt sich auch in Textlänge und Layout wieder. Der Rhythmus des Heftes scheint immer gleich zu sein: jeder Artikel bekommt zwischen anderthalb und drei Textseiten, mal mit mehr, mal mit weniger Fotos und Einklinkern.

Das Layout ist aufgeräumt und sauber gemacht, großzügig. Aber es wirkt gleichzeitig mehr wie Pflichtübung statt Kür. Das Vergessen setzt schon mit dem Weglegen des Heftes ein. Selbst das Wochenendmagazin der Gazzetta, die ich am Flughafen durchgeblättert habe, hat bei mir mehr “Bäng” hinterlassen, als das Durchlesen des Heftes.

Auch einige Tage später fühlt sich das Heft merkwürdig an. Ich versuche krampfhaft meine Kritik an konkreten Punkten festzumachen, aber das Magazin glitscht einem zwischen den Händen durch. Siehe oben: so schlecht können Leute eigentlich nicht sein, die einen blinden Golfer oder Post-Laufbahn-Depressionen thematisieren. Aber wieso bleibt nichts von den Themen hängen?

In einem anderen Blogeintrag heute, wurde in den Kommentaren der Ausdruck “Corporate Social Media” verwandt. “Der Sportsfreund” liest sich wie “Corporate Publishing” eines Großkonzerns. Ein Heft dem bei dem Gang durch die Abteilungen und Instanzen jegliche Höhen und Tiefen genommen wurde. Und das ist für so einen kleinen Verlag und der Idee dahinter, schade.

Zweite Meinung

Ähnlich, aber doch anders sieht es Sebastian/Textilvergehen – dessen Blogeintrag ich erst nach Erstellung meines Textes gelesen habe.

“Der Sportsfreund”, erhältlich in den gut sortierten Zeitschriftläden: nicht in jedem kleinen Kiosk, aber häufiger als nur in den Bahnhofszeitschriftenläden von Millionenmetropolen. Im Sportsfreund Verlag, Köln erschienen.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Das Wunder von Pahl? :)

  3. Liest sich das Heft vielleicht deshalb wie eine Corporate-Selbstbeweihräucherung-Broschüre weil die meisten Schreiberlinge heutzutage mit genau solchen Aufträgen ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen?

    Nicht einmal der Bericht über mich ist lesenswert? Kein Bericht aus der Gaststätte “Mitten im Pott”?

  4. Also ich kaufe mir das Heft definitiv, sieht optisch gut aus und ist mal was anderes.

  5. “sieht optisch gut aus und ist mal was anderes.”

    das stimmt auch, trotzdem teile ich dogfoods einschätzung voll und ganz (genaugenommen hatte ich auch ne kurzkritik schreiben wollen, die sich aber nun wegen redundanz erledigt hat). themenauswahl gefällt eigentlich, aufmachung ist angenehm, aber wenn man das heft wieder zumacht, weiß man schon nicht mehr, was man gerade gelesen hat.

    wie eine eigentlich hoffnungsvolle neue band, die aber dann vom label-verordneten produzenten totgeglättet wird.

  6. Teile deine Einschätzung voll und ganz. Und warum lassen die Artikel den nötigen Tiefgang vermissen? Traut man sich nicht, weil man den DOSB im Hinterkopf hat…?! Habe den Eintrag von textilvergehen und dir auch erst nach Veröffentlichung gelesen, werde ich gleich noch verlinken: http://jonathansachse.de/?p=821

  7. “Das Problem der Unentschlossenheit und des fehlenden Mutes der Schwerpunktsetzung spiegelt sich auch in Textlänge und Layout wieder.”

    Ne, ne Sportsfreund….