Kölns neuer Unbekannter

Ach schade, ich bekomme das Wortspiel mit dem neuen Kölner Trainer Hanspeter Latour und der Eifel irgendwie nicht gebacken.

Jedenfalls melden diverseste Medien aus Deutschland und der Schweiz, dass der 1. FC Köln und Michael Meier “mal wieder” sich einen Trainer aus der Schweiz holen. Meier ist ja seinerzeit mit dem Hitzfeld-Ottmar gut gefahren, während beim FC die Geduld mit Marcel Koller ungleich geringer als die Kompetenz des Trainers war.

Mir geht es so wie Stefan von der Südtribüne: Wer ist Hanspeter Latour?

Butler, rollen sie die Google-Maschine rein… Danke.

Hanspeter Latour. Im Aussehen eine Mischung zwischen Gunter Sachs und Leslie Nielsen. Alter: 58 Jahre.

Bei seinem aktuellen Club, den Grasshoppers Zürich blieb er knapp ein Jahr, sein Vertrag wäre dort im Sommer ausgelaufen. Sein Abgang nun könnte möglicherweise mit der finanziellen Situation der Grashoppers zu tun haben. Bei seiner Verpflichtung scheint er nicht 100%ig über die akut angespannten Finanzen unterrichtet worden zu sein, die z.B. im Laufe der (letzten?) Saison zu Gehaltskürzungen führten.

Die Grashoppers liegen auf einem UEFAcup-Platz, Platz 3, 12 Punkte hinter dem schweizer FCB, vier Punkte hinterm FC Zürich. Der dritte Platz entspricht der Vorjahresplatzierung, nachdem er nach der Halbserie die Grashoppers aus einem Loch gehievt hat und noch in den UEFAcup brachte.

Der Wechsel von Latour vom FC Thun zu den Grashoppers, kam Weihnachten 2004 nach dreieinhalb Jahren Amtszeit sehr überraschend. Beim FC Thun hat er erfolgreich gearbeitet, inkl. Aufstieg und 2ter Platz zum Hinrundenende 2004/05 (nzz).

Wer einen Vorgeschmack auf Latour bekommen will, kann sich das Interview in der NZZ durchlesen, einen Monat nach seinem Wechsel zu den Grashoppers. Unten habe ich ein sehr langes Interview von Latour mit dem “Blick” verlinkt.

NZZ: Für welche Fussballphilosophie stehen Sie?

Latour: Ja, das ist immer so eine Geschichte mit der Fussballphilosophie. Hat man als Trainer in der Super League die Möglichkeit, seine Denkweise durchzusetzen, oder hat man nicht den Auftrag, zu versuchen, aus dem vorhandenen Potenzial das Maximum herauszuholen? Je länger ich in diesem Geschäft dabei bin, desto mehr gelange ich zur Überzeugung, dass Letzteres gilt. Die eigene Philosophie muss hinten anstehen.

NZZ: Es gibt also keine Ideen, die Sie auf dem Platz gerne verwirklicht sehen?

Latour: Wenn man mittelfristig Korrekturen vornehmen kann, sieht die Sache wieder anders aus. Dann kann ich sagen, dass ich gerne vorwärts spiele und den Offensivfussball suche. Das vertritt vermutlich jeder Trainer, aber ich versuche auch so aufzutreten – gerade, weil ich bis jetzt junge Mannschaften trainiert habe. Wenn man die Jungen verhalten spielen lässt, warten sie gebannt auf den ersten Gegentreffer […]

Die folgenden Massnahmen will ich durchsetzen: zuerst analysieren, danach stabilisieren. Dafür dienten mir die Testspiele, in denen ich grossen Wert auf die Resultate gelegt habe. Nur so können wir glauben, dass wir wirklich auf dem richtigen Weg sind. Danach müssen wir korrigieren und zum Beispiel Veränderungen im Kader vornehmen. Und am Schluss muss [Grashoppers] angreifen […]

Aus dem “Blick”, Anfang Dezember:

Blick: Back to the Future? Müssen Sie nun neu ein holländisches 4-3-3-System spielen?

Wieso haben Sie das Gefühl, dass der Trainer der ersten Mannschaft sein System umstellen muss? Ein Fussball-Spieler ist doch, das ist ja bei Euch das Gleiche, ihr müsst ja auch über das und das schreiben, aber in erster Linie seid Ihr ja ausgebildete Journalisten, ihr müsst auch wieder einmal für eine andere Zeitung schreiben können. Das ist im Fussball genau gleich, das Metier müssen Sie kennen, da müssen Sie die nötige Fachkompetenz haben, als Spieler ohnehin, die nötige Mentalität bringen, da ist es überhaupt nicht entscheidend, ob man dieses oder das andere System spielt. Es ist vorteilhaft, wenn sich ein Spieler an ein System gewöhnt ist, aber, wissen Sie, es gibt Spieler, die mehr prädestiniert sind, um auf der Seite zu spielen, es gibt solche, die sind prädestiniert, um zentral zu spielen, es gibt solche, die sind prädestiniert, um vorne zu spielen, andere hinten, und da sollte man sich als Trainer nicht zuviel täuschen,

So gerne und ausführlich er anscheinend redet, finde ich viele seiner Statements wischi-waschi, “einerseits, andererseits”-Konstrukte. Vielleicht ein Zeichen für hohe Anpassungsfähigkeit (in schwierigem Umfeld). Vielleicht auch ein visionsloser Mann. Jedenfalls spannender als einer der handelsüblichen Bundesliga-Notnagel wie Toppmöller oder Berger.

Links

Chat beim Schweizer Boulevardblatt “Blick”
Langes Interview von Anfang Dezember im Blick: -1- und -2-
Wikipedia

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Hitzfeld, die beste Entscheidung in Meiers Karriere, kam damals sogar auch – als in Deutschland ziemlich unbekannter Trainer, der in der Schweiz einen Provinzverein nach oben gebracht hatte – von den Grasshoppers. Und war auch eher ein Pragmatiker als Visionär.

    Wäre schon interessant, mal ins Unterbewußtsein von Michael Meier einzutauchen. Obwohl, vielleicht lieber nicht. (Rosa Sakko.)

  3. “Wischi-waschi” oder einfach pragmatisch? Auf mich macht das eher den Eindruck von letzterem. Aber vielleicht rede ich mir unseren neuen Trainer da auch einfach schön.

    Sehr schön finde ich jedenfalls diesen Satz: “Wenn man die Jungen verhalten spielen lässt, warten sie gebannt auf den ersten Gegentreffer.”

    Das erinnert mich an das ein oder andere FC-Spiel der letzten Jahre. Also wenn Latour dieses Warten/Betteln um Gegentreffer aus der Mannschaft rauskriegt, hat er schon was erreicht.

    @Melkus: Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich in meinen eigenes Unterbewusstsein eintauchen will…

  4. Ich habe grade die Pressekonferenz gesehen, und Latour machte einen recht souveränen Eindruck. Eher Huub Stevens (an einem gut gelaunten Tag) als Marcel Koller, würde ich sagen: Nicht der Über-Entertainer, aber humorvoll und selbstbewußt genug, um als jemand rüberzukommen, der weiß, was er will. Bei der versammelten Presse ist er scheinbar erst mal ganz gut angekommen.

    In der Schweiz hat er ja auch einen ausgezeichneten guten Ruf: kein revolutionärer Stratege, aber einer, der auch aus bescheidenen Mitteln solide Ergebnisse produzieren kann, und das wäre ja fürs erste in Ordnung so. Was mich etwas skeptisch macht, ist, dass er bisher fast nur bei Vereinen gearbeitet hat, die ein eher beschauliches Umfeld haben, da geht’s bei manchen deutschen Regionalligisten aufregender zu. Hitzfeld hatte immerhin schon Bundesliga-Erfahrung.

    Thun war mit Abstand die größte Leistung bisher. Bei den Grasshoppers lief’s sportlich zuletzt ganz gut für ihn, die hat er nach einer Katastrophensaison übernommen und immerhin wieder nach Europa gebracht. Allerdings wollte er auch um den Titel mitspielen, das ist ihm weder im letzten Jahr noch in der laufenden Saison gelungen.

    Mal abwarten.

  5. Latour hat einen eigenen Humor, der vielleicht auf Schweizerdeutsch etwas besser rüberkommt als auf Hochdeutsch. Da fällt ihm die Kommunikation wohl zu Beginn etwas schwerer.
    Er ist ein Mann, der hervorragend mit einer Mannschaft arbeiten kann und mit sehr wenig viel erreichen kann. Er kann hervorragend ein Team bilden, was aber eben auch seine Zeit braucht. Hat man in Köln die nötige Geduld, so wird man Erfolg haben. Leider drängt die Zeit und die Frage ist, wie Latour nun zu diesem kurzfristigen Erfolg kommen kann.

  6. Ups, Geduld, Jonas. Das hört sich gar nicht gut an. Das Wort Geduld gibt es im Kölner Wortschatz nicht.

  7. Hallo liebe Fussballfreunde aus Deutschland!

    Wie ich sehe habt ihr keine grossen Information über die Person und die Arbeit von Hans-Peter Latour.. Er geniesst in der Schweiz den Ruf eines Motivators, der nicht nur mit den Spielern sondern auch mit den Zuschauern und den Medien gut umgehen kann. Er legt sehr viel Wert auf den Teamgeist, will heissen dass er verschiedene Aktionen durchführt. Er ging beispielsweise, um die Mannschaft zur neuen Saison zu begrüssen, mit allen Spielern in den Wald um dort Würste zu braten. Die Spieler mussten sich also verschiedene Aufgaben ausserhalb des Spiels aufteilen und miteindander klarkommen.
    Er legt aber auch grossen Wert auf die Solidarität untereinander und vorallem mit den Fans. Als de FC Thun zum ersten Mal seiner Vereinsgeschichte die Tabellenspitze in der Schweiz übernahm, kaufte sich Latour “Basler-Leckerli” ( ein spezielles Basler Gebäck) und verteilte sie in der ganzen Stadt Thun, um den Leuten zu zeigen, dass auch sie dabei mitgeholfen haben, den FC Basel von der Tabellenspitze zu stossen.
    Hans-Peter Latour versteht es, sich schnell an eine Mannschaft zu gewöhnen und ihre Sympathien für sich zu gewinnen (zumindest in der Schweiz), da er ein aussergewöhnlich lebenslustiger und offener Mensch ist, der gerne viel redet und während einem Spiel nie ruhig auf der Bank sitzt.
    Ich denke. die Kölner haben keinen schlechten Griff getan, denn zu verlieren haben sie ja bekanntlich nichts mehr…

    Gruss aus Zürich

  8. Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet geradezu überschwänglich vom ersten Auftritt des neuen Trainers. Meier und Overath kommen nicht gerade gut weg:

    http://www.ksta.de/html/artikel/1135358153597.shtml

  9. Jepp, auch eben gelesen. Der Stadt-Anzeiger ist schwer verliebt in Hanspeter Latour. Das kann ihm nur gut tun. Damit hält sich das Störfeuer der Medien vielleicht in Grenzen.

    Bemerkenswert aber, dass seine Entertainer-Qualitäten gerühmt werden. Kein Wort über Fußball.

  10. Die NZZ mit einer Beschreibung die neugierig macht:

    Meier hatte zuvor mit Gewährsleuten in der Schweiz (unter anderem auch mit Ottmar Hitzfeld) lose Gespräche über geeignete Trainer des Landes geführt, vorerst, ohne ernsthaftes Interesse an einem Ausbildner aus der Schweiz zu haben. Doch als immer wieder der Name Latour fiel, war seine Neugier geweckt. Und so kam es zum Treffen in Prag, einer Begegnung, von der Meier tief beeindruckt war.

    Für Meier war indes klar, dass die Verpflichtung ohne die Zustimmung von Präsident Wolfgang Overath nie zustande kommen würde. Letzterer winkte anfänglich ab: Latour als Trainer von Köln, nochmals einen Schweizer, konnte er sich nicht vorstellen. Aber Meier liess nicht locker und brachte die beiden Männer am 1. Januar im Flughafen Köln zusammen. Das Gespräch dauerte fast vier Stunden, und am Schluss sagte Overath: «Wenn wir das machen, sind wir Wahnsinnige. Aber um aus dieser Misère rauszukommen, braucht es vielleicht Wahnsinnige.» Overath war zudem verblüfft über die genaue Analyse, die ihm Latour über die Kölner Mannschaft, deren Ergebnisse sowie das Zustandekommen der Resultate vorlegte. Was ihm zudem gefiel: Der Schweizer hatte nie das Wort Geld in den Mund genommen. Da sei er sich in Deutschland, so lautete das Urteil von Overath, ganz anderes gewöhnt.