Der Russe und der Russe

“Indirekter Freistoß” hat heute einige Stimmen zusammengetragen, die in den deutschen Gazetten bezüglich des “Russendeals” mit der argentinischen Nationalmannschaft geschrieben worden sind.

Losgetreten scheint die Meinungslawine in Deutschland durch Uli Hoeneß worden zu sein, der am Wochenende in den Kieler Nachrichten vom (dramatische Orgelmusik setzt ein) “Ende des Fußballs” sprach. Grosso modo geht es darum, dass ein russischer Investor die Freundschaftsspielrechte Argentiniens gekauft hat. Will sagen: alles was kein Pflichtländerspiel ist, wird von diesem russischen Investor vermarktet. Er bestimmt wo die Albiceleste antritt (bereits angekündigt: nur im Ausland, weil größere Einnahmen) und wer spielt (es soll angeblich eine Liste mit 30 Spielern geben, von denen minimum 7 einzusetzen sind). Der Vertrag soll 24 Länderspiele über 5 Jahre vorsehen.

Das ausgerechnet dieses Beispiel genommen wird, kann ich nicht nachvollziehen. Denn in Abstrichen sind diese Methoden nicht neu. Es sei an die brasilianische Nationalmannschaft erinnert, die Mitte der Neunziger unter der Knute von Nike durch die Welt reiste und sinnleere Freundschaftsländerspiele absolvierte, nach Gusto der Harlem Globetrotters. Immer wieder wird auch das Gerücht aufgekocht, dass der Einsatz des völlig kaputten Ronaldo im 98er-WM-Finale auf Druck von Nike geschah.

Die Geschichte mit Viktor Vekselberg, der russische Oligarch, und seiner Vermarktungsagentur Renova war aber bereits kurz nach der WM thematisiert worden, als ein Nachfolger für den wegem taktischen Freitod zurückgetretenen Pekerman gesucht wurde. Bereits da wurde bekannt, dass der argentinische Verband im Vorfeld der WM einen solchen Vertrag mit Renova vorbereitete. Laut El Pais soll der anstehende Vertrag eine Rolle beim Rücktritt von Pekerman gespielt haben, der keine Möglichkeit sah, die mannschaft unter Renova-Diktum anständig auf Copa America oder WM vorzubereiten.

Viel beängstigender finde ich die Geschichte rund um West Ham United, die auch nach fast einer Woche kein Jota transparenter geworden ist.

Seit Tagen dementiert und bestätigt West Ham, je nach Lust und Laune, dass die Investmentgruppe MSI in Übernahmeverhandlungen mit West Ham eingetreten ist. Selbst in der heutigen Börsenmitteilung machen die Hammers einen merkwürdigen Eiertanz und bestätigen eine Nichtbestätigung.

Dass der Transfer eines für 70-90 Mio EUR gehandelten Päärchen argentischer Offensivkräfte zu einem mittelgroßen Londoner Verein nur rein zufällig zum gleichen Zeitpunkt stattfindet, kann vielleicht argentinischen Rindviechern erzählt werden, aber bitte keinen vernunftbegabten Wesen.

Das ist der Punkt, warum ich den West-Ham-Deal für ein vielfaches gefährlicher halte, als der hier in Deutschland in die Aufmerksamkeit gerückte Vermarktungsvertrag der argentinischen Nationalmannschaft: mangelnde Transparenz. Hier könnten sich ganz üble Strukturen etablieren, die bis dato nur im Balkan, Rußland oder Südamerika verortet wurden.

Keiner weiß was MSI erhalten hat, keiner weiß was MSI will, keiner kennt die Hinterleute von MSI. Der einzig bekannte Mann von MSI, Kia Joorabchian, ist im Sommer zurückgetreten, hält aber noch Anteile an den Spielern Tevez und Mascherano und ist am häufigsten für die Medien in diesen Tagen ansprechbar gewesen. Immer wieder wird auch von einer Beteiligung von Abramovich an MSI gesprochen, was sich aber wohl größtenteils nur darauf stützt, dass Abramovichs Yacht zum Zeitpunkt des Tevez-Transfers zu Corinthians in Rio im Hafen lag. Stattdessen soll Abramovichs angeblicher Erzfeind Berezovsky in MSI drinhängen. Berezovsky dementiert und bietet gleichzeitig MSIs Corinthinas Geld für einen Stadionausbau an. Berezovsky, Joorabchian oder Abramovich, keiner will es sein, keiner hat damit was zu tun.

Abramovich liefert das Beispiel für ein Szenario, wenn EPL, FA und UEFA nicht versuchen, sämtliche Beteiligungsstrukturen offen zu legen:

Es gab 2004 ein Champions League-Spiel zwischen Chelsea und ZSKA Moskau, dass unter stärkerer UEFA-Beobachtung stand, nachdem Chelsea-Besitzer Abramovich über seine Ölfirma Sibneft mit über 15 Mio US$ pro Jahr, auch der größte Sponsor von ZSKA Moskau war. Die UEFA drückte ein Auge zu, weil Abramovich kein Sponsor von ZSKA war, sondern “nur” lebensrettender Sponsor. (Abramovich hat inzwischen seine Sibneft-Anteile aufgegeben)

Wenn sich die argentinische Mannschaft à la bresilienne mit Haut und Haaren einem Vermarktungsunternehmen verkauft, deren Problem. Das wirkliche Gefahrenpotential steckt ganz woanders.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Ok., über Hoeness persönlich kann man ewig streiten.
    Aber wie oft hat er schon absolut richtig gelegen, z.B. der Fall Daum, das wird schon gerne mal vergessen. Ihn deswegen jedesmal als Dampfplauderer ohne Sinn abzustempeln, finde ich nicht richtig.

    Bei Rummenigge würde ich voll und ganz zustimmen. Der redet wirklich nur Schwachsinn und ändert seine Meinung täglich.

  3. Ich gehöre auch eher zu einem Bewunderer des Oeuvre von Hoeneß (abgesehen von einigen in der Erregung begonnenen Wortgefechten und dem verschossenen Elfmeter von 1976)

    Bei diesem Ding hat er aber sprachlich später a bisserl daneben gegriffen und inhaltlich m.E. auf eine Petitesse eingeprügelt.

    Noch mehr erstaunt es mich, wie flott die deutsche Presse es aufgriff, aber den ungleich tollkühneren und beängstigenderen Fall West Ham bislang eher ignorierte (von wenigen Ausnahmen abgesehen).

  4. Ich arbeite zu viel – und das ist gut so!

    Spontan wollte ich eigentlich was zu den üblichen Verhaltensmustern über UHs jüngste Aussagen zum Thema russische Öl-Milliardäre im Fußball was entgegnen – zum Glück hatte ich in den letzten Tagen und Stunden zu viel…

  5. Warum es die Presse aufgreift? Weil die Bayern in Deutschland die Fußballthemen bestimmen. Ist zumindest mein gefühlter Eindruck. Woran es liegen könnte, keine Ahnung. Entweder geben die einfach mehr Interviews oder haben die bessere Pressearbeit, ich weiß es nicht.
    Aktuelles, kleineres Beispiel: Sorin und van Bommel. Sorin ist zweifelsohne der klangvollere Name und ist mal ein echter internationaler Star für die Bundesliga. Großes Thema? Nö. Aber über van Bommel liest Du überall. Weil sich Magath, Beckenbauer, Hoeneß und zwischendrin noch Effenberg überall über ihn auslassen. Zu Sorin müsste dann ein Journalist selber was schreiben. Zu WestHam auch. Das ist vielleicht einfach schwieriger als ein Hoeneß-Interview weiterzuverbaten. Womit dann vielleicht doch eine Antwort da wäre: Gute Pressearbeit trifft auf schlechten Journalismus.

  6. Genau so ist es, Stefan. Heute mal auf dem Bahnhof die SportBild durchgeblättert. Exklusiv – Interview mit van Bommel, kleiner Artikel über Sorin. Raimund Hinko lässt grüßen.

  7. Im aktuellen kicker ist das Verhältnis van Bommel – Sorin aber durchaus ausgeglichen. Es ist wohl nur eine bestimmte Presse, die derart Bayern-gesteuert ist.

  8. Spundflasche, da könntest Du natürlich recht haben. Aber die Außenwirkung dieser Presse ist enorm (und vermutlich genau deswegen bei den Bayern so beliebt).

  9. Wer die von Stefan absolut korrekt dargestellte Problematik ungehen möchte, dem empfiehlt sich übrigens der Erwerb der Berliner Zeitung. Die schreiben weder über Sorin noch über van Bommel mehr als eine Hilfsspalte (evtl. kann leodator diesbezüglich aus der BZ-Sport berichten – er hat die ja jetzt sicherlich im Abo? – späßeken).
    Wobei es nehmen dem recherchefaulen Journalismus noch weitere Aspekte gibt, z.B. die guten Kontakte der Bayern-Angestellten zur Springerpresse (ein Geben und Nehmen zum beiderseitigem Nutzen). Aber ebend auch die Interessen vieler Millionen Leser hierzulande, die sich gerade noch so für einen “Ballack-Ersatz” interessieren, ganz sicher aber nicht für die Transferpolitik des HSV, die Geschichte eines ausländischen “Patrioten” oder die taktischen Möglichkeiten auf der Linksverteidiger-Position. Und schon gar nicht für die komplizierten Interessengeflechte bei einem untergeordnetem Londoner Verein und die Auswirkungen auf die Transparenz des internationalem Profifussballs.
    Bei sehr vielen Menschen beschränkt sich halt das Wissen über die finanziellen Hintergründe dieses Geschäfts auf “bei Chelsea pumpt so ein Russischer Öl-Milliardär Geld ohne Ende rein, Schalke hat viele Schulden und die Bayern mehr Geld als die anderen weil sie mehr Fans haben und besser wirtschaften. Und dem Kaiser gelingt immer alles”. Zumindest auch aufgrund eigener Interessenlosigkeit.
    Jede Wette, viele wüssten gar nicht, wo dieses “Ham” überhaupt liegt.

  10. Nachfrage: Wie habe ich jetzt das ganze Geschäft bei West Ham zu beurteilen? Kann mir jemand helfen? Was hat jetzt eine Isländer damit zu tun?!

  11. Ich hab die Geschichte in den letzten Tagen nicht genau verfolgt. Aber “der Isländer” war wohl der große Gegenkandidat von Joorabchian für eine Übernahme.

    Gerüchteweise heißt es, dass Tevez und Mascherano höchstwahrscheinlich wieder zurück nach Brasilien gehen bzw. ausgeliehen werden, da sie sich in der Premier League nicht durchsetzen konnten. Tevez 7 Spiele, 0 Tore, Mascherano nur mit vier Spielen. Und West Ham spielt derzeit gegen den Abstieg. Das alles tat dem Übernahmeplan von Joorabchian mit Sicherheit nicht gut.

  12. OT: Was muss das für eine unglaubliche Liga sein, in der sich Leute wie Tevez in zwei, drei Monaten nicht durchsetzen können. *Haa-Haaa-tschInsua*, Taschentuch?, Danke.