Deutschland – Russland 2:2

Bela Rethy brachte gestern mit einem Begriff die Leistungen der Nationalmannschaft gegen Nordirland und Russland auf den Punkt: “überspielt”. Diverse deutsche Spieler wirkten “überspielt” oder anders: “urlaubsreif”.

Das kann man nicht kurioserweise kaum an Spielern festmachen, denn die Spieler die am Samstag gegen Nordirland gut aufspielten, zeigten sich gestern mitunter schwach und vice-versa. Das erklärt aber immerhin, warum die deutsche Mannschaft derzeit nicht in der Lage ist, eine solche Aggressivität an den Tag zu legen, wie es in den ersten Klinsmann-Spielen gezeigt wurde. Ich erinnere an den gestrigen Artikel von Christof Kneer in der SZ, wonach der aktuelle Fitnessstand der Spieler zu wünschen läßt.

Die Abwehr wurde hinten umformiert. Mertesacker/Friedrich innen und Hitzlsperger und Hinkel außen. Friedrich blieb blass, Mertesacker imponierte wieder einmal mehr durch Abgebrühtheit. Ich meine, Hallo, 20 Jahre alt, 7tes Länderspiel…?

Hitzlsperger ist ein Notnagel, jeder weiß es. Das Klinsmann den Hitzlsperger dem Christian Schulz vorzieht, spricht Bände.

Hinkel wurde zur Halbzeit ausgewechselt, was ich nicht so recht nachvollziehen konnte. Hinkel war zu Beginn nervös und hatte einige Fehlpässe fabriziert. Aber andererseits habe ich seit seiner Verletzung den Hinkel in Stuttgart nicht mehr so stark gesehen, wie gestern. Ich hätte ihn spielen lassen um ihm, ähnlich wie Hitzlsperger, Spielpraxis für die Position zu geben.

Hinkels Position wurde in der zweiten Halbzeit von Bernd Schneider ausgefüllt, der aus dem Mittelfeld zurückrutschte. Es wundert mich, dass Klinsmann den Schneider so lange spielen läßt, denn der Mann ist schon aufgrund seines Laufpensums prädistiniert dafür, in Bälde irgendwann ausgebrannt zu sein. Gegen Nordirland spielte er auch so. “Unauffällig” um es mal nett zu sagen. Anders das gestrige Spiel gegen Russland. Wo er im Mittelfeld außen für Impulse sorgte und zur meiner Überraschung in der zweiten Hälfte auf der Hinkel-Position sogar noch für mehr Druck sorgte.

Das Mittelfeld bestand anfänglich aus Schneider, Frings, Ballack und Schweinsteiger. Ballack war diesmal, anders als gegen Nordirland, eher mau. Sorgen macht mir Frings. Nach allem was man in Zeitungsartikeln aus der Bayern-Ecke hört und nun auch aus der Nationalmannschaft, kapselt sich Frings immer mehr ab. Das meint man auch seinem Spiel anzumerken. Er hat keinerlei Bindung mehr, zu seinen Nebenleuten. Gegen Nordirland konnte man noch verargumentieren, dass Ernst den Entalftungsraum vom ähnlich gelagerten Frings wegnahm. Das fiel gestern als Entschuldigung weg, da Ernst erst in den Schlußminuten kam. Das sieht nach einer mittelschweren Identitätskrise für Frings aus. Und vielleicht tut ihm der Wechsel nach Bremen gut, wo er “ungestört” eine Führungsposition in der Mannschaft einnehmen kann.

Zu Schweinsteiger braucht man nicht viel zu sagen. Das war Spaß, viel Spaß.

So sehr sich Sebastian Deisler in der zweiten Halbzeit mühte, ähnlich wie Frings, fand er keinerlei Bindung ins Spiel. Zwischen Ballack, Schneider, Hitzlsperger und Schweinsteiger sieht er verloren aus. Die Hoffnung Schweinsteiger und Deisler könnten eine Art “freie Radikale” im Mittelfeld bilden, die rochieren und für überraschende Elemente sorgen, erfüllt Letzterer nicht.

Im Sturm: Asamoah und Podolski, nach einer Stunde Hanke statt Asamoah. Asamoah ist noch einer auf dem die Bezeichnung “überspielt” paßt. Er wirkte in den letzten Begegnungen deplaziert. Schweinsteiger, Ballack, Ernst, Schneider arbeiteten viel mit kurzen, flachen Pässen, die eine schnelle Reaktion und einen schnellen Antritt eines Stürmers erfordern. Asamoah kommt mehr von der physischen Seite des Sportes: Ball erobern, Ball abschirmen, Gegenspieler wegdrängen. Das Spiel läuft irgendwie an ihm vorbei.

Podolski ist wie Schweinsteiger: Spaß, viel Spaß. Bei Podolski sind es weniger die technischen Kabinettstückchen, sondern diesen schwer in Worte zu fassenden, aber spürbaren Torinstinkt. Der Mann ist auf dem Platz so straight wie in den Interviews. Ein Mann der Sätze sagen kann wie “Das Runde muss ins Eckige” ohne dass man ihn für intellektuell unterbelichtet hält. Er hat schlichtweg die Essenz seines Jobs verstanden.

In den Medien scheint nach dem 2:2 Katzenjammer zu regieren: “unbefriedigendes Ergebnis” (STERNonline) oder “Ernüchterung” (Abendblatt).

Unsinn. In dieser Phase der Saison und bei solchen Testspielen kommt es eben nicht auf das Resultat an, sondern wie sich die Mannschaft im Gesamteindruck verkauft und wie sich bestimmte Spielerkombinationen machen. Und da fand ich das gestrige Spiel interessant und über weite Strecken unterhaltsam.

Die Feststellung dass es ein Abwehrproblem gibt, ist banal. Dabei konzentriert sich das Problem aber vorallem auf die linke Seite. Rechts gibt es mittelfristig genügend Auswahl und taktische Möglichkeiten, weil Friedrich nach außen rücken kann, wenn im Kader Huth, Wörns und Metzelder zur Verfügung stehen.

Das links derzeit nur Lahm oder Hitzlsperger als Optionen gelten, ist aber ein Problem, zumal Schweinsteiger in Testspielen öfters gezeigt hat, dass er keine Defensivaufgaben mit übernehmen kann.

Nächster Halt: nächsten Mittwoch abend der erste Spieltag im Confed-Cup gegen Australien.

Reaktionen

  1. Wo kann man Kommentare eingeben?

    Nach elf Jahren habe ich die Kommentare im Blog mangels Zeit für Kommentarverwaltung geschlossen. Es kann noch kommentiert werden. Es ist aber etwas umständlicher geworden.

    1. Das Kommentarblog http://allesausseraas.de/, aufgezogen von den Lesern @sternburgexport und @jimmi2times
    2. Sogenannte „Webmentions“ mit einem eigenen Blog. Siehe IndieWebCamp
  2. Bin ich eigentlich der Einzige, der das 2:2 als Abseitstor gesehen hat? Nur ein deutscher Spieler war beim Pass in die Mitte der Torlinie näher als der Torschütze – Kahn war ja vorgestürmt, und der Pass gin auch nicht “nach hinten.” Und meines Wissens nach lautet die Abseitsregel “Ein Spieler befindet sich in einer Abseitsstellung,wenn er der gegnerischen Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Abwehrspieler.”

  3. “Ein Spieler befindet sich in einer Abseitsstellung,
    * wenn er der gegnerischen Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Abwehrspieler.”

    Der Torschütze war in diesem Fall der Torlinie meiner Erinnerung nach nicht näher als der Ball, der ja fast die Grundlinie entlanglief und nur knapp am Pfosten vorbei vor das Tor rollte.