Noch nötig: 3D-Brille
Gestern fiel der Startschuß zur ersten regulären Bundesliga-3D-Ausstrahlung (nach dem 2010 nur Testproduktionen von der Bundesliga oder Events zur WM in Kinos gab). Sowohl die Telekom als auch SKY betrieben recht hohen Marketingaufwand für diesen Start – obwohl 2010 nach Angaben des Branchenverbandes gerade mal knapp 1,5% bis 2% aller in Deutschland verkaufter Fernseher 3D-tauglich sind (und Angaben zu der Zahl der verkauften Brillen – warum wohl? – gar nicht erst genannt werden).
Kleiner Dreisatz: die durchschnittliche Zuschauerzahl beim 17h30-Spiel am Sonntag bei SKY liegt bei ca. 600.000 Zuschauer. 1,5 bis 2% Anteil mit 3D-Fernseher entsprächen bei diesem Sendetermin also zirka 9 bis 12.000 Zuschauer. Da darf der extra 3D-Kommentator seine Zuschauer auch gerne einzeln und mit Vornamen ansprechen.
Nach vom SKY-Technikchef Stephan Heimbecher zusammengestellten Zahlen (PDF, 1,9 MB) rechnen Marktforschungsinstitute nicht vor Ende 2012/Ende 2013 mit dem Durchbrechen der 10%-Marke bei den Haushalten in Westeuropa.
Als Beispiel wird die Etablierung von HD genannt, die auch locker ein halbes Jahrzehnt in Anspruch genommen habe.
Die Telekom lud gestern für ihr Produkt LIGA Total! in einige Städte Journalisten und Blogger zum Testgucken der Partie 1. FC Kaiserslautern – 1. FC Köln. An dieser Stelle Dank an die Telekom für die Vorführung und Verpflegung (stilgerecht: Currywurst & Pommes). Insbesondere für die Kölner ist dabei wohl ein halbes Bloggertreffen bei abgefallen.
Wie geht dat 3D
Das Fußballspiel wird mit speziellen 3D-Kameras aufgenommen – das kann man sich einfachheitshalber als zwei nebeneinander geklebte Kameras vorstellen. Die eine Kamera nimmt das Spiel für das linke Auge, die andere Kamera für das rechte Auge auf.
Das Signal rauscht durch die Leitungen zum Fernseher. Dazu wird ein normaler HD-Kanal genommen, auf dem das Bild für das linke Auge und das Bild für das rechte Auge gleichzeitig und nebeneinander übertragen werden. Dieses Übertragungsverfahren nennt sich side-by-side und hat den Nachteil, dass die horizontale Auflösung eines Bildes nicht Full HD (1920 Pixel), sondern 1920 / 2 = 960 Pixel ist.
Übertragensverfahren “side by side”: beide für den 3D-Eindruck notwendigen Ansichten werden auf einem HD-Kanal nebeneinander übertragen
Wird der Fernseher in den 3D-Modus für die sog. Shutter-Brillen umgeschaltet, zeigt der Fernseher abwechselnd nur eines der beiden Bilder, aber auf volle Breite skaliert. Mal wird das linke Bild auf 1920 Pixel Breite hochskaliert angezeigt und danach das rechte Bild auf 1920 Pixel hochskaliert. Insgesamt wechseln sich die beiden Bildern 120 mal pro Sekunde ab.
Der Zuschauer setzt sich eine spezielle 3D-Brille auf. Diese synchronisiert sich mit dem Fernseher und schließt abwechselnd mal das Glas für das linke Auge und danach für das rechte Auge. Folge: das linke Auge sieht nur dann das Fernsehbild, wenn das Bild des linken Kameraobjektiv gezeigt wird und das rechte Auge sieht das Fernsehbild, wenn das Bild des rechten Objektives zu sehen ist.
Die Übertragungsart “side-by-side” hat den Nachteil, dass die Bilder in der Breite nur mit halber Auflösung übertragen werden. Vorteil für Liga Total! und SKY: man braucht geringere Bandbreiten. Nachteil für den Zuschauer: halbe horizontale Auflösung, was man bei den Rückennummern merkt. Für hochwertige 3D-Blu-Rays wird die sequentielle Übertragungsmethode (MVC) genommen, also die Bilder in voller Auflösung zum Fernseher gebracht.
Die hier beschriebene Technologie ist Alternative Frame-Sequencing für sog. Shutter-Brillen. Daneben gibt es noch eine auf Polarisation basierende Methoden für sog. passive Brillen. Die dort verwendete Methode um nur eines der Bilder für ein Auge durchzulassen, basiert auf Polarisation.
Was braucht es für Technik?
Der Zuschauer braucht ein Abo und entsprechenden Decoder von SKY oder der Telekom (T-Entertain bzw. LIGA Total!). Die neueren HD-Set-Top-Boxen von SKY und T-Entertain sind bereits 3D-fähig.
Dann braucht es einen 3D-fähigen Fernseher. Zwar wurden auf den Veranstaltungen (nicht nur in Hamburg) Preise von jenseits 2.000,– EUR genannt. Eine Suche bei Amazon ergab aber recht “normale” Preise. 3D-fähige Fernseher jenseits der 40 Zoll-Bildschirmdiagonale für roundabout 1.000,– EUR.
Die Shutter-Brillen kosten ca. 100,– EUR pro Stück. Mitunter wird beim Kauf auch schon eine Brille beigelegt.
Die Shutter-Brillen brauchen im Gegensatz zu den Polarisationsbrillen Strom in Form von Batterien. Die Brillen sind derzeit in der überwiegenden Mehrzahl fest an Fernseher bestimmter Marken gebunden. Erst langsam kommen Brillen auf dem Markt, die mit mehreren Marken gleichzeitig kompatibel sind.
Die Brillen “funktionieren” auch für Brillenträger, da sie so geformt sind, dass man sie auch vor der normalen Brille aufsetzen kann. Allerdings gilt das Gleiche wie bei einer normalen Brille: man sollte drauf achten wie gut die Brille sitzt, denn das Ding kann im Laufe der 90 Minuten sehr schnell nerven.
Wie fühlt sich die 3D-Übertragung an?
Der Fernseher wird umgestellt, man setzt sich die Brille auf und schaltet sie ein. Nach einigen Sekunden ist die Brille mit dem Fernseher synchron und aus dem verschobenen Doppelbild wird ein 3D-Bild. Die Älteren unter uns kennen aus der Kindheit noch den “View-Master” mit den Scheiben zum Einlegen. Der 3D-Effekt ist vergleichbar, nur eben als Bewegtbild.
Während auf dem Spielfeld munter Ball getreten wird, ragt oben links das LIGA Total-Senderlogo und oben rechts die DFL-Spielstandsanzeige hervor: sie befinden sich permanent im gefühlten Vordergrund.
Auch die taktische Aufstellung kommt in 3D daher: die graue Box mit den Spielernamen ragt in den Hintergrund rein und die Namen der Stürmer sind deutlich hinter den Namen der Abwehrspieler wahrnehmbar.
Ähnlich wie die “View-Master”-Optik wirkte auf mich die Optik “falsch”, weil die Bilder eine hohe Tiefenschärfe haben: Alle Objekte, egal ob im Hintergrund oder Vordergrund, sind gleich scharf. Das widerspricht dem menschlichen Sehen, dass sich nur auf eine Tiefe fokussiert und alles davor oder dahinter leicht verschwimmen lässt. Das trägt für meinen Geschmack zur Angestrengtheit von 3D-Übertragungen bei.
Man sollte vom 3D-Effekt auch keine Wunderdinge erwarten. Ein Ball nach einem Torabschlag in der Luft, ist nicht besser zu verorten als in einem Stadion.
Ein wichtiger Feel-Good-Faktor ist die 3D-Brille, die bequem auf der Nase aufsitzen sollte. In unserem Fall gab es drei unterschiedliche “Nasenhalter” die man auf die Brille ranflanschen konnte. Trotzdem fing die Brille nach einer halben Stunde an zu drücken. Nach neunzig Minuten ist die Nase recht froh die Brille ablegen zu können. Der Kopf fühlt sich etwas matschig ab, man ist etwas müde.
Weil bei der Brille im aktiven Modus permanent nur eines der beiden Gläser offen ist, dringt nur halb so viel Licht ein. Die Brille dunkelt daher ab. Gespräche mit den Mitmenschen haftet etwas science-fiction-mäßiges an.
In Hamburg wurde der Raum nach Anstoß zum Glück immer schnell abgedunkelt. Andere Lichtquellen, insbesondere von Leuchtröhren, nerven extrem, da sie mit der Wechselfrequenz der Brille ins Gehege komme und anfangen leicht zu flackern.
Der Raum muss also abgedunkelt sein. Mal eben auf dem Rechner bei Twitter nachgucken oder die Freundin auf der Couch ein Buch lesen lassen, ist nicht. 3D-Fernsehen heißt: 3D-gucken und nichts anderes außer der Aufnahme von Nahrung und Kaltgetränken.
Wie gut ist die 3D-Übertragung?
Ich hatte im Vorfeld befürchtet, dass die eigens produzierte 3D-Übertragung des Spiels mit effektheischerischen Einstellungen protzt. Meine Befürchtungen wurden überboten.
Prototypisch war die zweite Halbzeit, wo bei jedem Konter von der Totalen der Führungskamera auf die Hinter-Tor-Kamera gewechselt wurde, um mit einem recht kleinen Ausschnitt den ballführenden Spieler zu zeigen. Eine Verortung von mitlaufenden Mitspielern oder Gegner war so unmöglich. Die Perspektive wurde erst nach dem Torschuss oder Pass wieder verlassen und versaute einem nahezu alle Angriffsspielzüge der zweiten Halbzeit.
Der 3D-Effekt hält sich in der Totalen, trotz tieferer Position der Führungskameras, in Grenzen. Kein Wunder das man so häufig auf die Kameras am Boden umschaltet – aber dadurch geht jedwede Übersicht im Fußballspiel flöten – trotz eines Top-Spiel-verdächtigen Kameraaufwandes (8 Kameras plus zwei ferngesteuerte Hinter-Tor-Kameras)
Die 3D-Übertragungen stehen damit in einem Konflikt. Einerseits müssen die Fußball-Hardcore-Fans ansprechen, denn die 3D-Abos und -Inhalte sind stark auf Fußball ausgerichtet. Andererseits stößt diese Form der Übertragung die Hardcore-Fans ab. Die Resonanz der Blogger bei den Demoveranstaltungen war durch die Bank sehr negativ.
Kurioserweise hat man aber dabei längst noch nicht an alle Strippen gezogen. Hintertorkameras und Steady-Cams am Boden waren sehr, sehr statisch. Eine Spider-Cam schenkte man sich komplett – das mag auch an den einzelnen baulichen Beschränkungen in den jeweiligen Bundesliga-Stadien liegen.
Die Brille behindert auch den Event-Charakter von Fußballübertragungen im Wohnzimmer oder in der Kneipe. Mit der Brille auf dem Kopp bekommt man den Sitznachbar kaum zu Gesicht. Wie das in Kneipen funktionieren soll – Susi, zwei Weizen für uns – ist mir schleierhaft.
Eine Besonderheit war bei LIGA Total! die Kommentierung durch Jörg Dahlmann – offensichtlich nicht vor Ort, sondern in Unterföhring gewesen. Aufgrund des Umstandes dass selbst zehnjährige Kinder nach spätestens 75 Minuten nur noch in hysterisches Auflachen verfielen, darf Dahlmanns Kommentierung als geschäftsschädigend bezeichnet werden – und so gar nicht passend zum besonderen Event “3D” der da verkauft werden soll.
Zum Glück wurden uns auf der Hamburger Veranstaltung auch noch einige Runde eines Boxkampfes gezeigt. Und das ist bzgl. der 3D-Wirkung ein ganz anderer Schnack. Ein begrenzter Aktionsraum, verschiedene Objekte wie Ringseile, Ringrichter oder Hallenhintergrund, die die räumliche Tiefen betonen. Sehr schön war auch die Hallentotale, mit den unterschiedlich angeordneten Scheinwerfer die im verrauschten Raum ihre Kegel quer durch den Raum warfen.
3D ist für mich nicht mehr als ein Gag und dürfte bei Sportübertragungen nur bei einigen ausgewählten Sportarten sinnvoll sein – Boxen (bzw. Kampfsportarten) gehören dazu. Sinnvoller scheint 3D bei Dokumentationen und Spielfilmen zu sein. Da gilt es abzuwägen: SKY hat einen 3D-Kanal der aber täglich nur ca. 6 Stunden sendet und bis auf das wöchentlich neue Bundesliga-Spiel sehr wenig neue Inhalte bietet. T-Entertain bietet abseits der Bundesliga nur wenige kostenlose 3D-Inhalte. Derzeit sind zusätzlich fünf Spielfilme als Pay-per-View erhältlich. Der große Vorteil von T-Entertain: alle Inhalte sind jederzeit sofort abrufbar (on-demand)
3D bei LIGA Total!
- Kosten: für LIGA Total!-HD-Kunden kostenlos. 3D-Spiele auch im Archiv abrufbar.
- System: VDSL notwendig.
- Inhalte: Neben Bundesliga-Spiele sind einige weitere Sportevents (Boxen, Extreme Sports) und als Pay-per-View Spielfilme im Archiv (on-demand abrufbar)
3D bei SKY
- Kosten: für alle Kunden bis “Ende Februar” kostenlos. Danach je nach Inhalt kostenlos: Sport für alle BULI und SPORT-Paket-Abonnenten, Filme für alle FILM-Abonnenten, Dokus für alle Kunden
- System: Aktuell: via Satellit, KabelBW und “vereinzelt weiteren Kabelnetzen”
- Inhalte: 3D-Kanal mit Spielfilme, Sport und Dokus.
Die Zukunft des 3D
Mich hat die 3D-Übertragung nicht nur bis auf weiteres abgetörnt, sondern auch Ängste aufkommen lassen, wann sich die Sender den Aufwand getrennter Produktionen für 2D und 3D schenken werden und die Spektakeleinstellungen auch in die 2D-Übertragungen einfließen lassen werden. Sportcast hat sich ja bereits an diesem Wochenende überfordert gezeigt und zwei Tore durch überflüssige Wiederholungen verdaddelt (1:0 der Bayern, 1:0 der Kölner)
Ich bin da ganz beim WDR-Sportchef Steffen Simon, der in einem Interview mit der FR von “3-D ist ein großer Fake” gesprochen hat.
Ich hege allerdings große Zweifel gegen die 3-D-Technik, zumindest wenn es um den Einsatz im Fußball geht. Das ist ein großer Fake! Eine Sportart, die zu 85 Prozent aus der Totalen gefahren wird, die Null-Komma-Null an 3-D-Effekten bietet, ist dafür nicht geeignet. 3-D raubt dem Publikum die Übersicht. Das ist kein Erlebnis, das bringt den Fußball nicht weiter und nicht die Berichterstattung. Wenn sich das durchsetzen sollte, dann wäre das ein Rückschritt für uns alle.
Steffen Simon im Interview mit der FR, 9.1.2011
Ich prophezeie 3D bis auf weiteres einen wesentlich schwereren Gang als HD. Der Vorteil von HD, u.a. beim Fußball, ist sofort sichtbar. Wer sich daran gewöhnt hat, endlich auch die Rückennummern auf dem gegenüberliegenden Flügel erkennen zu können, möchte es nicht mehr missen – und mich hat schon die halbierte Auflösung der 3D-Übertragung in dieser Hinsicht genervt.
Die Brille ist der ganz große Showstopper.
Ein weiteres Problem für die Verbreitung von 3D sind die anstehende Paradigmenwechsel. Das fängt 2011 an, wenn vermehrt Fernseher mit Polarisation-Technik auf den Markt kommen und damit die Verwirrung in Sachen 3D-Technologie erhöhen. Sie sind billiger und leichter, liefern ein helleres Bild und brauchen keine Batterien, können aber nur die halbe Full HD-Auflösung darstellen.
Dann kommt die Verbreitung von 3D-Fernseher ohne Brillen (einen Vorgeschmack bekommt man ab März 2011 mit dem Nintendo 3DS, der eine ähnliche Technologie einsetzen wird). Die ersten Modelle kommen derzeit in Asien auf dem Markt. Sie sind derzeit noch viel zu teuer und die Displaygrößen sind aus Kostengründen auf 22 Zoll begrenzt. Es dürfte noch einige Jahre vergehen, bis man die Herstellungskosten so weit gesenkt hat, dass diese Fernseher auch mit großen Bildschirmdiagonalen zu erträglichen Preisen erhältlich sind.
Technisch kranken diese brillenlosen Fernseher wohl noch daran, dass die Sitzposition für den Zuschauer recht festgelegt ist: frontal vor dem Fernseher. Wer schräg zum Fernseher sitzt, bekommt nicht viel von 3D mit.
Das Auseinanderfächern in verschiedene 3D-Technologien wird die Verbraucher verunsichern und das Wachstum von 3D behindern. Und wenn man ehrlich ist: es gibt noch viel zu wenig Inhalte.