Diesen Sommer sagte während der British Open (Golf) ein vierzehnjähriger Junge in die Mikros von BBC Five Live:
Alles wo man gleichzeitig spielen und rauchen kann, ist kein Sport.
Golf eingeschlossen.
Was ist Sport? Die Frage ist nicht neu. In den 90er-Jahren mutierten Skateboard, Snowboard und andere “Fun-Sportarten” zu “ernsten” Sportarten mit Weltverbänden und teilweise olympischer Beteiligung.
Die frisch erschienene Weihnachtsausgabe des englischen Videospielmagazins “EDGE” (DIE Referenz unter den Videospielmagazinen) geht in einem etwas längeren Artikel auf die World Cyber Games ein, die Ende Oktober in Mailand ausgetragen wurden. Vieles was ich im folgenden schreiben werde, ist als Info aus dem Artikel gezogen, ohne den Artikel abzuschreiben oder zu übersetzen. Es gibt eine deutsche Lizenzausgabe des EDGE-Magazins, von der ich aber aufgrund der laienhaften Übersetzung durch den Computec-Verlag abraten muss. Die Original-Ausgabe ist zumindest in Hamburg so gut wie gar nicht zu bekommen. Ich empfehle die Direktbestellung beim Verlag, die preislich sogar etwas günstiger kommt, als die horrenden Importpreise vom Pressegrosso IP/DPV.
Money makes the worl goes round
eSports ist eine Sache die im Allgemeinen als “im Kommen” empfunden wird. Über die letzten Jahre hinweg, wurde vermehrt in eSports investiert. MTV hat sich vor 2-3 Jahren “Game One”, einen französischen Spartensender für Videospiele gekauft und aktuell in eine Art Gamer-Chat namens “XFire” investiert. Seit einigen Monaten läuft auf MTV Deutschland “Game One”, eine halbstündige Spiele-Sendung mit den alten GIGA-Haudegen Simon Krätschmer und Daniel Budiman (siehe auch deren Blog “Budimon“). GIGA wiederum, wurde um den Jahreswechsel herum, von NBC an “Turtle Entertainment” verkauft. Turtle Entertainment unterhält mit der ESL – Electronic Sports League, die größte eSports-Liga in Europa. Intel sponsort mit großen Beträgen zahlreiche Ligen und Events.
Es war einmal…
Gab es 2002 noch zwei Weltverbände, gibt es nun ein knappes Dutzend von Verbänden die in aller Welt Serien veranstalten. Ende der Neunziger Jahre ging es mit Red Annihilation und Quake los, eSports erlebte gleichzeitig mit der Blüte der New Economy seine erste Hochphase. Aber als die NE-Blase ab 2001 zu platzen begann, zogen sich auch die ganzen Sponsoren zurück, die just aus diesem Bereich kamen, eSports erlebte seine erste “Rezession”.
eSports erholte sich langsam, EDGE führt das u.a. auf die Popularität von Counter-Strike zurück, Sponsoren kehrten zurück. Der eSports macht mit dem langsamen Aufschwung seit 2001 eine neue Phase durch: er professionalisiert sich. Die einstigen Gaming Clans sind inzwischen Mannschaften geworden, die teilweise sechstellige Sponsorenverträge mit Markenartikler abgeschlossen haben. Spieler werden von den Teams unter Vertrag genommen. Als bestbezahltester Spieler gilt aktuell der Starcraft-Spezialist Park Jung Suk. Im Alter von 22 Jahre bekommt er derzeit ein Jahressalär von 230.000 US$.
eSportler sein, ist schwer
Die Spitzenspieler sind durchaus ähnlichen Problemen wie professionellen Sportler ausgesetzt. Trainiert wird ähnlich hart. In den Wochen vor großen Turnieren 4-6 Stunden täglich. Die Profis klagen ähnlich wie Fußballer und Co. über zuviele Termine. In der Woche der World Cyber Games Ende Oktober, reiste das Team der NiP (Ninjas in Pyjamas) nach dem Gewinn der Silbermedaille in Counter-Strike aus Mailand ab, um in Schweden ein Spiel in der NPL-One-Liga zu bestreiten und am nächsten Tag nach Hamburg zu den ESL-Masters zu fliegen.
Kein Wunder das viele Spieler nach 5-6 Jahren ausgebrannt sind und sich zurückziehen. Erschwerend kommt hinzu, dass es nur einen kleinen Nukleus an “stabilen” Spielen gibt: Counter-Strike, WarCraft, StarCraft. Alle anderen Spiele wechseln häufig und Spieler müssen sich im Lauf der Jahre immer wieder an neue Spiele adaptieren. Jemand wie Fatal1ty ist Profispieler und 11facher Weltmeister in diversen FPS-Spielen und trotzdem konnte er in diesem Jahr nicht eine einzige Top-3-Platzierung erreichen.
Noch eine Parallele zum Sport: die sieben besten Teams haben sich, ähnlich wie man es vom Fußball und derzeit Handball kennt, zu den “G7” zusammengeschlossen, um eine stärkere Lobby der Spieler und Teams gegenüber den Veranstaltern zu haben.
Durchbruch?
Lt. EDGE zeichnet sich als zukünftige Entwicklung für eSports zum einen eine verstärkte Hinwendung zu Spielekonsolen ab, die nun immer nahtloser und besser ans heimische Breitband angeschlossen werden können, und zum anderen der Einstieg der Massenmedien. Das manifestiert sich am Beispiel der Major League Gaming, einer eSports-Liga ausschließlich für Videokonsolen. Diese wurde in diesem Jahr mit 10 Mio US$ Venture Capital angefüttert und nahm mit Hilfe eines gut dotierten Vertrages das beste US-Team exklusiv unter Vertrag. Gleichzeitig gelang es mit USA Network (eines der kleinen Networks, im Vergleich zu CBS, FOX etc.. zweite Liga) einen Fernsehdeal abzuschließen. Im November und Dezember wurden/werden zahlreiche Events übertragen. Gerüchteweise soll auch eines der großen Networks kurz davor stehen, einen Deal mit einer eSports-Liga abzuschließen.
Dem eSports stellt sich aber derzeit trotzdem die Frage, wie “krisensicher” er derzeit ist. So viel wie Intel derzeit spendiert, dürfte ein Rückzug von Intel katastrophale Folgen für die gesamte Sparte haben. Immerhin fangen nun auch branchenfremde Firmen wie Pizza Hut und Red Bull an, eSports zu unterstützen.
Immer wieder lassen es die Veranstalter an Professionalität fehlen. 2003 und 2004 gab es jeweils einen Mainevent (einmal in Toulouse und einmal in Las Vegas) bei dem die versprochenen Preisgelder (30.000 EUR und 500.000 US$) nicht ausgezahlt wurden und die Spieler auf Reise-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten sitzen blieben.
Der eSports agiert auch nicht in einem luftleeren Raum, sondern im Wettkampf mit anderen … Sport(?)arten. In den letzten Jahren wurde eSports vom Online-Poker überholt und aktuell haben MMORPGs (Massen-Online-Rollenspiele) mehr Momentum und so etwas wie “Second Life” (Virtuelle Welt) mehr Awareness bei den Entscheidern.
Sport sein
In Südkorea und China ist es den eSportlern gelungen, staatlich als Sportler anerkannt zu werden. In Großbritannien droht eine entsprechende Initiative zu scheitern. EDGE kann es sich nicht vorstellen, dass der Staat einerseits im Zuge der olympischen Spiele 2012 in London, den Jugendsport fördert, Kampagnen gegen Übergewicht fährt und Fast-Food-Werbung teilweise verbietet, aber gleichzeitig Konsolenspiele im heimischen Wohnzimmer zum offiziellen Sport deklariert.
Was ist Sport? Man braucht nicht das Beispiel eSports zu nehmen, um an Grenzbereiche der Definition von Sport zu kommen. Schach, Poker, Kraftsport, Timber Games, Bogenschießen, Dressurreiten, Motorsport, alles Disziplinen, die sich nur schwer mit einer einzigen Definition erschlagen lassen. Lt. Wikipedia definiert der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) Sport über motorische Aktivitäten.
Die Ausübung der Sportart muss eine eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität eines jeden zum Ziel haben, der sie betreibt […] Die Ausübung der eigenmotorischen Aktivitäten muss Selbstzweck der Betätigung sein.
Leider sagt der DOSB nichts darüber, mit welchem rhetoischen Kniff er z.B. den Deutschen Schachbund aufgenommen hat. Angeblich soll nur der Bestandsschutz es derzeit verhindern, dass der Schachbund rausgeschmissen wird. Das Maß an motorischen Aktivitäten dürfte jedenfalls bei eGames höher als beim Schach sein.
Prof. Dr. Claus Tiedemann von der Universität Hamburg versucht es mit einer eher soziologisch geprägten Definition, die den Sportbegriff wieder an Bewegung nagelt und Schach ausgrenzt, aber eSports beinhalten könnte.
Sport ist ein kulturelles Tätigkeitsfeld, in dem Menschen sich freiwillig in eine wirkliche oder auch nur vorgestellte Beziehung zu anderen Menschen begeben mit der bewußten Absicht, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten insbesondere im Gebiet der Bewegungskunst zu entwickeln und sich mit diesen anderen Menschen nach selbstgesetzten oder übernommenen Regeln zu vergleichen, ohne sie oder sich selbst schädigen zu wollen […]
Ein in Diskussionen mit mir häufig strittiges Gebiet ist beispielsweise auch die Frage, ob die (olympische) Sportart Schießen nach meiner Definition zum Sport zu zählen ist oder nicht […] Für mich ist es aber eine besondere Kunst, die leibliche Bewegung so zu gestalten, daß dabei eine erfolgversprechende Situation herbeigeführt wird, die ich im Sinne der vorher verabredeten Regeln nutzen kann. Auf das von außen sichtbare Ausmaß der gekonnten Bewegung kommt es hier (beim Schießen) und grundsätzlich nicht an […]
Das “Sportwissenschaftliche Lexikon” von P. Höthig (Hrsg., 1992) hat hingegen lt. Wikipedia eine recht dehnbaren Definition:
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich Sport zu einem umgangssprachlichen, weltweit gebrauchten Begriff entwickelt. Eine präzise oder gar eindeutige begriffliche Abgrenzung lässt sich deshalb nicht vornehmen. Was im allgemeinen unter Sport verstanden wird, ist weniger eine Frage wissenschaftlicher Dimensionsanalysen, sondern wird weit mehr vom alltagstheoretischen Gebrauch sowie von den historisch gewachsenen und tradierten Einbindungen in soziale, ökonomische, politische und rechtliche Gegebenheiten bestimmt. Darüber hinaus verändert, erweitert und differenziert das faktische Geschehen des Sporttreibens selbst das Begriffverständnis von Sport.
Ich halte diese Defintion noch am brauchbarsten. Sie bedeutet aber letztendlich auch, dass die Frage was “Sport” ist und was nicht, eher eine Frage der öffentlichen Wahrnehmung und damit letztendlich von TV-Verträgen ist. So wie die “X Games” und damit “Extreme Sports” viel ihrer Popularität ESPN zu verdanken haben, die Mitte der Neunziger auf der Suche nach jungem Publikum waren.