Epilog
Okay, macht man nicht, einen Epilog an den Anfang zu setzen, aber…
Den gestrigen Abend hat mir eine Meldung der BILD bzw. Sport-BILD versaut. In der BILD schreiben Kai-Uwe Hesse, Babak Milani und Claudia Lord dass Thomas Doll nach einer Niederlage gehen Bayern gehen wird. Die Schlüsselsätze im Artikel:
Wenn jetzt kein Wunder mehr passiert, ist HSV-Trainer Thomas Doll (40) spätestens in drei Tagen arbeitslos!
[…] Der HSV unter Doll – nur noch Horror. Aber nicht mehr lange…
BILD erfuhr: Die Trennung und Abfindung sind schon geklärt! Geht Doll (Vertrag bis 2008) freiwillig, zahlt ihm der Verein 600 000 Euro „Schmerzens“-Geld. Wird er gefeuert, gibt’s sogar 900 000 Euro Abfindung.
HSV-Präsident Bernd Hoffmann bestätigt BILD: „Als wir vor einem Jahr den aktuellen Kontrakt ausgearbeitet haben, wurden diese Vereinbarungen getroffen.“ Aus Hamburg sickert bereits durch: Verliert Doll am Samstag auch gegen Bayern, ist er sofort weg. Angeblich hat der Vorstand seinen Trainer über diese Konsequenzen bereits informiert. Offiziell dementiert Hoffmann: „Das ist völliger Quatsch.“ Auch Sportdirektor Beiersdorfer wiegelt noch ab: „Abartig! Das entbehrt jeglicher Grundlage.“
Ich komme noch einmal auf die Sätze zurück.
Ich habe leider den Beginn der PREMIERE-Berichterstattung u.a. mit dem Interview von Dietmar Beiersdorfer nicht hören können, aber er scheint ein recht festes Dementi gegeben zu haben. Gehört / gesehen habe ich hingegen das Interview mit Thomas Doll. Und ohne den BILD-Artikel zu diesem Zeitpunkt gekannt zu haben, fand ich den Gesichtsausdruck von Thomas Doll bestürzend. Wie jemand, der sich durch die letzten Tage seiner Amtszeit quält.
Wer bei Thomas Dolls Aussagen genau hingehört hat, wird festgestellt haben, dass Doll kein Dementi abgegeben hat. Auch nicht bezüglich eines freiwilligen Rücktritts. Interviews Minuten nach dem Spiel sollte man aber nicht auf die Goldwaage legen.
Tatsächlich, und das macht den BILD-Artikel spannend, ist der Artikel an entscheidender Stelle diffus geschrieben. Er hätte in der Headline von “Ultimatum” o.ä. sprechen können. Stattdessen spielt der Artikel lieber piano. Er verknüpft ein “Da ist was im Busch”-Gerücht, mit einer alten Info bezüglich der finanziellen Rahmenbedingung einer Trennung und nennt keine Namen, keine treibende Kraft für den angeblichen Entlassungs-Entschluß des Vorstands.
Meint die BILD mit “Vorstand”, wirklich Vorstand? Der besteht nur aus vier Mitgliedern (Hoffmann, Beiersdorfer, Christian Reichert und Katja Kraus), von denen Christian Reichert aus der Reihe fällt. Er wird sich nicht der Wiederwahl stellen, da er sich mit seinen Vorstandskollegen verkracht hat. Hoffmann und Beiersdorfer haben dementiert und sich hinter Doll gestellt. So wie sie es vor dem letzten Arbeitstag von Kurt Jara gemacht haben, als sie längst Toppmöller in der Hinterhand hatten.
Aus Sicht der Frontfiguren der HSV-Geschäftsführung Hoffmann und Beiersdorfer, kommt eine Entlassung Dolls vor der Mitgliederversammlung am 11.12. einem Selbstmord gleich. Spielt da der einflußreiche Aufsichtsratschef Uwe Bandow über die Bande um Hoffmann loszuwerden?
Unterm Strich eine üble Gemengenlage. Die meisten, mich eingeschlossen, wollen Thomas Doll noch mehr Zeit geben.
Arsenal – HSV 3:1
Thomas Doll überraschte mit einer 4-2-3-1-Aufstellung. Als die Aufstellung eingeblendet wurde, ist in der Kneipe den Leuten reihenweise die Kinnlade runtergeklappt und aus dem Hintergrund tönte der übliche Krakeler, dass Doll den Arsch offen hätte, nur mit einer Sturmspitze und dann auch noch Sanogo anzutreten.
Sinn speziell dieser Aufstellung, mit van der Vaart als zweiten “Sechser” neben Wicky, war es wohl für einen besseren Spielaufbau und mehr Ballsicherheit zu sorgen.
Der HSV mit einem Bilderbuchstart. Van der Vaart kommt vor dem Arsenal-Strafraum im Ballbesitz, spielt einen Gegner aus um aus 22m mit einem mächtigen Hieb per rechten Schlappen den Ball ins linke Toreck reinzudreschen.
Es war insgesamt eine sehr schnell geführte und attraktive Partie. Die HSV-Spieler haben den Worten Dolls nach dem letzten Spiel gelauscht und durch mehr direktes, steiles Spiel ein wesentlich höheres Tempo als in den Vorwochen eingeschlagen. Der Preis waren zahlreiche Ballverluste, mit denen Arsenal aber anfangs wenig anfangen konnte.
Arsenal vollzog eine Kurzpassorgie nach der anderen und es gab teilweise Spielzüge wie vom anderen Stern. Laufwege, Technik und Tempo waren unglaublich. Da konnte man nicht genügend Zeitlupen von sehen. Aber der HSV hielt gegen, bekam durch das Klein-Klein-Spiel der Engländer häufig Gelegenheit den Ball wegzutacklen. Selten habe ich soviele Bälle von hinten abgegrätscht gesehen, wie gestern vom HSV. Arsenal kam daher zu relativ wenigen Torchancen.
Das Spiel kippte dann nach 35 Minuten. Arsenal legte noch einmal ein Brikett nach, erhöhte das Tempo um jenes Quentchen, dass den HSV schließlich überforderte. Die Hamburger ließen sich hinten reindrängen, konnten sich kaum noch befreien und schwammen im Dauerdruck.
Nach der Pause begann Arsenal dort, wo sie in der 45ten Minute aufgehört hatten und das war letztendlich zuviel für den HSV. Der Ausgleich ausgerechnet durch van Persie, der für seine Schwalbe aus dem Hinspiel von den 4500 mitgereisten HSV-Fans immer hörbar ausgepfiffen wurde. Steilpaß, Atouba kommt nicht mit, van Persie dringt alleine in den Strafraum ein und Wächter ohne Chance (52te Min.)
Arsenal ging in der zweiten Halbzeit wesentlich physischer ins Spiel, zog einige gelbe Karten und daddelte weniger mit seinen Kurzpässen rum, sondern spielte direkter. Und das zerriß den HSV letztendlich. Das Mittelfeld wurde nun von Arsenal dominiert, die Ballverluste des HSV kamen immer früher, die Zuspiele nach vorne immer häufiger nichts anderes als verkappte Befreiungsschläge und durch das wesentlich direktere Spiel von Arsenal, musste die HSV-Abwehr ohne Ende laufen.
Der Sieg von Arsenal durch Eboue (83te) und Baptista (88te) ging letztendlich in Ordnung, auch wenn man den wackeren Hamburgern einen Erfolg gegönnt hätte. Der HSV zeigte sich gegenüber der leprösen Vorstellung in Mainz stark verbessert, profitierte sicherlich auch davon, endlich einen Gegner zu haben, wo sie mal nicht das Spiel aufziehen mussten. Das könnte ihnen auch gegen Bayern helfen.
Akteure
Wächter – er zeigt zwar durch seine Körpersprache eine andere Präsenz als Kirschstein, ist aber immer wieder für einen Bolzen gut. Das 1:2 durch Éboue ging auf seine Kappe: der Schuß aus spitzem Winkel rutschte Wächter unter die Achsel durch, wie sonst nur morgens der Deoroller.
Innenverteidigung Reinhardt, Mathijsen – Richtig, richtig solide. Reinhardt war für mich immer ein Grobmotoriker. Aber wie er diese Saison spielt, nachdem er zu Beginn von Doll angepiekst wurde und wie schnell er nun nach seiner Verletzung wieder in Topform gefunden hat, ist für mich eine der positivsten Erscheinungen. Mathijsen spielt seit dem Ausfall von Kompany in einer anderen Liga. Okay, mir fehlt mangels Pay-TV der Vergleich, aber Mathijsen spielt derzeit wie einer der besten Innenverteidiger der Bundesliga.
Außenverteidigung Atouba, Benjamin – Nach seiner gruseligen Vorstellung in Porto hatte sich Benjamin aus der Mannschaft gespielt und gegen die schnellen Londoner habe ich Schlimmstes befürchtet. Seine Leistung im Spiel war schwankend, aber gemessen daran, was der HSV derzeit sonst zur Verfügung hat, okay.
Auch Atouba ist derzeit Sinnbild für die Personalprobleme. Es ist offensichtlich, dass er nicht ins Spiel findet, möglicherweise weil er immer noch angeschlagen ist. Einerseits ist er aufgrund seines phasenweisen auftretenden Offensivdrangs wertvoll, auf der anderen Seite produziert er enorm viele Ballverluste und ist ein steter Unsicherheitsfaktor. Ein Glück dass die Bayern auf dieser Seite nicht stark besetzt sind (nein, ich bin kein Freund von Sagnol).
Atouba musste nach 67 Minuten ausgewechselt werden. Fillinger rückte auf seine Position. Wir kommen noch darauf zu sprechen.
Defensives Mittelfeld Wicky, van der Vaart – Wicky spielte solide, was schon einmal mehr ist, als kurz vor seiner Verletzung. Van der Vaart als zurückgezogener, ballsichere Mittelfeldspieler war ein teilweise gelungener Schachzug. Van der Vaart ging in der zweiten Halbzeit (wie so häufig in den letzten Spielen) völlig unter, war aber davor Rackerer und Antreiber. Aber es bleibt dabei: seine Ecken sind gruselig und die von Trochowksi besser.
Offensives Mittelfeld Fillinger, Trochowski, Mahdavikia – Dolls Schachzug mit dem 4-2-3-1 wäre noch mehr aufgegangen, wenn Trochowksi vorne wirklich den Ballverteiler gegeben hätte. Ihm ist aber nicht viel gelungen, war aber dafür defensiv okay.
Mahdavikia war für mich eine positive Überraschung. Nicht immer waren seine Abspiele brilliant, aber der beste Mahdavikia in dieser Saison und effektiver als zuletzt Jarolim. Mahdavikia musste kurz vor Halbzeit nach einem Foul ausgewechselt werden.
Benny Feilhaber hatte anfangs in der Saison extrem souveräne Spiele gemacht, bevor ihm die Puste ausging und er sich in ein Loch reinspielte. Als “Ersatzmann” für Mahdavikia, weitaus defensiver aufgestellt als der Iraner, machte er aber seine Sache exzellent. Für einen 21jährigen sehr selbstbewusst und sehr selbstsicher getackelt, was gegen die schnellen Londoner ziemlich böse ins Auge gehen kann.
Ahh, Fillinger. Wie Atouba in gewisserweise ein Problemkind beim HSV. Er spielt ja durchaus anständig. In der ersten Halbzeit war er sehr gut bei der Musik, spielte mit Selbstbewusstsein und auch nach hinten sehr aktiv.
Als er aber nach Atoubas Auswechslung nach hinten links rücken musste, wurde er von Arsenal vorgeführt. Ein ums andere Mal wurde er überrannt, war mit dem schnellen Vorbeilegen der Bälle von Arsenal überfordert. Es ist wie in den letzten Spielen: man möchte dem Jungen keine Vorwürfe machen. Wird ins kalte Wasser geschmissen, sieht sich Bolzen vom Schlage eines van Persie und Éboue ausgesetzt, aber leider ist es defacto so, dass er in jeder Partie mindestens einen Gegentreffer direkt verschuldet.
Sturm Sanogo, Ljuboja – Kein Spieler zieht derzeit mehr Wut der Fans auf sich (neben Atouba), als Sanogo. Dabei gilt für ihn ähnliches wie für Atouba: wg. Fußverletzung nicht fit. Aber mangels Alternativen unverzichtbar. Dieses Profil “Kopfballstark, sicher in der Balleroberung” erfüllt nur er. Theoretisch. Das ist sein Problem. Er gewinnt derzeit kaum einen Zweikampf und ist daher so gut wie keine Entlastung.
Aber Doll hat einiges ausprobiert und keiner bietet sich als Alternative an. Der von vielen Fans geforderte Berisha hat sein Konto an vergebenen 100%igen überzogen. Ljubojas Tordrang ist gleich null.
Überhaupt Ljuboja: er kam nach 67 Minuten für Atouba rein. Fillinger rückte nach hinten, während Ljuboja links hängende Spitze spielte. Ljuboja galt eigentlich als technisch stark und sehr ballsicher, aber gestern wurde er gleich reihenweise von Arsenal-Jungspunden nass gemacht. Als es darauf ankam, einen gescheiten Pass zum freistehenden van der Vaart zu spielen, zog er lieber zur Eckfahne um sich an einem Dribbling zu versuchen. Keine Gnade, seit gestern habe ich Ljubja als Fehlkauf abgehakt.
Völlig unverständlich war für mich die Einwechslung von Benny Lauth, von dem es doch eigentlich hieß, dass er bis zur Öffnung des Winter-Transferfensters auf der Tribüne Platz nehmen darf.
Unterm Strich war es das beste HSV-Spiel seit der Partie in Stuttgart. Das war spielerisch 35 Minuten gutes europäisches Niveau und kämpferisch 90 Minuten lang makellos. Bleibt zu hoffen, dass es dem HSV gelingt, diesen Schwung mal über 3-4 Spiele zu halten. Mit Thomas Doll.