PREMIERE macht mit Märchenstunde Schluß (Update)
[Update Fr 11h50: Am Ende den Blogeintrag um eine Einschätzung des Conference-Calls ergänzt]
(Danke an Forlan für den Hinweis auf die Pressemitteilung in den Kommentaren)
PREMIERE-Sprecher Torsten Fricke vor einem Monat über einen SPIEGEL-Artikel der über knapp eine Million Karteilleichen im Abostamm von PREMIERE spekuliert:
Natürlich sind unsere Zahlen korrekt. Und der ‘Spiegel’ zitiert auch korrekt unseren Finanzvorstand mit der Aussage, dass jedes Abo bezahlt wird. Also von wegen Märchenstundeâ€, teilte Premiere-Sprecher Torsten Fricke der SAT+KABEL in einer eMail am Sonntagabend mit.
Torsten Fricke zeichnet heute abend für eine Pressemitteilung verantwortlich, der folgendes zu entnehmen ist:
940 Tausend Abonnenten, die nach der alten Klassifizierung enthalten waren, wurden herausgerechnet. 606 Tausend davon wurden nicht mehr berücksichtigt, da diese nur aus Verträgen mit Geschäftspartnern resultieren und bisher nicht zu Abonnement-Aktivierungen geführt haben. Weitere 334 Tausend Abonnenten, die noch über eine Premiere Smartcard verfügen, wurden nicht mehr berücksichtigt, weil ihr Abonnement beendet ist und sie derzeit keine Zahlungen leisten.
Der neue CEO von PREMIERE Mark Williams macht Tabula Rasa und stellt die Zahlen und Bilanzen auf neue Füße. Was dabei herausgekommen ist, ist ein Debakel für sämtliche Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der letzten Jahre, vermutlich bis tief in die Kofler-Zeiten zurück. Debakel ist dabei noch untertrieben. Mark Williams ist vermutlich dabei, das einzig richtige zu tun: alle schmerzhaften Meldungen konzentriert in kurzer Zeit abgeben und mit einer Stunde Null anfangen.
Ich kenne mich in Sachen Bilanz- und Börsenrecht nicht aus und weiß daher nicht ob rechtliche Konsequenzen für das börsennotierte Aktienunternehmen drohen, aber die bislang veröffentlichten Abonnentenzahlen haben schlichtweg nichts mit dem gesunden Menschenverstand zu tun.
Ein Blick in das gruselige Dokument namens Pressemitteilung:
Die Premiere AG veröffentlicht heute eine Prognose, wonach der EBITDA-Verlust für das Gesamtjahr 2008 EUR 40 Millionen bis EUR 70 Millionen beträgt. Dieses erwartete Ergebnis berücksichtigt nicht mögliche positive Einmaleffekte aus dem weiteren Verkauf von Free-TV-Übertragungsrechten an der Fußball-Weltmeisterschaft 2010.
Nochmal: PREMIERE hatte 2007 ein EBITDA von 83 Mio EUR (schwarze Zahlen) und in den ersten beiden Quartalen ein EBITDA von 2,8 bzw 14,0 Mio EUR. Jeweils schwarze Zahlen.
Jetzt rechnet prognostiziert man für dieses Jahr ein EBITDA von minus 40-70 Millionen, obwohl das dritte und vierte Quartal des Jahres die besten im Geschäftsjahr sind. Von plus 2/plus 14 auf minus 40-70 am Ende des Jahres??! Das ist ein buchhalterisches Blutbad!
Als Konsequenz der EBITDA-Prognose hat die Premiere AG Gespräche mit ihren Banken über die Restrukturierung von Kreditvereinbarungen aufgenommen und ist zuversichtlich, eine Einigung mit den Banken zu erzielen.
Ich habe vor einigen Tagen mit jemanden über die Programmstrategie von PREMIERE gesprochen. Halten die Geld für die Bundesliga-Rechte zurück? Es wurde verneint: PREMIERE habe überhaupt kein Geld. Dies scheint sich mit obiger Aussage zu bestätigen: der finanzielle Rahmen ist so eng, dass die neuen Prognosen zügige Gespräche mit Kreditinstituten erforderten.
Dann ging es an das Putzen des Abobestandes. Laut CEO Mark Williams hat man nun ähnliche Methoden zur Klassifizierung von Abonnenten verwendet wie “andere Pay-TV-Betreiber”, vulgo SKY Italia und BSkyB. Der SPIEGEL hatte vor einem Monat darüber spekuliert, dass es knapp eine Million Karteileichen geben würde. Teils bedingt durch die Vergabe von Prepaid-Karten FLEX, die nie genutzt wurden. Immer wieder liest man in Foren auch von PREMIERE-Sehern, die ihr Abo gekündigt hätten oder nicht bezahlen konnten, aber trotzdem weitersehen konnten.
So ließ sich Finanzvorstand Teschner vom SPIEGEL zitieren: Jedes Abo wird bezahlt.
Und so sieht es nach dem Reinigen des Abobestandes aus:
PREMIERE vor dem Putzen: 3,555 Mio Abonnenten in Q2/2008
PREMIERE nach dem Putzen: 2,376 Mio Abonnenten in Q2/2008
1,2 Mio Abonnenten Schwund zwischen alten und neuen Zahlen. PREMIERE spricht nun von 940.000 Abonnenten die rausgerechnet worden sind. Fast 1 Mio Abonnenten. Nada. In Luft aufgelöst. Hammer.
940 Tausend Abonnenten, die nach der alten Klassifizierung enthalten waren, wurden herausgerechnet. 606 Tausend davon wurden nicht mehr berücksichtigt, da diese nur aus Verträgen mit Geschäftspartnern resultieren und bisher nicht zu Abonnement-Aktivierungen geführt haben. Weitere 334 Tausend Abonnenten, die noch über eine Premiere Smartcard verfügen, wurden nicht mehr berücksichtigt, weil ihr Abonnement beendet ist und sie derzeit keine Zahlungen leisten.
Nochmal in Zeitlupe: eine Drittel Million Abonnenten waren in der Kartei noch drin, obwohl sie nicht mehr gezahlt haben. 600.000 Abonnenten wurden gezählt, weil sie bei irgendeinem Gewinnspiel eine FLEX-Karte geschossen hatten, aber nicht aktiviert hatten. Wie war das? “Jedes Abo wird gezahlt”?
Der Spruch des Finanzvorstandes Alexander Teschner rächt sich:
Alexander Teschner, Finanzvorstand der Premiere AG, hat sein Amt mit Zustimmung des Aufsichtsrats mit sofortiger Wirkung niedergelegt. Bis ein Nachfolger gefunden ist, übernimmt Mark Williams, CEO der Premiere AG, die Verantwortung für das Finanzressort.
Auch Teschner gehörte zu den Vorstandsmitgliedern die seit den Kirch-Zeiten bei PREMIERE sind. Nun bleiben noch Hans Seger und Carsten Schmidt.
Der ARPU wird derzeit bei 24 EUR geschätzt, bleibt also unverändert. Erstaunt hat mich die geringe Zahl an reelen FLEX-Kunden: nur 118.000 Abonnement. Das hört sich für mich nicht nach einer lohnenswerten Zahl für das Prepaid-Modell an.
Am 13.11. werden die Geschäftszahlen für das dritte Quartal (Ende Sept.) bekanntgegeben. Historisch gesehen handelt es sich immer um das zweitbeste Quartal im Geschäftsjahr.
Die PREMIERE-Aktie ist seit Anfang September auf dem Weg nach unten und inzwischen bei 9,27 EUR angelangt. Die Kursentwicklung des heutigen Tages war etwas besser als die des DAX, weswegen man erwarten muss, dass die Aktie morgen brutalst nach unten geprügelt wird. Wer weiß, vielleicht der richtige Zeitpunkt für Murdoch noch ein paar Papiere mehr zu kaufen oder gar die Übernahme zu machen…
[Update Fr 11h50]
Unmittelbar nach Veröffentlichung der Ad-Hoc-Mitteilung hat PREMIEREs CEO Mark Williams Analysten zu einer Telefonkonferenz eingeladen. Ein Mitschnitt ist bei info.premiere.de zu hören.
Mark Williams erklärte dass er bei seinem Amtsantritt sofort mit der Untersuchung der Zahlen anfing. Hauptaugenmerk war dabei die Kundenkartei, was deutlich macht, dass da schon seit längerer Zeit einige Leute die Zahlen nicht für koscher hielten und den Verdacht stärkt, dass die SPIEGEL-Geschichte bewusst lanciert worden ist, um Börnicke abzuschießen und den Weg für einen “eigenen Mann” freizumachen, der endlich den “Stall ausmisten kann”.
Williams war in sehr vielen Punkten nicht konkret. Teils weil er sich weigerte zurückzublicken und Stellungen zu den Prognosen von Börnicke zu nehmen, teils weil er noch keinen Überblick hatte, welche Informationen bereits öffentlich waren (z.B. die Namen der Banken bei denen PREMIERE in der Kreide steht), teils weil man mit der Analyse des Zahlenmaterials angeblich noch nicht soweit war. Deswegen auch der recht große “Zielkorridor” des EBITDA für 2008 von minus 40 bis minus 70 Mio EUR.
Auffällig zum Beispiel die Weigerung von Mark Williams zu erzählen, warum das EBITDA so massiv gesenkt worden ist: Geringere Einnahmen? Höhere Ausgaben? Oder eine genaue Aufschlüsselung welche Geschäftspartner in welchem Maße die Karteileichen verursacht habe.
Beiläufig erwähnte Williams dass die ARPU/Umsatz pro Kunde durch die Bereinigung von 16 EUR auf knapp 24 EUR steige. Das ist insofern erstaunlich, da der offizielle ARPU in Q2 bei über 23,- EUR lag. Woher jetzt die 16 EUR kommen, weiß ich nicht.
Keine Veränderungen sieht Mark Williams bei den Zahlen für PREMIERE Star und bei den Ausgaben für TV-Rechte.
Mark Williams ist optimistisch für die Zukunft. Bereits Q3 hat eine Steigerung der Abozahlen gesehen. Die Entscheidung des Kartellamts bezüglich der Bundesliga-TV-Rechte trifft PREMIERE nicht: “exclusivity is not critical” – neue Töne aus der Geschäftsleitung. Im Nebensatz klang an, dass Murdoch/News Corp für den Erwerb der Bundesliga-Rechte nicht in die eigene Tasche greifen werden, sondern PREMIERE die Finanzierung alleine übernehmen muss. Sämtliche verträumten Szenarien das Murdoch durch eigene Initiative versuchen wird die Rechte komplett und zügig zu kaufen, sind damit obsolet.
Williams sieht “many short-term opportunities” durch “better execution, more rounding offering of services and better marketing”, was auch immer dies konkret heißen mag. Williams verwies unzählige Male auf den 13.11., wenn die Quartalszahlen für Q3 offiziell bekanntgegeben werden.
Williams rennt die Zeit davon, denn Mitte November müssen die Weichen für das Weihnachtsgeschäft längst gestellt sein.