Tour 2007: warum ich doch die Tour verfolgen werde
Ja, sorry, ich bin etwas spät dran… Auch hier ein Meta-Beitrag von jemanden der von seinem Verhältnis zur Tour kündet…
Warum ich die Tour ignoriert hätte
Die Tour 2006 sbrachte das Faß zum Überlaufen. Die Operation Puerto, die Geschichte mit Landis…
Es kann nur dann einen sauberen Radsport geben, wenn alle Beteiligten sich in diesem Ziel einig sind. Solange aber die Radsportler und die Teams Doping nicht ächten, sondern als notwendiges Hilfsmittel ansehen, werden alle Anti-Doping-Maßnahmen nur Kosmetik sein.
Was die Zeit nach der Tour 2006 mir deutlich machten, war das es im Peloton an dieser Einstellung fehlte. Doper waren keine Aussätzige, sondern allenfalls Idioten die es leider erwischt hatte. Dagegen Omerta für alle die über das System redeten. Viele Teams – nicht nur, aber vorallem italienische und spanische – bezogen eine ekelige Position, indem sie hinter den Kulissen Doping klein zu reden. Der Radsport war offensichtlich nicht bereit sich zu ändern.
Seit dem letzten Herbst beobachtete ich, ob sich etwas an dieser Einstellung ztum Besseren änderte. Der Lakmustest wurde nicht bestanden und ich habe daher bis dato bewusst die bisherigen Rennen der Saison ignoriert. Ich hatte den Radsport weiterhin auf den Radar um zu beobachten ob und wie er sich ändert, aber es betraf mehr die Ereignisse abseits der Straße.
Warum ich sie doch nicht ignoriere
Der Anstoß meine Einstellung für die Tour zu ändern, ist ein rein sentimentaler gewesen. Als ich die letzten Tage die Nachmittage vor dem Audiostream der BBC hing und Wimbledon verfolgte, kam die Erinnerung an die Tournachmittage oder auch die Tage der Fußball-WM wieder auf. Wenn Sportereignisse nicht kurze 2-Stunden-Häppchen sind, sondern den ganzen Tag beherrschen. Wenn sich kleine Geschichten aufbauen, der Sport im Laufe des Nachmittags intensiver wird und schließlich in einem Match oder Zielankunft kulminiert.
Es interessiert mich nicht ob die Tour mit 40kmh eine Bergankunft raufgondelt. Das können sie von mir aus auch mit 35kmh machen. Sie müssen auch nicht drei Berge der HC-Klasse raufkraxeln. Ich mag einfach dieses Gefühl wenn ein Sportereignis den ganzen Tag in Beschlag nimmt, den roten Faden für einen Tagesablauf darstellt.
Als ich in dieser Woche den wohligen Schauer der Wimbledon-Übertragungen bemerkte, wusste ich was ich vermisse. Ich hatte mich schon in den Wochen zuvor immer gefragt ob und wie ich mich mit der Tour befassen würde. Es waren allerdings erst diese Sentimentalitäten die mich dazu brachten, meine Meinung zu ändern. Am Mittwoch, vor meinem Kundentermin in Bremen, stand ich am Bahnhofskiosk und griff zu einem Tour-Sonderheft.
Die eigentliche Herausforderung
Ich weiß nicht ob ich die drei Wochen durchhalten werde. Ich weiß nicht wie es sich anfühlen wird und vielleicht werde ich aus Bocklosigkeit bereits nach einer Woche wieder aufhören. Mir ist bei der Libére Dauphine förmlich schlecht geworden, als im Fernseher meines Onkels Vinokurouv & Co. vorneweg fuhren.
Das Dopinggeständnis von Zabel und Aldag erweisen sich für mich immer mehr als die gravierendste Kehrtwende für meine Wahrnehmung des Radsports. Nicht dass die Jungs nun sehr ausgiebig bereut hätten, aber…
Natürlich wusste auch ich nicht erst seit Aldag/Zabel von Doping auf der Tour. Pedro Delgado raubte “meiner” Tour 1988 die Unschuld. Doping danach war anfangs ein singuläres Ereignis, aber man bekam immer mehr ein dumpfes Gefühl dass nicht jedes Tier am Berg sich nur von Nudeln und Milch ernährt. Wenn man mich aber vor 5 oder 10 Jahren gefragt hätte, wieviele Prozent des Pelontons dopen, ich hätte keine Antwort darauf geben können. Sind es nur die Spitzenfahrer? Sind es die Sprinter? Auch die Wasserträger?
Immer mehr begann sich bei mir daher so etwas wie ein eigenes Wertesystem herauszukristallisieren. Man beobachtete die Radfahrer. Man versuchte aus Siegen, aus Rennverläufen aber auch aus dem Verhalten in Interviews und aus ihrem Charakter zu schließen: der dopt und der andere dopt nicht. Mit jedem Doper der dann auch wirklich aufflog oder mit jedem “sicheren” Indiz räumte ich die Unschuldsvermutung zugunsten eines Generalverdachts weg.
Lance Armstrong war für mich ein sicherer Dopingkandidat. Riis war es ebenso. Eine Frage des Charakters. Beide waren zu sehr zerfressen vom Ehrgeiz. Bei Jan Ullrich war ich mir lange Zeit nicht sicher. Für mich als Laie schien es durchaus möglich zu sein, dass Ullrich einen derart überragenden Körper hatte (Körpergröße, Hebel, Lunge). Aber je penetranter Armstrong nach Doping roch und je wachsweicher Ullrichs Aussagen wurden…
Es gab für mich zur Beurteilung der Fahrer also neben den Dopingtests der UCI auch meinen persönlichen “Charaktertest”. Ich habe den Fahrern im Fernsehen in den Augen geschaut, wenn sie sich zu Doping-Gegner erklärt haben. Ich habe auf ihre Worte hingehört, wieviele Hintertürchen sie sich offengelassen haben. Insofern waren Zabel und Aldag für mich am ehesten die Protagonisten von sauberen Radsport. Ich fand sie sympathisch und ehrlich. Es waren meine einzigen Indikatoren um wirklich ein Gefühl zu bekommen, wer sauber fuhr und wer betrog.
Und genau deswegen sind für mich die Geständnisse eines Aldags und Zabels die Bankrotterklärung meiner eigenen persönlichen Einschätzungen. Das macht die Tour 2007 für mich als Zuschauer so schwierig. Ich bin im luftleeren raum. Ich habe keine Mittel, keine Faktoren, keine Indizien um die Leistung der Fahrer irgendwie beurteilen zu können. Wer fährt denn nun sauber? Wer dopt?
Ich halte mich im Alltag an die Rahmenbedingungen die von Gesetzen, Verordnungen, Ethik und Anstand gegeben werden. Ich gehe zwar auch bei Rot über die Straße, aber dabei handelt es sich um Petitessen, vergleichbar mit Mario Cipollinis Macke häufiger nicht-regelkonforme Trikots anzuziehen. Ich möchte mich als Zuschauer mit Radsportler identifizieren können. Ich möchte Sportler haben, die in gewisser Weise meine Werte wiederspiegeln.
Nach Zabel und Aldag ist es aber bis auf weiteres nicht mehr möglich irgendwelchen Aussagen von Radsportlern zu glauben. Nicht nur weil jahrelang rotzfrech ins Gesicht gelogen wurde, sondern auch die Geständnisse harmloses Gewäsch in rotziger Tonlage war. War ich anfangs noch nicht sicher ob ich die nun einsetzende “Ehrlichkeit” beider begrüßen sollte, setzte sich in den nächsten Tagen immer mehr bitterer Nachgeschmack durch. Insofern war das Geständnis von Jaksche glaubwürdiger. Jaksche schilderte ein System. Aldags Doping soll eine individuelle tat gewesen sein, die aber nicht funktionieren kann, wenn sich Aldag nicht auf bereits existente Infrastrukturen zurückziehen konnte. Und hat jemand Stellungnahmen der Freiburger Ärzte über ihre Tätigkeiten beim Team Telekom gehört? Offensichtlich kennt die Reue und Ehrlichkeit, kennt das Interesse zur Aufklärung immer noch Grenzen.
Ich weiß nicht wie sich diese Tour anfühlen wird, ohne Identifikationsmöglichkeit. Mit dem permanenten Verdacht das man von den Fahrern auf der Straße und vor dem Mikro verarscht wird. Soll ich jetzt Gerolsteiners Michael Holzcer seinen Antidoping-Kurs glauben, nur weil 2-3 Journalisten ihn loben?
Ich weiß nicht wie es sich anfühlt, wenn die Jungs die Berge rauffahren und einer von ihnen das Tempo anzieht und die anderen in Grund und Boden fährt. Muss jetzt jede starke Leistung nach einem Hungerast mit einem Landis-Gedächnis-Sternchen versehen werden?
Ich weiß es nicht und vielleicht macht das auch einen Teil des Reizes aus, doch wieder bei der Tour einzusteigen.
Man kann über die Tour denken wie man will. Es ist eine außergewöhnliche Tour und vielleicht eine Tour die Geschichte machen wird. Nicht weil es keine Favoriten gibt. Nicht weil möglicherweise ein neuer Radsportstar entstehen wird, sondern weil sich die Sportart in einem ganz merkwürdigen Schwebezustand befindet. Alles und jedes wird hinterfragt, auch die Journalisten und Zuschauer.
Der Zoff wenige Tage vor der Tour, zwischen französisch/deutschen Teams und den anderen Mannschaften ist vielleicht das beste Zeichen der Besserung. Ein Zeichen das einige zu schmerzhaften Einschnitten bereit sind. Auch das macht die Tour dieses Jahr interessant und es wäre vielleicht ein Fehler diese Weichenstellung für die Zukunft des Radsports zu ignorieren.
Wie es die anderen machen
Wenn ich es richtig sehe, geht die Berliner Zeitung am rigorosesten mit dem Thema um. Ressortleiter Jens Weinreich erklärte in einem Artikel in der Samstagsausgabe, dass man zwar einen Journalisten zur Tour schicken werde, aber:
Im Prinzip könnten wir uns hinter dem Allerwelts-Argument verstecken, Journalisten hätten Chronisten zu sein, im Auftrag ihrer Leser. Das stimmt selbstverständlich, aber es wäre zu billig. Denn es gibt Grenzen. Für das, was sich Radsport nennt, wäre ein täglicher Gerichtsreport die angemessene Form […]
Wahrscheinlich wäre nur das konsequent gewesen: Einfach einmal zu schweigen und die Branche mit Nichtachtung zu strafen. Aber Ausblenden ist auch kein journalistisches Kriterium, und deshalb haben wir uns für einen Kompromiss entschieden: Christian Schwager, der bereits acht Mal auf der großen Schleife war, wird zwar in diesem Jahr erneut bei der Frankreichrundfahrt vor Ort sein, aber die übliche Berichterstattung wird es nicht geben. Also: Keine Etappenberichte, keine Fotoserien, keine der üblichen Grafiken über die Schwierigkeitsgrade der Strecken, keine Folklore, die den Blick vernebelt auf das Wesentliche.
Im Prinzip werden wir uns auf diese Kolumne konzentrieren. An dieser Stelle wird Christian Schwager von Montag an täglich versuchen, das Ringen der Radsport-Branche mit ihrem fundamentalen Problem in Form eines Tagebuchs zu beschreiben: Die Tour und die Drogen, der Radsport und die organisierte Kriminalität, das und nichts anderes sind die Themen […]
Im Prinzip ist es so: Wer in Gelb fährt, ist völlig unerheblich.
Die ARD wird ein umfangreiches Berichtserstattungspaket zum Thema Doping in petto haben. Letzte Woche erzählte ein Redakteur des HR in der HR-Sendung “Der Tag” das ARD-Kommentator Florian Nass sich einige Telefonnummern von Sportmedizinern zurechtlegen wird um diese anzurufen, falls an den Bergen wieder irgendein Fahrer einen Husarenritt hinlegen wird. Diese sollen dann live auf dem Sender das Geschehen einordnen. (BTW: der HR-Redakteur überraschte in der Sendung auch mit der Aussage, dass die HR-Sportredaktion die Geständnis-PK von Riis im Fernsehen verfolgt habe aber nichts verstanden weil sie kein dänisch konnten. Die HR-Sportredaktion hat sich nicht allen Ernstes den Originalfeed angesehen statt auf n-tv mit Simultandolmetscher zu gucken? OMG…)
Die deutsche Frage
All diese Zweifel und Metadiskussion über die Tour wird nirgendwo so heftig geführt wie in Deutschland. Die Tour-Übertragungen abbrechen? In Frankreich kein Thema. Doping ist dort kein Thema mit denen sich das Öffentlich-Rechtliche France 2 in seinen Übertragungen beschäftigt und so bleibt der Zuschauer auch von jedem Zweifel unbehelligt. Und so kann sich der Franzose im Vorfeld (mal wieder) auf eine neue Generation junger französischer Fahrer freuen, die in der Tour zu Ruhm und Reichtum kommen soll.
Alles was Dreck ist, ist in der Tour eher Aufgabe der Presse. Dabei scheuen sich die Medien nicht vor jeglicher Form der Bewusstseinsspaltung. Es findet eine recht scharfe Trennung zwischen dem Sportlichen und dem Doping statt. Selbst die L’Équipe vermischt beides eher selten. Beides gehört zwar zum gleichen Ressort und wird auf den gleichen Seiten abgehandelt und die L’Équipe scheut sich nicht die richtigen Fragen zu stellen, aber die sportliche Berichterstattung ist frei von Generalverdacht oder Dopingvermutungen.
Fragt man normale Leute wie sie Doping im Radsport sehen, so sind es für sie ausnahmslos singuläre Ereignisse. Wird ein Fahrer erwischt, kann von ihm nicht auf das gesamte Team geschlossen werden. Steht ein komplettes Team unter Verdacht, kann vom Team nicht auf das gesamte Peloton geschlossen werden. Monsieur Normalverbraucher ist geprägt vorrangig von der Berichterstattung in den elektronischen Medien. So bekannt im Ausland französische Zeitungen sein mögen, sind die Qualitätszeitungen in Frankreich eher ein Minderheitenvergnügen für Eggheads.